Hauptmenü Accesskey 1 Hauptinhalt 2 Footer 3 Suche 4 Impressum 8 Kontakt 9 Startseite 0
Neu Presse TV-Tipps Termine
© Queer Communications GmbH
https://queer.de/?37384

Stonewall-Protest in Posen

Polen: Queere Aktivist*­innen stürmen Kirche

Hunderttausende demonstrierten in den letzten Tagen in ganz Polen gegen ein Urteil des Verfassungsgerichts zur weiteren Verschärfung des Abtreibungsrechts.


Die Aktion unter dem Motto "Das Wort zum Sonntag" könnte noch zu strafrechtlichen Ermittlungen führen
  • 26. Oktober 2020, 10:43h 6 3 Min.

Mitglieder der queeren Organisation "Stonewall" aus Posen und weitere Aktivist*­innen haben am Sonntag einen Gottesdienst im katholischen Dom der Stadt besucht und Flyer zu sicherer Abtreibung verteilt. Damit reagierten sie auf eine Verschärfung des bereits strikten Abtreibungsrechts durch das Verfassungsgericht.

Rund zwei dutzend Aktivst*­innen hatte den Gottesdienst kurz nach zwölf Uhr betreten und unter anderem "Wir haben genug" und "Auch Katholikinnen können eine Abtreibung benötigen" skandiert, ebenso wie "Wir brauchen Sexualerziehung" und "LGBT ist keine Ideologie". Der Priester pausierte den Gottesdienst, während vor dem Dom befindliche Polizist*­innen ins Innere eilten und die Demonstrant*­innen zum Verlassen der Kirche aufforderten.

Die Aktivist*­innen weigerten sich zunächst mit dem Hinweis, die Kathedrale sei ein öffentlicher Ort und sie hätten als Gäubige ein Recht, dort zu sein. Auch fehle der Polizei die Grundlage, sie zu entfernen. Später hielt die Polizei die Aktivist*­innen vom Verlassen der Kirche ab, bis ein Staatsanwalt eintreffen würde. Nach rund einstündigem Hin und Her einigten sich alle Seiten darauf, dass die Aktivist*­innen nach Feststellung ihrer Personalien den Dom verlassen konnten.

Am Abend nahmen in Posen bis zu 20.000 Menschen bei einem Protest vor der örtlichen Zentrale der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) teil. Zu ähnlichen Protesten vor Kirchen, Bischofssitzen und PiS-Gebäuden war es am Sonntag unter dem Motto "Das Wort zum Sonntag" in etlichen Städten gekommen, am vierten Tag in Folge.

Abtreibung weiter eingeschränkt

Das polnische Verfassungsgericht hatte am Donnerstag eine Ausnahme im seit 1993 geltenden sehr strikten Abtreibungsrecht für verfassungswidrig erklärt: Auch Schwangerschaftsabbrüche bei schweren Fehlbildungen seien zu untersagen, urteilte das 13-köpfige Gericht bei nur zwei Gegenstimmen.

Twitter / GrupaStonewall | Protest in Posen am Sonntagabend
Datenschutz-Einstellungen | Info / Hilfe

Damit fällt eine der letzten Ausnahmen vom generellen Abtreibungsverbot in dem streng katholisch geprägten Land weg. Mehr als 100 Abgeordnete, überwiegend aus der Koaltion rund um die PiS, hatten sich mit ihrer Kritik an der Gesetzeslage an das höchste Gericht gewandt. Die Opposition zweifelt an der Legitimität des Verfassungsgerichts. Die EU-Kommission hatte 2017 ein Sanktionsverfahren nach Artikel 7 der EU-Verträge gegen Polen eingeleitet, weil sie den dortigen Rechtsstaat bedroht sieht.

Twitter / JoankaSW | Auch die linke Abgeordnete Joanna Scheuring-Wielgus protestierte am Sonntag mit ihrem Mann in einer Kirche in ihrer Heimatstadt Torun
Datenschutz-Einstellungen | Info / Hilfe

Die bisherige Abtreibungsgesetzgebung ging auf einen Kompromiss aus dem Jahr 1993 zurück, mit dem sich in einer Umfrage von 2019 die Hälfte der Polen zufrieden erklärte. Im letzten Jahr wurden in polnischen Krankenhäusern nur rund 1100 Schwangerschaftsabbrüche ausgeführt – in 97 Prozent der Fälle aufgrund des nun für rechtswidrig erklärten Paragrafen. Schwangerschaftsabbrüche bleiben nach Vergewaltigungen möglich – oder wenn das Leben oder die Gesundheit der Mutter in Gefahr sind.

Frauenrechtsorganisationen kritisierten das Urteil. Die Zahl der illegalen Abtreibungen mit gefährlichen Methoden werde damit steigen. Krystyna Kacpura von der Organisation für Frauenrechte und Familienplanung sagte: "Es ist grausam und verstößt gegen Menschenrechte, wenn Frauen gezwungen werden, eine Schwangerschaft zu Ende zu führen, obwohl der Fötus schwer geschädigt ist." Das sei "institutionalisierte Gewalt des Staates gegen Frauen".

