"Eigenbrötlerisch, introvertiert, zergrübelt, mit Leben und Beruf uneins, nonkonformistisch und nachdenklich" – so beschreibt eine Online-Biografie auf der ersten Google-Trefferseite den Hollywood-Star Montgomery Clift. Dazu kommt ein bisschen Selbsthass aka internalisierte Homophobie, eine gehörige Portion Alkohol und melancholische Einsamkeit – fertig ist der Ruf des tragischen schwulen Filmhelden.
Die US-Sendung "Mysteries and Scandals", die solche und ähnliche Schicksale (Marilyn Monroe, James Dean, Freddie Mercury – alle waren dabei) ausgeschlachtet hat, hat sich 1998 schon in der neunten Folge "Monty" Clift gewidmet. Und es dramatisch, fast überhöht auf den Punkt gebracht: Er sei ein "emotional gequälter, drogenabhängiger Alkoholiker, der in einer sich selbst auferlegten Hölle lebt".
Ein Lehrstück über verfälschende Star-Biografien
Poster zum Film: "Making Montgomery Clift" startet am 17. Oktober 2020 im Kino
Robert Clift, der jüngste Neffe von Monty, zeigt diese Szene aus dem Boulevard-Magazin früh in seinem Dokumentarfilm "Making Montgomery Clift", um dann in mühevoller Kleinarbeit das Standard-Bild seines Onkels zu dekonstruieren und geradezurücken.
Dafür hat er das persönliche Archiv seines Vaters, Montys Bruder, durchwühlt. Geholfen hat dabei, dass sein Vater als ehemaliger US-Geheimdienstmitarbeiter in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg fast manisch alles gesammelt, aufgeschrieben und aufgezeichnet hat.
So lebt der Film von originalen Audiomitschnitten, von persönlichen Gesprächen und Telefonaten, die mit historischen Foto- und Videoaufnahmen bebildert werden. Dazu kommen Interviews mit Wegbegleiter*innen von Monty, etwa der Biografin Patricia Bosworth oder dem 2015 verstorbenen Schauspieler und Montys früherer Lover Jack Larson.
Oft scheint "Making Montgomery Clift" für den Filmemacher Robert Clift eine persönliche Auseinandersetzung zu sein, eine späte familiäre Abrechnung mit denen, die das Bild von Monty (falsch) geprägt haben. So werden einzelne Sätze aus Patricia Bosworths Biografie seziert und einer Wahrheitsprüfung unterzogen, mit Archivnotizen oder Aussagen von Freund*innen verglichen. Eine mühsame, in eine Doku gegossene Sisyphos-Aufgabe – und ein Lehrstück darüber, welchen Einfluss wenige Menschen und das, was sie geschrieben haben, auf das öffentliche Andenken von Stars haben.
Ein besseres und authentischeres Licht für Monty Clift
So zeichnet Robert Clift seinen Onkel, der vor seiner Geburt gestorben ist, als einen fröhlichen, lachenden, humorvollen Menschen, für den Schauspielerei eine leidenschaftliche Arbeit war. Das zeigen Änderungen, die Montgomery Clift an Drehbüchern vornahm – im Film äußerst anschaulich im Splitscreen vorgeführt: Links Ausschnitte aus dem Film "Judgment at Nuremberg" ("Urteil von Nürnberg", 1961), rechts zum Mitlesen das Drehbuch mit Montys handschriftlichen Änderungen.
Seine Familie, sagt Robert Clift, habe Monty zweimal verloren: Erst durch seinen Tod und dann noch einmal durch die Geschichten über ihn, in denen sie sich nicht wiederfinden konnte. Mit seinem Film kratzt er am "Synonym einer schwulen Tragödie" und rückt ihn in ein besseres und vor allem authentischeres Ich – für seine Familie, aber auch für alle, die noch immer fasziniert von dem "außergewöhnlich gutaussehenden" Ausnahmeschauspieler sind. Und vielleicht nach dieser Doku umso mehr, wo sie wissen, dass er kein problembehafteter, sich hassender schwuler Mann war.
Eine ausführliche Würdigung Montgomery Clifts von Erwin In het Panhuis erscheint am Samstag auf queer.de.
Infos zum Film
Making Montgomery Clift. Dokumentarfilm. USA 2018. Regie: Robert Clift und Hillary Demmon. Laufzeit: 89 Minuten. Sprache: englische Originalfassung mit deutschen Untertiteln. FSK 6. Verleig: missingFILMs. Kinostart: 17. Oktober 2020
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Auch James Dean kann ihm nicht das Wasser reichen.
Hoffentlich wird dieser Film dem Menschen, der er war, gerecht.