Auf das Thema Homosexualität angesprochen erklärte der mögliche CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz am Sonntagabend, dass er kein Problem damit habe, "solange es nicht Kinder betrifft". Die Äußerung führte kurze Zeit später zu einem anhaltenden Shitstorm gegen den 64-Jährigen (queer.de berichtete).
Merz will sich allerdings nicht für dafür entschuldigen, einen Zusammenhang zwischen Homosexualität und sexuellem Kindesmissbrauch hergestellt zu haben – und hält Kritik an seiner Person ganz im Trump-Stil für politisch motivierte Lügen, wie er im Interview mit der "Welt" erklärte: "Das ist ein bösartig konstruierter Zusammenhang, der in keiner meiner Äußerungen vorkommt", behauptete Merz. "Wer keine Sachargumente hat, dem bleiben eben nur persönliche Angriffe. Aber das kann ich einschätzen und aushalten." Er warf seinen nicht namentlich genannten Gegner*innen vor, "Klischees" und "Zerrbilder" über ihn zu verbreiten.
In dem "Welt"-Interview betonte der CDU-Politiker zugleich in direktem Zusammenhang zu seinem früheren Zitat: "Die Toleranzgrenze ist immer überschritten, wenn Kinder betroffen sind, und da haben wir nun genug abscheuliche Dinge gesehen in letzter Zeit. Das werde ich so auch in Zukunft sagen, selbst wenn es offenbar dem einen oder anderen nicht gefällt." Auch stellte er Homosexualität gegenüber "Welt" als "Lebensentwurf" und in einem Tweet als "Privatangelegenheit" dar.
In dem "Bild"-Video-Interview vom Sonntag war Merz auf frühere Aussagen zu Klaus Wowereit angesprochen und gefragt worden, ob er Vorbehalte gegen einen schwulen Bundeskanzler hätte. Darauf antwortete er: "Die Frage der sexuellen Orientierung geht die Öffentlichkeit nichts an. Solange sich das im Rahmen der Gesetze bewegt und solange es nicht Kinder betrifft – an der Stelle ist für mich allerdings eine absolute Grenze erreicht -, ist das kein Thema für die öffentliche Diskussion."
Selbst Kritik aus Union
Derweil hagelt es weitere Kritik von Bundespoltiker*innen. Der offen schwule Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) antwortete auf die Frage, was eine solche Aussage eines Parteifreundes bei ihm auslöse: "Naja, wenn die erste Assoziation bei Homosexualität Gesetzesfragen oder Pädophilie ist, dann müssen Sie eher Fragen an Friedrich Merz richten, würde ich sagen."
Andere schwule CDU-Politiker waren weniger zurückhaltend mit ihrer Kritik an Merz. Marius Hegmann von der Jungen Union Frankfurt erklärte etwa auf Twitter: "Mir fehlen die Worte."
Auch Alexander Vogt, der Bundesvorsitzende der Lesben und Schwulen in der Union, kritisierte die Äußerungen von Merz "aufs Schärfste".
SPD-Generalsekretär fordert Entschuldigung
Scharfe Kritik kommt auch von der SPD, dem christdemokratischen Koalitionspartner im Bund. Generalsekretär Lars Klingbeil frotzelte etwa: "Friedrich möchte aus dem letzten Jahrhundert abgeholt werden." Gegenüber der "Bild"-Zeitung fuhr der Sozialdemokrat fort: "Schwule immer in den Verdacht zu rücken, dass da etwas mit Kindern sei, zeigt ein rückständiges Denken", so Klingbeil. "Da ist eine deutliche Entschuldigung fällig."
Der offen schwule Juso-Chef und SPD-Vizechef Kevin Kühnert kommentierte: "So laviert jemand, der nicht kaschieren kann, dass er mit der Normalisierung des Umgangs mit Homosexualität eigentlich nichts anfangen kann. Insbesondere schwule Männer kennen dieses Phänomen vom Evergreen: 'Ist mir doch egal, ob der schwul ist, solange er mich nicht anpackt.'" Wer Kanzler werden möchte, sollte laut Kühnert "eine Sprache sprechen, die in sensiblen Feldern von Antidskriminierung und der Gleichberechtigung aller Menschen keinen Platz für Interpretationen und doppelte Böden lässt".
"Sexuelle und geschlechtliche Identität sind keine Privatangelegenheit Herr Merz", kommentierte die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld. "Sonst würden alle LSBTIQ+ Personen wieder unsichtbar in unserer Gesellschaft. Wollen Sie das wirklich?"
Auch andere Merz-Äußerungen im "Bild"-Interview vom Sonntag wurden scharf kritisiert – etwa eine Ausführung zur Arbeitsmoral der Deutschen in Corona-Zeiten ("Es gewöhnen sich zu viele Menschen daran, nicht zu arbeiten"). Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner kritisierte deshalb die "verbohrte Weltsicht" von Merz.
Unterdessen werden auch immer mehr ältere homosexuellenfeindliche Äußerungen von Merz in sozialen Netzwerken diskutiert. So wird darauf hingewiesen, dass er in der Vergangenheit etwa Schwulen vorgeworfen hatte, dem heterosexuellen Familienbild zu schaden. (dk)
Tja, meine Homosexualität ist also ein Lebensentwurf. Da saß ich da als Kind und hab mir gedacht: ach, da werde ich wohl mal schwul. Oder habe ich mich mit 16 für diesen Lebensentwurf entschieden? Aber auf jeden Fall bin ich Merz und Co. so dankbar, dass ich leben darf, wie ich bin, dass ihr so liberal seid und mich nicht erschlagt, in die Konerceesionstherapie schickt, mit dem Paragrafen 175 verfolgt oder wie eure Väter mich ins KZ bringt. Danke! Ironie Ende.