Die Organisation geht davon aus, dass jedes Jahr 120.000 bis 150.000 polnische Frauen in Nachbarländer ausweichen, in denen es liberalere Gesetzgebungen gibt. In Deutschland ist ein Schwangerschaftsabbruch in den ersten zwölf Wochen straffrei, wenn eine Beratung stattgefunden hat und eine dreitägige Bedenkfrist eingehalten wurde. Auch Ärztegruppen protestierten gegen die Entscheidung des Gerichts. Sie setze das Leben und die Gesundheit schwangerer Frauen aufs Spiel, hieß es. Mehr als 900 Ärzte und Ärztinnen unterzeichneten vor dem Urteil einen entsprechenden Appell.

Direktlink | Euronews-Bericht vom Samstag
Datenschutz-Einstellungen | Info / Hilfe

Polens Bischöfe hatten das Urteil begrüßt. Sie hatten vor wenigen Wochen auch einen Leitfaden zu "LGBT+Fragen" veröffentlicht, in dem sie unter anderem Homo-Heilung unterstützten (queer.de berichtete). Die polnische Regierung führt seit Jahren einen von der katholischen Kirche unterstützten Kulturkampf gegen LGBTI-Rechte, Abtreibung, Sexualaufklärung und Frauenemanzipation – so plant das Land unter anderem auch einen Ausstieg aus der "Istanbul-Konvention" (queer.de berichtete). (nb/dpa)

#1 KaiJAnonym
  • 26.10.2020, 10:57h
  • Solidarische Grüsse und mein Respekt.
  • Direktlink »
#2 AtreusEhemaliges Profil
  • 26.10.2020, 11:25h
  • Hut ab vor diesem Mut, trotz erwartbarer Sanktionen einer gleichgeschalteten, regierungshörigen Justiz, diese Aktion in einer Kirche durchzuziehen, die aktive Beihilfe zum Abbau von Frauenrechten leistet und die die Kriminalisierung queerer Pol*innen vorantreibt und die durch ihr Hassvokabular mitschuldig an den körperlichen Übergriffen auf queeres Leben und den neuerlichen Suiziden ist.
  • Direktlink »
#3 _hh_Anonym
  • 26.10.2020, 14:28h
  • Leider fällt nicht nur in diesem Artikel, sondern in der gesamten Medienberichterstattung über die Proteste gegen dieses polnische Urteil völlig unter den Tisch, dass es behindertenfeindlich ist, Ausnahmen vom Abtreibungsverbot speziell bei "Fehlbildungen" (sprich: Behinderungen) zuzulassen. Natürlich ist mir klar, dass es den Ultra-Katholik*innen des polnischen PiS-Regimes nicht um die Rechte von Menschen mit Behinderungen geht, sondern dass sie Abtreibung generell und damit Frauenrechte bekämpfen. Ich bin mit Feministinnen solidarisch, wenn sie für die freie Entscheidung kämpfen, ÜBERHAUPT ein Kind haben zu wollen oder nicht. Aber die Straflosigkeit von Abtreibung an das Kriterium einer "Fehlbildung" bzw. einer Behinderung oder überhaupt an irgendeine erwünschte/unerwünschte Eigenschaft des Fötus zu knüpfen, ist strikt abzulehnen. Damit wird letztlich das Leben von Menschen mit Behinderungen als "lebensunwert" deklariert, sie werden zur angeblichen "Belastung" für ihre Eltern und die Gesellschaft erklärt. Das ist in hohem Maße diskriminierend und gefährlich! Es gab schon in den 1980er Jahren, vor dem Hintergrund der damals neuen Möglichkeiten der Pränataldiagnostik, zu diesem Thema Kontroversen zwischen Vertreterinnen (mit kleinem i) der Frauen- und der Behindertenbewegung (die sich damals auch provokant "Krüppelbewegung" nannte). Und bis heute fühlen sich feministische Frauen mit Behinderung bei diesem Thema nicht selten zwischen Baum und Borke, wenn im Namen von Frauenrechten quasi der Wert ihres Lebens bestritten wird. Die Angabe im Artikel, dass in den letzten Jahren 97 Prozent der Abtreibungen in Polen wegen "Fehlbildungen" erfolgt sind, sollte erschrecken. (Dass auf dem Foto auch eine protestierende Rollstuhlfahrerin zu sehen ist, ändert an dieser Problematik nichts.)
    Proteste gegen das klerikal-rechtspopulistische, frauen- und queerfeindliche Regime in Polen sind richtig und unterstützenswert, aber bitte nicht mit einer Begründung auf Kosten von Menschen mit Behinderungen!
  • Direktlink »

Kommentieren nicht mehr möglich
nach oben
Debatte bei Facebook

Newsletter
  • Unsere Newsletter halten Dich täglich oder wöchentlich über die Nachrichten aus der queeren Welt auf dem Laufenden.
    Email: