https://queer.de/?36860
Belohnung für Homofeindlichkeit
"LGBT-freie Zonen": Polen entschädigt von EU bestrafte Kommunen
Justizminister Zbigniew Ziobro überreichte bei der Ankündigung einen Scheck an die Gemeinde Tuchów in dreifacher Höhe der von der EU abgelehnten Förderung.

Minister Ziobro (l.) am Dienstag bei der Übergabe des Schecks. Im Hintergrund: Fotoprojekt des LGBTI-Aktivisten Bart Staszewski mit von ihm erstellten Orts-Zusatzschildern zu "LGBT-freien Zonen"
- 18. August 2020, 15:44h 4 Min.
Der polnische Justizminister hat am Dienstag eine Entschädigung für Kommunen angekündigt, die "aus ideologischen Gründen" keine EU-Förderung erhielten. Zbigniew Ziobro kündigte auch eine Anfrage an den Premierminister Mateusz Morawiecki von der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) an, einen dauerhaften Mechanismus für diese Unterstützung einzurichten.
Konkret reagierte Ziobro darauf, dass die EU-Kommission Ende Juli offiziell verkündet hatte, sechs Förderanträge von polnischen Gemeinden im Rahmen eines Städtepartnerschaftsprogramms wegen deren LGBTI-feindlicher Haltung abgelehnt zu haben (queer.de berichtete). Andere Gemeinden auch in Polen erhielten eine Förderung. Ziobro, ein Politiker der kleinen PiS-Abspaltung Solidarisches Polen (SP), hatte damals von "illegalem Druck" und "rechtswidrigen Handlungen" seitens der EU gesprochen – Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte daraufhin das Vorgehen verteidigt und betont, eine "Union der Gleichberechtigung" zu wollen (queer.de berichtete). Auch bei anderen Fördertöpfen hat die EU bereits indirekt mit einem Stopp der Mittel gedroht (queer.de berichtete).
/ MS_GOV_PL | Polens toxische Regierung bei der ArbeitKONFERENCJA PRASOWA – WSPARCIE DLA GMIN POMINITYCH W UNIJNYM PROGRAMIE PARTNERSTWO MIAST" https://t.co/KMscAlovfh
Min. Sprawiedliwoci (@MS_GOV_PL) August 18, 2020
|
Ziobro erklärte nun bei der Pressekonferenz, er habe einen Antrag auf finanzielle Unterstützung der bei der EU-Förderung abgelehnten Gemeinde Tuchów akzeptiert und ihr mit 250.000 Zloty (ca. 57.000 Euro) einen rund dreimal höheren Betrag gewährt als ursprünglich in Brüssel beantragt. Das Geld stamme aus einem Fonds des Ministeriums – er ist zur Unterstützung von Gewalt- und Justiz-Opfern gedacht und geht auf eine EU-Richtlinie zurück.
Der homofeindliche Politiker erklärte weiter, Kommunen, "die den Mut hatten, sich für die Grundwerte des Familienschutzes einzusetzen", würden von EU-Gleichstellungskommissarin Helena Dalli zum "Gegenstand von Belästigungen und Angriffen" gemacht. "Wir unterstützen die Gemeinde, die hier eine familienfreundliche Agenda hat und sich für die Unterstützung gut funktionierender Familien einsetzt, indem sie sich gegen die Einführung der LGBT+-Ideologie, der von der Europäischen Kommission befürworteten Gender-Ideologie, ausspricht, die der polnischen Kultur, Tradition, aber auch der polnischen Rechtsordnung widerspricht". Bei der Scheckübergabe gab Stadtrat Mateusz Janiczek (PiS) bekannt, das Geld werde in die Freiwillige Feuerwehr gesteckt.
Minister belohnt Tuchóws Resolution gegen "Homo-Propaganda"
Polnische Städte, Gemeinden und Bezirke, die inzwischen ein Drittel des Landes ausmachen, haben seit den Sommer 2019 Resolutionen beschlossen, die von Kritikern und auch vielen Befürwortern als "LGBTI-freie Zonen" zusammengefasst werden. Darin verpflichten sie sich etwa gegen eine "LGBT-Ideologie" oder den Einsatz für die "traditionelle Familie". Teilweise wurden die Resolutionen von der ultrakatholischen Organisation "Ordo Iuris" vorbereitet. Kürzlich hatten erste Gerichte einige Resolutionen auf Betreiben des polnischen Menschenrechtsbeauftragten für ungültig erklärt (queer.de berichtete).

