Der Tod Jelena Grigorjewas hatte Menschen auf der ganzen Welt entsetzt
Ein St. Petersburger Gericht hat am Montag einen Mann zu acht Jahren und einen Monat Haft in einem Hochsicherheits-Straflager wegen Mordes an der LGBTI-Aktivistin und Bürgerrechtlerin Jelena Grigorjewa verurteilt. Er hatte in einem Verhör und dann vor Gericht gestanden, die damals 41-Jährige im Sommer 2019 angetrunken und im Streit getötet zu haben.
Der Mord an der bisexuellen Aktivistin hatte zu Schlagzeilen im In- und Ausland geführt. Ihre Leiche war nach der Tatnacht am 21. Juli von einem Passanten in Büschen vor einem Wohnhaus in der Nähe der Wohnung der Aktivistin gefunden worden (queer.de berichtete). Eine Obduktion ergab acht Messerstiche in Rücken und Kopf sowie Anzeichen einer Strangulation.
Der grausame Mord ließ ein Hassverbrechen befürchten – zumal der Name Grigorjewas in jenen Wochen auf einer im Internet verbreiteten anonymen Todesliste auftauchte, deren Hintergründe nie geklärt wurden. Das LGBT Network vermutete, dass die an die Horror-Film-Reihe "Saw" angelehnte Liste mit Namen von queeren Aktivist*innen möglicherweise nur der Einschüchterung diente (queer.de berichtete). Aufforderungen an die Behörden, die Hintergründe zu untersuchen, verhallten allerdings.
Grigorjewa im April 2019 bei einem Protest zum Tag des Schweigens in St. Petersburg. Sie und weitere LGBTI-Aktivisten wurden deswegen festgenommen (queer.de berichtete)
Grigorjewa hatte vor ihrem Tod angegeben, von einem landesweit berüchtigten Anti-LGBTI-Aktivisten aus St. Petersburg bedroht worden zu sein. Bekannte berichteten, sie hätte nach ihrem Coming-out wenige Monate zuvor auch Bedrohungen von Nachbarn erhalten und von früheren Bekannten, die teilweise aus dem nationalistischen Umfeld stammen, in dem sie sich ursprünglich engagiert hatte. Ferner habe sie wegen ihres sonstigen Engagements – sie nahm an Kundgebungen etwa für Krimtartaren oder für Tierrechte teil und wurde mehrfach festgenommen – weitere Bedrohungen erhalten. Auf diverse Anzeigen habe die Polizei nie reagiert.
Homo- und Bi-Phobie nicht als Motiv untersucht
Nach dem Mord hatte die Polizei allerdings schnell einen Verdächtigen festgenommen – und dann nach dessen Aussagen den nun Verurteilten (queer.de berichtete). Die Ermittler sprachen von einer Tat unter zwei Personen, die sich früher kannten und unter Alkoholeinfluss in jener Nacht an einer Parkbank in Streit gerieten. Der verurteilte Besitzer eines Elektrogeschäfts war wegen Drogendelikten vorbestraft. Appelle von queeren Organisationen und des Bürgerbeauftragten für Menschenrechte in St. Petersburg, den Fall näher auf Homo- oder Bi-Phobie sowie ein politisches Motiv zu untersuchen, verhallten.
"Die Ermittler konzentrierten sich ausschließlich auf die Version des alltäglichen Mordes und weigerten sich, weitere Motive zu überprüfen. In dieser Hinsicht halten wir die Untersuchung nicht für effektiv. Gegen das Urteil wird Berufung eingelegt", sagte Maxim Olenichev, Rechtsberater der LGBTI-Organisation "Exit".
Eine Anwältin der Gruppe hatte die Mutter der Getöteten vor Gericht vertreten und vergeblich einen Antrag gestellt, das Vorliegen eines – strafverschärfenden – Hassverbrechens zu prüfen. Gegenüber Medien sagte die Anwältin am Montag, sie glaube, der Angeklagte habe die Tat in dieser Form gestanden, um die Verantwortung für ein schwerwiegenderes Verbrechen zu vermeiden. So sei ein Hassverbrechen oder eine politische Motivation ebenso denkbar wie die Tatbeteiligung mehrerer Personen.
Grigorjewa engagierte sich beim "LGBT Network" und der "Hetero- und LGBT-Allianz für Gleichberechtigung" und hinterlässt eine 21-jährige Tochter. (nb)