Am 19. Oktober ist es endlich soweit: Das Serienereignis des Jahres ist endlich auch in Deutschland zu sehen. Dann nämlich sind alle 12 Folgen von "I May Destroy You", dem beeindruckenden, erschütternden und bewundernswert komplexen Meisterwerk von und mit Michaela Coel, in dem die Schauspielerin und Autorin die Geschichte ihrer eigenen Vergewaltigung und dem Umgang damit zum Thema macht, bei Sky Ticket und über Sky Q zum Abruf verfügbar.
An der Seite von Coel, die man auch dank Serien wie "Chewing Gum" oder "Black Earth Rising" kennt, ist ihr gute Freund und Studienkollege Paapa Essiedu ("Gangs of London") zu sehen. Der 30-Jährige spielt den schwulen besten Freund der Protagonistin, der seinerseits Opfer sexueller Gewalt wird. Wir konnten dem Briten ein paar Fragen stellen.
Poster zur Serie: "I May Destroy You" startet am 19. Oktober 2020 auf Sky Ticket und ist dann auch über Sky Q abrufbar
Mr. Essiedu, die Rolle des schwulen besten Freundes wird in Film und Fernsehen gerne schnell zum Klischee. Wie haben Sie sichergestellt, dass das bei "I May Destroy You" nicht der Fall ist?
Dass diese Figur nicht zum Stereotyp verkommt, war von Anfang an mein oberstes Anliegen. Aber zum Glück bestand diese Gefahr bei Michaela und ihrem Drehbuch auch nicht. Gemeinsam erschufen wir einen jungen schwulen schwarzen Mann, der nicht bloß eine Referenz an etwas Bekanntes war, sondern ganz und gar er selbst, in der Art wie er spricht, sich bewegt, existiert. Diese Individualität war für mich der Schlüssel in der Darstellung dieser Figur.
In der vierten Episode lernt der von Ihnen gespielte Kwame einen Mann über Grindr kennen. Der Sex beginnt einvernehmlich, endet allerdings übergriffig. Wie haben Sie sich dieser nicht unkomplizierten Szene angenähert?
Wir haben die Szene tatsächlich relativ ausgiebig geprobt und viel Zeit und Überlegungen in die Vorbereitung gesteckt. Wir wollten absolut sicherstellen, dass das Publikum versteht, was da passiert – und dass nicht viel dazu gehört, dass so ein intimer Moment umschlagen kann. Wo die Grenzen von Einvernehmen verlaufen bzw. dass sich diese im Verlauf einer sexuellen Begegnung auch verändern können, das ist der Kern dieser Szene, der sich unbedingt vermitteln sollte. Außerdem arbeiteten wir am Set mit der Intimitätskoordinatorin Ita O'Brian zusammen, die mit meinem Kollegen und mir die Körperlichkeit der Szene choreografiert hat.
Spürten Sie eine besondere Verantwortung bezüglich dieser Szene? Vergewaltigung und sexuelle Gewalt unter Männern wird als Thema ja häufig ignoriert.
Absolut, genau aus dem Grund. In den Medien wird das Thema quasi nicht verhandelt, noch viel weniger als Gewalt gegen Frauen. Deswegen war ich so beeindruckt, dass Michaela Platz dafür fand in ihrer Serie. Und wir haben viel Wert darauf gelegt, besagte Szene so eindrücklich und klar wir möglich umzusetzen. Verschämt weggucken kam nicht in Frage.
Kwame (Paapa Essiedu), Arabella (Michaela Coel) und Freundin Terry (Weruche Opia) in der Serie (Bild: BBC)
Wie haben Sie sich selbst auf die Szene bzw. das Thema allgemein vorbereitet?
Ich habe mit allerlei Freund*innen gesprochen, queeren und nicht-queeren, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Vor allem wollte ich wissen, wie sie die Folgen erlebt haben. Mir ist durch diese Gespräche klarer denn je geworden, dass es keinen richtigen oder falschen Umgang mit dem Trauma nach einem sexuellen Übergriff gibt, und dass dieses Erlebnis für jeden eine vollkommen individuelle Angelegenheit ist. Genau das wollten wir auch im Fall von Kwames Geschichte zeigen. Vieles was er macht, um mit dem Erlebten klarzukommen und es zu verarbeiten, ist vielleicht erwartbar, anderes überhaupt nicht.
Mit Michaela Coel sind Sie schon seit dem Studium befreundet. Was ist das Besondere an ihr?
Sie ist wirklich unermüdlich in der Art und Weise, wie sich immer auf der Suche nach Wahrheit und Wahrhaftigkeit ist, gerade wenn es um Repräsentation geht. Als Freundin ist sie außerdem unglaublich loyal, charmant und witzig. Und als Künstlerin und Kollegin finde ich sie beeindruckend, manchmal fast schon erschreckend. Außerdem ist sie bei aller Außergewöhnlichkeit irgendwie ganz normal. Deswegen können vermutlich auch so viele Menschen etwas mit ihr und ihren Geschichten anfangen. Ich jedenfalls würde für Michaela durchs Feuer gehen, immer und überall.
Beginnt für Sie selbst eigentlich gerade dank "I May Destroy You" und "Gangs of London" ein ganz neuer Karriereabschnitt? Bisher feierten Sie Ihre größten Erfolge ja am Theater, nicht wahr?
Ach, ich weiß nicht, ob ich das gerade als ein wirklich neues Kapitel in meiner Karriere beschreiben würde. Denn vor der Kamera gestanden habe ich auch in den Jahren davor schon regelmäßig. Es ist jetzt eher Zufall, dass beide Serien in diesem Jahr ausgestrahlt wurden, ausgerechnet zu einer Zeit, in der die Theater geschlossen bleiben und alle zuhause sitzen und mehr streamen denn je. Ich liebe beides, das Spielen auf der Bühne und vor der Kamera und hoffe sehr, auch weiter beides machen zu können.