Es ist manchmal schwer, die Argumentation eines Linken-Politikers wie Alexander Neu von der eines Rechtsextremisten der AfD zu unterscheiden (Bild: Deutscher Bundestag / Achim Melde)
Der heterosexuell verheiratete Linken-Bundestagsabgeordnete Alexander Neu hält es nicht für angebracht, wenn in Deutschland die russische Staatshomophobie kritisiert wird. Zwar gibt der 51-jährige Politiker aus Nordrhein-Westfalen im Gespräch mit dem linken Portal "Die Freiheitsliebe" zu, dass er "die genauen rechtlichen Umstände, mit denen Homosexuelle in Russland konfrontiert sind", nicht kenne. Er zeigte sich aber sicher, dass in der deutschen Politik das Thema Homophobie in Russland instrumentalisiert werde.
"Um Homophobie zu kritisieren, muss man nicht unbedingt nur nach Russland schauen. Da reichen auch Blicke in die deutsche Provinz oder in andere osteuropäische Staaten", so Neu. Er kritisiere "die Medien und die übrigen Parteien im Bundestag für ihre politischen Doppelstandards. Sie kritisieren die Homophobie in Russland[,] übersehen aber sehr gerne die mehr oder minder gleichsam ausgeprägte Homophobie in pro-westlichen Staaten Osteuropas wie Polen und der Ukraine." Diese "Doppelstandards" ließen nur einen Schluss zu: "Es geht nicht um die Ablehnung der menschenverachtenden Homophobie, sondern darum, Russland als kulturell minderwertig darzustellen", so Neu.
Neu: Kritik an Homophobie ist homophob
Vielmehr sei Kritik an der Homophobie in Russland homophob, argumentierte der Linke: "Die Instrumentalisierung der Homophobie für andere politische Zwecke ist letztlich selbst Homophobie durch die Hintertür (sic)." Er brachte dabei auch den Begriff "Homonationalismus" ins Spiel, der einen Zusammenhang zwischen nationalistischen Ideologien und Teilen der LGBTI-Community beschreibt – beispielsweise verkörpert durch den britischen Blogger und Rechtspopulisten Milo Yiannopoulos.
In den Interview warnte Neu auch davor, "Identitätsthemen", also auch das Thema LGBTI-Rechte, zu hoch zu hängen. Schließlich dürften Minderheitenrechte "die zentralen Fragen einer linken Partei – die da sind die Eigentumsfrage/soziale Frage, die Friedensfrage und die Umwelt- und Klimafrage – nicht überlagern oder marginalisieren".
Bereits vor zwei Jahren hatte eine ähnliche Relativierung für einen Streit innerhalb der Linkspartei geführt: Die damalige Fraktionsvorsitzende Sarah Wagenknecht hatte 2018 Minderheitenrechte als "Wohlfühl-Label" kritisiert, womit die politische Klasse die "Umverteilung von unten nach oben" kaschieren würde (queer.de berichtete). Das ging der parteiinternen Gruppe Die Linke.queer zu weit (queer.de berichtete).
Faktencheck
In der realen Welt gibt es freilich große Unterschiede zwischen LGBTI-Rechten in Russland und in den von Neu wegen Homophobie kritisierten Regionen und Ländern. So sind etwa in Polen – trotz aller queerpolitischen Defizite – CSDs möglich, während sie in Russland stets verboten werden. Zudem gibt es in Polen weder ein "Homo-Propaganda-Gesetz" noch werden Homosexuelle in Gefängnissen gefoltert, wie es in der russischen Teilrepublik Tschetschenien vorgekommen ist – das Putin-Regime verweigert bis heute eine Aufklärung der Taten.
Ein weiterer Kritikpunkt des Linkenpolitikers geht an der Wahrheit vorbei: So wird – anders als von Neu dargestellt – die Homophobie in Polen von deutschen Politikerinnen und Politikern derzeit weit mehr kritisiert als die in Russland. Sogar EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach die in Teilen Polens beschlossenen "LGBT-freie Zonen" in ihrer Rede zur Lage der Union an und übte scharfe Kritik (queer.de berichtete). Die Staatshomophobie Russlands erwähnte sie dagegen nicht.
Alexander Neu ist seit 2013 Mitglied des Bundestages. Er verteidigt seit Jahren Russland gegen Vorwürfe durch die deutsche Politik – und rechtfertigte auch die Annexion der Krim. Mit dieser Message ist er stets gern gesehener Interviewpartner im staatlichen Propaganda-Sender "Russia Today". Neu betont stets, dass er die Vereinigten Staaten von Amerika als wahren internationalen Aggressor ansieht.
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Da bin ich doch mal gespannt, ob der Herr eine eindeutige Reaktion aus seiner Partei erhält oder ob mit einem breiten Schweigen, stille Zustimmung signalisiert wird. Wichtig, denn wir haben schließlich bald Wahlen und für eine echte Alternative braucht es (leider) zweimal Rot und Grün.