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Bundeswehr

Bis zum Jahr 2000 galt Homosexualität als "Sicherheitsrisiko"

Für schwule Männer in der Bundeswehr bedeutete eine Entdeckung lange Zeit das Ende der Karriere, mitunter auch der zivilen Existenz. Eine Pilotstudie von Militärforschern arbeitet die Diskriminierung auf. Erst vor zwanzig Jahren gab es den entscheidenden Kurswechsel.


Soldaten des Wachbataillons (Bild: Wir. Dienen. Deutschland. / flickr)
  • Von Carsten Hoffmann, dpa
    17. September 2020, 06:37h 9 4 Min.

Die Bundeswehr geht entschieden auf Distanz zu der bis in das Jahr 2000 andauernden systematischen Benachteiligung von homosexuellen Soldaten. "Die Praxis der Diskriminierung Homosexueller in der Bundeswehr, die für die Politik der damaligen Zeit stand, bedauere ich sehr. Bei denen, die darunter zu leiden hatten, entschuldige ich mich", erklärte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) im Vorfeld der Veröffentlichung einer Studie zu politischen Linie in vergangenen Jahrzehnten (queer.de berichtete). "Ich möchte die Erkenntnisse der Studie nutzen, um die Vergangenheit weiter aufzuarbeiten und das Gesetzesvorhaben für die Rehabilitierung der Betroffenen voranzubringen", so Kramp-Karrenbauer weiter.

Sozialforscher der Bundeswehr haben die jahrzehntelange Praxis einer juristischen Verfolgung Homosexueller mit Entfernung aus dem Dienstverhältnis erstmals umfassend beleuchtet. "Gleichgeschlechtliche Orientierung galt in der Bundeswehr bis zur Jahrtausendwende als Sicherheitsrisiko und machte eine Karriere als Offizier oder Unteroffizier unmöglich", schreiben die Wissenschaftler in der Untersuchung, die Kramp-Karrenbauer am Donnerstag in Berlin vorstellen will. Das Event wird ab 18 Uhr live im Internet gestreamt.

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Schwuler Kompaniechef: "Dann brach die Hölle los"

"Dann brach die Hölle los", erinnert sich laut Studie ein 1981 als Kompaniechef abgelöster Hauptmann, dessen Fall betrachtet wird. Beste Beurteilungen hatten glänzende Berufsaussichten erwarten lassen. "All das war urplötzlich nichts mehr wert, denn der Hauptmann war schwul", heißt es. Eine Verkettung von Zufällen hatte dies dem Dienstherrn bekannt gemacht. Sein Lebenspartner war zum Wehrdienst eingezogen worden und sollte im Offiziersheim der Kaserne eingesetzt werden – unter Führung des Hauptmanns. Die Beziehung der beiden Männer war bereits vor der Einberufung des Jüngeren beim Militärischen Abschirmdienst (MAD) aktenkundig geworden. Der Hauptmann wurde des Dienstes enthoben, ihm wurde verboten, eine Uniform zu tragen oder eine Kaserne zu betreten. Ziel war die Entfernung aus dem Dienst, was der Mann vor dem Bundesverwaltungsgericht abwenden konnte.

Doch oftmals – auch das wird deutlich – haben die zivilen Gerichte auf Entlassung entschieden. "Wurden Soldaten wegen homosexueller Handlungen nach § 175 StGB verurteilt, folgten auf das Strafurteil regelmäßig eine Anschuldigung durch den Wehrdisziplinaranwalt und eine Verurteilung durch die Truppendienstgerichte. Dabei spielte keine Rolle, ob es sich um einvernehmlichen Sex handelte", stellen die Forscher fest.

Eine Unterscheidung zwischen Missbrauch – der auch heute verfolgt wird – und einvernehmlichem Sex gab es in früheren Zeiten oftmals nicht, was es bis heute schwer macht, die Zahl der Opfer dieser Politik genau zu beziffern. "Die Zahlen für 1965 und 1966 zeigen eine erstaunliche Kontinuität von jährlich rund 45 verurteilten Soldaten", stellen die Forscher aber fest.

Ursula von der Leyen gab Studie in Auftrag

Die Pilotstudie wurde im Auftrag des Verteidigungsministeriums verfasst. Das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr hat unter dem Titel "Zwischen Tabu und Toleranz" den Umgang der Bundeswehr mit Homosexualität von 1955 bis zur Jahrtausendwende nach eigenen Angaben erstmals "auf breiter Quellenbasis" und wissenschaftlich untersucht. Auch interne Papiere des Ministeriums und Entscheidungen von Truppendienstgerichten wurden ausgewertet.

