Das Abstimmungsergebnis
Nach jahrzehntelangen Forderungen und wochenlanger Debatte hat die italienische Abgeordnetenkammer am Mittwoch das sogenannte "Homotransphobie-Gesetz" beschlossen, das bestehende Strafnormen gegen Rassismus um die Merkmale sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität erweitert. Auch die Merkmale Geschlecht und Behinderung wurden nach Beratungen innerhalb der Regierung aufgenommen.
Die vom LGBTI-Aktivisten Alessandro Zan, einem Abgeordneten der sozialdemokratischen Partito Democratico, eingebrachte Vorlage wurde mit 256 gegen 193 Stimmen bei einer Enthaltung angenommen und bezieht sich auf Volksverhetzung, Diskriminierung und eine Strafverschärfung bei Gewalttaten, die aufgrund dieser Merkmale als Hassverbrechen geahndet werden können.
Zudem werden spezielle Antidiskriminierungsstellen mit Rechtsberatung geschaffen, Aktionspläne zur Bekämpfung von LGBTI-Feindlichkeit gefordert und eine statistische Berichterstattung über Diskriminierung und Hassgewalt etabliert. Der Internationale Tag gegen Homo- und Transphobie (IDAHOBIT) am 17. Mai wird zudem national anerkannt und soll mit Aktionen an Schulen begleitet werden. Allerdings kritisieren LGBTI-Organisationen, dass mit dem angenommenen Entwurf vor allem bürokratische Hürden wie Elterneinverständnisse eingeführt würden.
Kompromiss bei Hassrede
Vor allem kritisierten Organisationen wie das Gay Center, dass die Vorlage nicht einfach die zum Merkmal Rassismus bestehende Strafnorm für Volksverhetzung und Propagandaverbrechen erweitert, sondern eigens betont, dass nur bei "konkreter Gefahr der Ausführung von diskriminierenden oder gewalttätigen Handlungen" eine Straftat vorliege und "nicht anstiftende Meinungen" erlaubt seien.
Das sei "ein moralischer Schlag ins Gesicht all jener Kinder, die in Schulen als krank und minderwertig bezeichnet werden, vielleicht als 'Meinung' des Lehrers", kritisierte das Gay Center. Das Gesetz legitimiere diskriminierende und abwertende Meinungs- und Glaubens-Äußerungen und behandle LGBTI dadurch anders als andere Gruppen.
Gegen das "Homotransphobie-Gesetz" hatten der "Demo für alle" ähnliche Verbände mit Kundgebungen und die katholische Kirche Stimmung gemacht; die Bischofskonferenz betonte, es gebe keine Notwendigkeit für das Gesetz, das zudem etwa Äußerungen über ihr Eheverständnis kriminalisieren könnte. Vor allem Lega und Forza Italia hatten hunderte Ablehnungs- und Änderungsanträge eingebracht, um den Entwurf zu blockieren. In der tagelangen Debatte beklagten sie etwa ein "Freiheitstötendes Gesetz", das "Meinungsverbrechen" einführe und beispielsweise zu "Geschlechterpropaganda an Schulen" führen werde.
Die Organisation Arcigay sprach nach der Verabschiedung angesichts der großen Anfeindungen gegen das Gesetz und des langen Anlaufs von einem "ersten Sieg", der Hoffnung auf eine Verabschiedung des Entwurfs mache – er muss noch durch den italienischen Senat und könnte mit Änderungen wieder in der Abgeordnetenkammer landen.
Im Sommer hatten mehrere homo- und transfeindliche Gewalttaten für Schlagzeilen gesorgt. So rammte ein Mann den Scooter seiner Schwester aufgrund ihrer Beziehung zu einem trans Mann, sie starb dabei (queer.de berichtete). Die Organisation Arcigay verzeichnet jährlich über 100 schwere Fälle von Diskriminierung und Gewalt aufgrund von Homo- und Transfeindlichkeit. Einer Untersuchung der Europäischen Agentur für Grundrechte zufolge vermeiden 62 Prozent der italienischen LGBTI Händchenhalten in der Öffentlichkeit. 23 Prozent geben an, Diskriminierung am Arbeitsplatz erlebt zu haben, 32 Prozent wurden im letzten Jahr mindestens einmal belästigt und 8 Prozent wurden in den letzten fünf Jahren körperlich angegriffen. Nur eine*r von sechs Befragten meldete diese Vorfälle der Polizei. (cw)