Der Anti-Diskriminierungs-Artikel der Verfassung war zuletzt 1994 um das Merkmal Behinderung ergänzt worden (Bild: Tim Reckmann / flickr)
Die Hamburgische Bürgerschaft macht sich für eine Aufnahme des Schutzes der sexuellen Identität vor Diskriminierung ins Grundgesetz stark. Das Parlament forderte den Senat am Mittwoch mit den Stimmen von SPD, Grünen, CDU und Linken auf, sich "im Bundesrat und ergänzend in geeigneter Weise auf Bundesebene dafür einzusetzen, dass Artikel 3 Absatz 3 Satz 1 des Grundgesetzes um das Merkmal der sexuellen Identität ergänzt wird".
Der gemeinsame Antrag von SPD, Grünen und Linken sieht in der Ergänzung einen "weiteren notwendigen Baustein für eine tolerante Gesellschaft, in der alle Menschen frei und selbstbestimmt leben können". Bislang heißt es in dem Artikel: "Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden."
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Das Vorhaben, das Grundgesetz um Merkmale wie sexuelle Orientierung / Identität oder geschlechtliche Identität zu erweitern, wird schon länger diskutiert – die Bürgerschaft hatte bereits 2009 erstmals einen entsprechenden Antrag beschlossen. Nach mehreren gescheiterten Initiativen von Bundestags-Opposition oder Bundesrat in früheren Legislaturperioden liegt derzeit im Bundestag ein Antrag von FDP, Grünen und Linken zur Ergänzung des Merkmals "sexuelle Identität" vor, zu dem auch SPD und Union Zustimmung signalisierten (queer.de berichtete). In einer Sachverständigenanhörung im Februar fand das Anliegen große Zustimmung (queer.de berichtete).
Debattiert wird noch, ob auch das Merkmal "geschlechtliche Identität" zum Schutz von trans, inter und nicht binären Personen aufgenommen werden sollte, wie es auch in und nach der Anhörung mehrere Sachverständige und Verbände forderten (queer.de berichtete). Einige argumentieren, dass der Schutz durch die jüngere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts durch Einbeziehung in das Merkmal "Geschlecht" gegeben sei und das unter einem passenden Begriff; andere fordern eine unmissverständliche und abgesicherte Aufnahme ins Grundgesetz.
Der Hamburger Antrag (PDF) geht darauf nicht ein. Er erinnert an die Verfolgungsgeschichte homosexueller Männer und Frauen, verweist auf noch heute prekäre Lagen wie aktuell in Polen und betont, dass auch in Deutschland "die Lebensführung etwa von schwulen Männern und lesbischen Frauen noch immer auf Vorbehalte" stoße, was sich in rechtlicher und sozialer Diskriminierung niederschlage. "Diese kann viele Ausprägungen haben und reicht von sozialem Boykott bis zur Verächtlichmachung, von rechtlicher Benachteiligung bis zu offener Gewalt", so der Antrag. Diese Realität erfordere grundsätzliche rechtliche Gegenmaßnahmen.
AfD-Abgeordneter empört mit Transfeindlichkeit und Pädophilie-Vergleich
Die AfD stimmte als einzige Fraktion gegen den Antrag. Der Abgeordnete Krzysztof Walczak provozierte durch seine Äußerungen zudem ein Zusammentreten des Ältestenrats. Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Grüne) warf Walczak im Anschluss "Diskriminierung im großen Stil" vor. Sie finde es unerträglich, "wie Sie Menschen ihr Geschlecht, ihre Identität absprechen". Das brachte ihr längeren Applaus aller Nicht-AfD-Abgeordneten ein.
Walczak hatte "argumentiert", dass der Begriff "sexuelle Identität" alles mögliche umfassen könne und etwa die "subjektive Selbstidentifikation" schütze: "Gerade auf dem Gebiet der Transsexualität ergeben sich so weitreichende Konsequenzen für die Meinungs-, Religions- und Wissenschaftsfreiheit. Ich bin beispielsweise der Meinung, dass es nicht möglich ist, sein Geschlecht zu ändern." Früher sei das "unbestrittene naturwissenschaftliche Tatsache" gewesen, "die man nicht gegen eine linke Fantasiewelt verteidigen musste. Eine männliche Transperson [gemeint ist eine trans Frau, Anm. d. Red.] ob mit oder ohne operativen Eingriff bleibt doch ein Mann", so Walczak. Das ließe sich durch eine Analyse des Erbguts feststellen – "von der Zeugung bis zum Tod".
Walczak sitzt seit dem Frühjahr in der Bürgerschaft
Laut Walczak würde mit dem Begriff "sexuelle Identität" auch eine Anerkennung von Zoophilie oder Pädophilie drohen. Anschließend unterstellte er in der offenbar zur viralen Verbreitung gedachten Rede den Grünen unter Hinweis auf die rund 40 Jahre zurückliegende Haltung einzelner Grünen-Politiker zur Pädophilie, dass der Verdacht bestehe, dass sie mit dem Antrag "weiterhin auf eine Dekriminalisierung der Pädophilie hinarbeiten".
Der Begriff "sexuelle Identität" ist schon länger in deutschen Gesetzen auf allen Ebenen und in der deutschen Rechtsprechung eingeführt, so wird er etwa seit 2006 im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz verwendet. (dpa/cw)