Noch am Sonntag, nur wenige Stunden nach ihrer Vereidigung als vermutlich erste trans Ministerin der Welt, hatte sich Petra De Sutter auf Twitter gefreut, "dass in Belgien und den meisten EU-Ländern meine Geschlechtsidentität mich nicht als Person definiert und kein Thema ist". Nur wenige Tage später wurde sie zur Zielscheibe einer transfeindlichen Attacke der rechtsextremen Opposition.
De Sutter sei die "Personifizierung des kulturellen Marxismus", attackierte der Abgeordnete Bart Claes von der rechtsextremen Partei "Vlaams Belang" die Grünen-Politikerin am Donnerstag auf Facebook – eine offensichtliche Anspielung auf ihre Transition. Die 57-jährige frühere EU-Abgeordnete wolle "alle Eckpfeiler der westlichen Zivilisation zerstören und ersetzen", schrieb Claes in seinem Post. Bei der Parlamentswahl im vergangenen Jahr erzielte "Vlaams Belang" einen landesweiten Stimmenanteil von 12 Prozent.
Ausschnitt aus dem Facebook-Post von Bart Claes
Die Entgleisung des rechtsextremen Politikers löste in Belgien eine Welle der Empörung aus. Der Fraktionschef der flämischen Grünen Björn Rzoska verurteilte Claes' Äußerungen laut einem Bericht der "Brussel Times" als Versuch, seine Parteifreundin zu entmenschlichen.
Transhintergrund spielte zuvor kaum eine Rolle
Die Gynäkologin Petra De Sutter war am Wochenende als Ministerin für Beamtenangelegenheiten und öffentliche Betriebe sowie als eine von insgesamt acht stellvertretenden Premierminister*innen im neuen Kabinett von Alexander De Croo vereidigt worden. Ihr Transhintergrund hatte in den belgischen Medien bislang kaum eine Rolle gespielt.
In die Politik stieg die Ministerin der sogenannten Vivaldi-Koalition aus Sozialdemokraten, Liberalen, Grünen und den flämischen Christdemokraten erst vor sechs Jahren ein. Als erste trans Person in einer der beiden Parlamentskammern wirkte De Sutter seit 2014 im belgischen Senat an progressiven Gesetzen wie einer Reform des Transsexuellenrechts oder der Fortpflanzungsmedizin mit. Im vergangenen Jahr gelang ihr der Einzug ins EU-Parlament. Dort war sie zuletzt Vorsitzende des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz (queer.de berichtete).
De Sutter promovierte 1991 in biomedizinischen Wissenschaften, wurde als Gynäkologin und Professorin anerkannt und arbeitete zuletzt neben ihrer politischen Tätigkeit als Teilzeitprofessorin und Leiterin der Abteilung für Reproduktionsmedizin am Universitätsklinikum Gent. Über ihre Transition im Jahr 2004 berichtete sie später in ihrem Buch "[Über]leben". Auch wenn sie sich stets für LGBTI-Rechte einsetzte, legte sie immer Wert darauf, nicht auf ihren Transhintergrund reduziert zu werden. "Ich möchte, dass die Leute wegen meiner Arbeit, wegen meiner politischen Handlungen über mich sprechen", sagte sie im vergangenen Jahr im Interview mit dem Portal Sisters of Europe.
Bundesverband Trans* gratuliert De Sutter
"In der Geschichte der EU hat noch keine trans* Person ein so hohes Amt eingenommen", begrüßte der deutsche Bundesverband Trans* (BVT*) die Ernennung De Sutters zur stellvertretenden Ministerpräsidentin. "Dies ist ein wichtiges politisches Signal, besonders da in anderen europäischen Ländern die Rechte von trans* Personen in den letzten Monaten stark beschnitten wurden oder es Pläne gibt, dies zu tun", sagte Pressesprecher*in Gabriel_Nox Koenig gegenüber queer.de. "Aus Ungarn, Polen und Großbritannien erreichen uns besorgniserregende Nachrichten."
Dass De Sutter gerade in Belgien Ministerin wurde, ist für den BVT* "kein Zufall", sondern spiegele die im Vergleich zu Deutschland bessere Menschenrechtslage und Akzeptanz von trans Personen wider. Tatsächlich belegt das kleine Nachbarland im aktuellen LGBTI-Rechte-Ranking "Rainbow Europe" Platz zwei, während die Bundesrepublik nur auf Platz 16 landet
Vor transfeindlicher Hetze ist mensch jedoch leider auch in Belgien nicht gefeit.