Hendrik Steeck ist Professor für Virologie und Direktor des Institutes für Virologie und HIV-Forschung an der Medizinischen Fakultät der Universität Bonn
Was gibt es Neues bei der HIV-Impfstoff-Forschung?
Man kann bei einem Impfstoff, ähnlich wie bei SARS-CoV2, erst wirklich sagen, ob der funktioniert, wenn man ihn getestet hat. Bei der HIV-Impfstoffforschung laufen derzeit zwei große Studien. Vorsichtig optimistisch bin ich beim MOSAICO-Impfstoffversuch, der derzeit in Europa und Amerika getestet wird. Im Affenversuch zeigte er zunächst einen Schutz in ungefähr 65 Prozent der Fälle. Er wurde dann weiterentwickelt und zeigt jetzt eine Effektivität von über 90 %. Natürlich kann man vom Affen nicht gleich auf den Menschen schließen. Nächstes und übernächstes Jahr wissen wir dann mehr.
Hat eigentlich die Forschung nach einem Corona-Impfstoff die Forschung nach einem HIV-Impfstoff gebremst?
Nein, das kann man so nicht sagen. Wir sind ja beim HIV-Impfstoff schon in der dritten Testphase, also weit fortgeschritten, und Corona beeinflusst nicht wirklich die Testung. Was aber leider passiert ist, dass einige Zentren die Rekrutierung von Probanden ein bisschen gestoppt haben.
Welche Wechselwirkungen gibt es bei Erkrankungen von HIV und Corona, wenn beide Infektionen gleichzeitig auftreten?
Es gibt keine bekannten Wechselwirkungen zwischen HIV und einer Corona-Infektion. Zunächst nahm man an, dass einige HIV-Medikamente auch vor Corona schützen könnten, aber das hat sich nicht bestätigt. Ein HIV-Positiver, der therapiert wird und bei dem das HI-Virus unter der Nachweisgrenze ist, hat kein höheres Risiko als ein HIV-Negativer.
Ist Geschlechtsverkehr außerhalb einer Beziehung in Zeiten der Pandemie unverantwortlich?
Das Coronavirus ist Teil von unserem Leben geworden. Es kann gut sein, dass es Jahre dauert, bis wir einen guten Impfstoff haben. Wir müssen also einen Weg finden, damit zu leben, ohne den Alltag komplett zu pausieren. SARS-CoV2 wird vor allem dort häufig übertragen, wo viele Menschen zusammenkommen, feiern, rufen, singen oder sonst wie Aerosole und Tröpfchen abgeben. Aber jetzt generell zu sagen, man sollte abstinent sein, dass kann man nicht ernsthaft fordern. Ich glaube, wir müssen mehr auf Eigenverantwortung bauen. Je besser wir aufeinander Acht geben und uns bewusst sind, dass beim Treffen auch Viren übertragen werden können, desto besser kann man auch gehäufte Übertragungen unterbinden. Wir können das Infektionsgeschehen nicht komplett aufhalten.
Einige schwule Saunen wurden geschlossen, andere wiederum nicht. Ist das aus viraler Sicht notwendig oder diskriminieren die Ordnungsämter da nicht die Saunabetreiber und deren Gäste?
Ich glaube, man weiß noch sehr wenig über die Übertragungsmöglichkeiten in Saunen. Mir ist kein gesicherter Fall einer Coronavirus-Übertragung in einer Sauna bekannt. Größere Ausbrüche haben hier bisher offenbar nicht stattgefunden, das heißt aber nicht, dass es nicht sein kann. Wenn aber ein Saunabetreiber ein gutes Hygienekonzept präsentiert, wo es nicht zu großen Übertragungen kommen kann, dann finde ich, ist das mehr als einen Gedanken wert, dass man die Saunen wieder öffnen sollte. Wichtig ist, beim Sex das Risiko einer Ansteckung, wie auch bei HIV und anderen sexuell übertragbaren Krankheiten, zu minimieren.
Das Maskentragen ist lästig und unangenehm. Würde es wissenschaftlich nicht ausreichen, wenn man sie nur beim Sprechen aufsetzen würde?
Wir wissen, dass es zum Beispiel im Supermarkt keine großen Übertragungsmöglichkeiten gibt. Die Frage, ob es nicht ausreicht, wenn man sie nur beim Sprechen aufsetzt, kann man – rein wissenschaftlich betrachtet – nicht vollständig beantworten, da die Datenlage noch zu dünn ist. Es ist eine grobe Vorsichtsmaßnahme, Feinheiten kann man abstimmen, wenn wir mehr darüber wissen. Wichtig ist, sich nicht verrückt machen zu lassen. Daher wünsche ich mir, dass wir gesellschaftlich an dem Punkt ankommen, bei dem wir in unserem gegenseitigen Umgang mehr Achtsamkeit zeigen, und Eigenverantwortung an den Tag legen. Wobei sich jeder immer die Frage stellen sollte, ob es in einer Situation sinnvoll ist, eine Maske zu tragen oder nicht. Wenn man zu diesem Punkt kommt, dann braucht es weniger Verbote, stattdessen Gebote, und das ist ein besserer Weg für einen gesellschaftlichen Zusammenhalt in diesem Marathonkampf gegen die Pandemie.
Würden Sie sich selbst impfen lassen, sobald ein Impfstoff zur Verfügung steht?
Das kann ich pauschal nicht beantworten. Ich bin ein Impf-Fan. Das ist mein Hauptforschungsschwerpunkt. Bei Corona hängt es entscheidend davon ab, welcher Impfstoff es ist, ob er lange genug getestet wurde, und was für ein Nebenwirkungsprofil vorliegt.
Das Interview ist ein Vorabdruck aus der Oktober-Ausgabe des queeren NRW-Magazins "Fresh", die am Dienstag erscheint.