Die interaktive Webseite "Atlas des Hasses" listet in roter Farbe die Regionen auf, die Resolutionen etwa gegen eine "LGBT-Ideologie" beschlossen haben
In der Resolution von Tuchów zum "Stopp der LGBT+-Ideologie" vom 29. Mai 2019 (PDF) heißt es, Radikale planten eine "Kulturrevolution", mit der sie "die Meinungsfreiheit, die Unschuld der Kinder, die Autorität der Familie und der Schule sowie die Freiheit der Unternehmer" angriffen. Daher verpflichte man sich gegen "politische Korrektheit", "Frühsexualisierung" und "Homo-Propaganda" an Schulen. Auch in der Auswahl von Angestellten oder Vertragspartnern dürften solche Kriterien keine Rolle spielen. Die Gemeinde umfasst die Stadt Tuchów und mehrere Dörfer mit insgesamt rund 18.000 Einwohnern. Zu den Partnergemeinden gehört Illingen im Saarland; die französische Gemeinde Saint-Jean-de-Braye hatte ihre Partnerschaft im Februar aufgekündigt.
Die queere Community braucht eine starke journalistische Stimme – gerade jetzt! Leiste deinen Beitrag, um die Arbeit von queer.de abzusichern.
Von "LGBT-freien Zonen" zum "Projekt StopLGBT"?
Nach einem bereits homofeindlichen Präsidentschafts-Wahlkampf durch die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit hatte Justizminister Ziobro in den letzten Wochen noch einiges nachgelegt. So kündigte er einen Ausstieg aus der Istanbul-Konvention an, weil das Übereinkommen gegen Gewalt gegen Frauen "Gender-Theorie" und "homosexuelle Ideologie" enthalte (queer.de berichtete). Auch die Eskalation rund um die Untersuchungshaft für eine LGBTI-Aktivistin sowie die Festnahmen von fast 50 Personen bei ihrer Verhaftung führen viele auf ihn zurück – in Interviews verteidigte er das staatliche Vorgehen oder auch den Hass-Bus mit homo- und transfeindlichen Botschaften einer Organisation aus dem "Ordo Iuris"-Umfeld, den die verhaftete Aktivistin angegriffen hatte.

Die homofeindliche Aktivistin Kaja Godek am Dienstag in Warschau bei der Vorstellung des Projekts "#Stop LGBT"
An diesem Dienstag stellte eine weitere Organisation aus diesem Umfeld, die "Stiftung für Leben und Familie" der Anti-Abtreibungs-Aktivistin Kaja Godek, ihr neues "Projekt #StopLGBT" vor: Eine Unterschriftenaktion für einen Gesetzentwurf, der CSD-Demonstrationen und "Homo-Propaganda" im öffentlichen Raum verbieten soll. Godek hatte den Schritt bereits am Sonntag als Rednerin bei einer Anti-LGBT-Demo von Nationalisten in Warschau angekündigt. In einer Vorankündigung hieß es zur Begründung, die LGBT-Bewegung kämpfe gegen die Kirche, verleumde katholische Symbole und Embleme der Republik. Unter anderem angesichts einer Regebogenflaggen-Aktion an einer Warschauer Jesus-Statue hatten sich in den letzten Wochen Ziobro, aber auch führende PiS-Politiker wie Mateusz Morawiecki ähnlich geäußert (queer.de berichtete). Im April hatte das Parlament einen von Godek vorgelegten Entwurf zur Verschärfung des Abtreibungsverbots und einen ebenfalls aus dem "Ordo Iuris"-Umfeld stammenden Entwurf zum Verbot von Sexualerziehung in erster Lesung beraten und in die Ausschüsse verwiesen (queer.de berichtete). (nb)















