Amy Coney Barrett am ersten Tag der Anhörung (Bild: Screenshot C-SPAN)
Im US-Senat hat am Montag die Anhörung der Juristin Amy Coney Barrett begonnen. Die 48-Jährige war vor zwei Wochen von US-Präsident Donald Trump als Richterin auf Lebenszeit am Supreme Court, der US-Version des Bundesverfassungsgerichts, vorgeschlagen worden (queer.de berichtete). Die erzkatholische Richterin gilt als erbitterte Gegnerin von LGBTI-Rechten.
Demokratische Politiker*innen warnten am Montag eindrücklich vor der dritten Ernennung Trumps für das neunköpfige Gremium, in dem dann sechs konservative "Justices" drei eher linksliberalen Richter*innen gegenübersitzen würden. Sie verwiesen auch darauf, dass die Republikaner 2016 nach dem Tod von Richter Antonin Scalia rund ein Jahr lang die Neubesetzung eines vakanten Richterpostens durch Trumps Vorgänger Barack Obama verhindert hätten – mit dem Argument, dass man erst die Wahlen im November abwarten müsse, damit die Amerikaner*innen ein Mitspracherecht erhalten.
Auch Senatorin und Vizepräsidentschaftskandidatin Kamala Harris signalisierte bei der Anhörung ihre Ablehnung Barretts. Die Kalifornierin deutete an, dass nun Gefahr bestehe für die Urteile "'Loving v. Virginia' und 'Obergefell v. Hodges', die anerkennen, dass Liebe Liebe ist und die Ehe für alle eine geltende Rechtsnorm". "Loving" war ein Urteil aus dem Jahr 1967, das das Verbot für heterosexuelle Ehen zwischen schwarzen und weißen Partner*innen in großen Teilen der Südstaaten für verfassungswidrig erklärte – "Obergefell" erklärte dann 2015 auch das Verbot gleichgeschlechtlicher Ehen für verfassungswidrig (queer.de berichtete). Beide Urteile basieren auf dem Gleichbehandlungsartikel in der US-Verfassung (14th amendment).
Im Sender MSNBC warnte zudem Pete Buttigieg, der erste offen schwule Präsidentschaftskandidat der Demokraten bei den Vorwahlen, dass sich Barrett den extrem homophoben Richtern Samuel Alito und Clarence Thomas anschließen könnte. Die beiden Juristen hatten erst vor einer Woche ein erneutes Ehe-Verbot für Schwule und Lesben ins Spiel gebracht (queer.de berichtete).
Juristische Expertise aus dem 18. Jahrhundert
Barrett begründet ihre teils eigentümlichen Beurteilungen mit ihrer Identität als "Originalistin" der US-Verfassung. Sie vertritt also die juristische Auffassung, dass die Intention der Verfassungsväter aus dem 18. Jahrhundert ausschlaggebend für die heutige Beurteilung der "US Constitution" sei – und nicht zeitgenössische Beurteilungen. Freilich lebten die Verfassungsväter in einer Zeit, in der teilweise die Todesstrafe auf Homosexualität stand. Außerdem war Sklaverei erlaubt und Frauen durften weder wählen noch ein Richteramt bekleiden – die erste Richterin am Supreme Court wurde 1981 ernannt.
Sorgen bereitet Aktivist*innen auch, dass Barrett enge Kontakte mit der christlich-fundamentalistischen Organisation Alliance Defending Freedom (ADF) hat, die von der Bürgerrechtsorganisation Southern Poverty Law Center wegen ihrer Homosexuellenfeindlichkeit als "Hassgruppe" eingestuft wird. Die ADF setzt sich unter anderem dafür ein, Homosexualität wieder zu einer Straftat zu machen. Barrett soll unter anderem in den letzten neun Jahren fünf Mal von der ADF bezahlt worden sein, um eine Rede bei einem Trainingsprogramm für christliche Jura-Studierende zu halten.
#WeDissent
LGBTI-Aktivist*innen protestierten unter dem Hashtag #WeDissent (Wir widersprechen) gegen die Nominierung der Kandidatin: "Amy Coney Barrett ist eine Gefahr für unsere Grundrechte und sollte nicht in den Supreme Court berufen werden", erklärte etwa die Human Rights Campaign, die größte LGBTI-Organisation der Vereinigten Staaten, auf Twitter. "Wir sind stolz darauf, Bürgerrechtsorganisationen im ganzen Land in ihrer Ablehnung der Nominierung zu unterstützen."
Bereits zuvor hatte die Human Rights Campaign in einem zwölfseitigen Papier davor gewarnt, dass Barrett die juristische Philosophie des 2016 verstorbenen Antonin Scalia wiederbeleben könnte (PDF). Scalia hatte stets gegen LGBTI-Rechte gestimmt – nicht nur gegen die Ehe-Öffnung 2015, sondern beispielsweise auch gegen die Aufhebung von Homo-Verboten im Fall Lawrence v. Texas aus dem Jahr 2003. Damals hatten noch 14 der 50 Bundesstaaten homosexuelle Aktivitäten unter Strafe gestellt.
Auch in anderen Fragen befürchtet die liberale Opposition, dass Barrett im Supreme Court ihre Macht einsetzen könnte, um dem Land konservative Ideale aufzuzwingen. So wird befürchtet, dass ein konservatives Höchstgericht die Gesundheitsreform von Präsident Barack Obama rückgängig machen könnte oder Bundesstaaten erneut ein totales Abtreibungsverbot einführen dürfen. Zudem könnte das Gericht bei einem knappen Wahlergebnis oder beim Streit um Briefstimmen Trump zum Sieger erklären, auch wenn eine Mehrheit für Biden gestimmt hätte.
Barrett muss noch eine Mehrheit im US-Senat hinter sich bringen, was als sicher gilt. Die Republikaner haben in der parlamentarischen Länderkammer eine Mehrheit von 53 zu 47 Sitzen. Zwar haben zwei relativ gemäßigte republikanische Senatorinnen aus Maine und Alaska die Ernennung der Kandidatin vor den Präsidentschaftswahlen abgelehnt, alle anderen stehen aber in dieser Frage hundertprozentig hinter dem Präsidenten. Selbst wenn Trump und die Senatsrepublikaner die Wahl verlieren würden, hätten sie noch bis Anfang Januar 2021 Zeit, die Nominierung durchzudrücken – denn erst dann tritt der neue Senat zusammen.
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Warum sagt man sowas öffentlich? - Weil man als Richter zwar keine Politik machen darf, aber ein Hinweis an die richtige Adresse einen Stein ins Rollen bringen kann. Das gesellschaftliche Klima ist ohnehin schon so vergiftet, dass da kaum ein nennenswerter Widerstand zustande käme.