Der Umgang mit Homosexualität in der Bundeswehr sei nicht ohne das Verständnis von Homosexualität in der westdeutschen Gesellschaft zu verstehen, schreiben die Autoren. Das Disziplinarrecht der Bundeswehr sei den allgemeinen Rechtsnormen gefolgt. Bis 1969 habe eine Verurteilung wegen § 175 StGB auch für Beamte in der Regel die Entfernung aus dem Dienstverhältnis bedeutet.

Nach der Entkriminalisierung der Homosexualität 1969 entschied der Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts 1970 folgerichtig, dass diese Handlungen von Soldaten kein Dienstvergehen mehr darstellten – es sei denn, es gab einen dienstlichen Bezug. Die Auslegung eröffnete der Bundeswehr allerdings einen eigenen Handlungsspielraum. so die Wissenschaftler. In den frühen Siebzigerjahren galt der dienstliche Bezug demnach bereits als gegeben, wenn zwei Soldaten sexuelle Beziehungen privat unterhielten, ohne dienstliche Kontakte.

Rudolf Scharping vollzog die Kehrtwende


Erst SPD-Verteidigungsminister Rudolf Scharping vollzog im Jahr 2000 die Kehrtwende. Vorher – im Jahr 1998 – hatte ein von seinem Dienstposten abgelöster Zugführer Verfassungsbeschwerde eingelegt. Scharping setzte "gegen den erklärten Willen und hartnäckigen Widerstand der militärischen Führung der Streitkräfte", so die Forscher, einen neuen Kurs durch. Der Kernsatz vom 3. Juli 2000 sei "unaufgeregt" gewesen: "Homosexualität stellt keinen Grund für Einschränkungen hinsichtlich Verwendung oder Status und somit auch kein gesondert zu prüfendes Eignungskriterium dar."

Das Verteidigungsministerium hat die komplette, 365-seitige Studie "Tabu und Toleranz. Der Umgang der Bundeswehr mit Homosexualität von 1955 bis zur Jahrtausendwende" am Mittwoch auf seiner Homepage bereits als PDF zum Download veröffentlicht.

#1 Taemin
  • 17.09.2020, 10:19h
  • Schon anlässlich der Wörner-Affäre in den frühen 80ern, als Verteidigungsminister Wörner den vermeintlich homosexuellen General Kießling feuerte, wurde weithin geglaubt, dieser Skandal sei die Initialzündung für die Abschaffung der Diskriminierung homosexueller Soldaten. Das war leider eine völlige Fehleinschätzung. Die ging ungebremst noch bis zum Beginn des neuen Jahrtausends weiter.
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#2 gayflecktarnhoseProfil
  • 17.09.2020, 12:06hBremen
  • Hallo,
    bis zum Jahre 2000 war die Diskriminierung
    homosexueller Soldaten doch an der Tagesordnung und wenn wir es genau nehmen
    auch noch danach.
    Die damaligen Regierungen hatten doch überhaupt
    kein Interesse daran dieses Thema zu legalisieren,
    denn homosexuelle gehörten doch nicht zur
    Normalität.
    Und die Bundeswehr hat es bis zum heutigen Tag
    nicht geschafft diese Soldaten zu rehabilitieren.
    Mann redet nur immer um den heissen Brei rum
    seit 20 Jahren , sehr traurig
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#3 g_kreis_adventProfil
  • 17.09.2020, 12:31hBerlin-Prenzlauer Berg
  • Ich habe von dieser Studie nicht viel erwartet, sie ist unvollständig!

    Zwei Beispiele:
    Das Schicksal der Soldaten der Nationalen Volksarmee wurde nicht beachtet und erforscht. Und das 30 Jahre nach der Wiedervereini-gung!
    Auch die Schicksale aus der Zeit des 2. Weltkrieges sind unvollstän-dig, schlecht erforscht. Ich erinnere nur an Friedrich Klein. Er wurde 1935 Pfarrer der Immanuel-Kirchengemeinde in Berlin-Prenzlauer Berg. Der Gefreite und Pfarrer wurde 1942 er aus dem Kirchendienst entfernt, nachdem er vom 3. Senat des Reichs-kriegsgerichts (wegen "Verführung" eines minderjährigen 19-Jährigen Unteroffiziers Karl-Heinz Scheuermannnach Paragraf 175 verurteilt worden war (Volljährigkeit begann damals mit 21). Am 1. September 2020 wurde er durch den Landesbischof der EKBO Christian Stäblein rehabilitiert. Dazu ausführlich auf:
    evkap.de/page/111/1-september-2020-pfarrer-friedrich-klein-e
    ndlich-rehabilitiert


    Dies sind zwei Opfer aus der faschistischen Wehrmacht. Warum wurde nicht gründlicher nach Opfern geforscht. Eigentlich wäre es Aufgabe dieser Studie!

    Sicher das Verteidigungsministerium ist für die Polizei nicht zu-ständig. Trotzdem wer kümmert sich um die Opfer der Volkspolizei der DDR und der Polizei in der BRD die Opfer der Verfolgung wurden?
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