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Islamistisches Attentat
Schwules Terroropfer Thomas L. wird heute beigesetzt
Auch einen Monat nach dem Messerangriff in Dresden schweigt die Bundesregierung zum mutmaßlichen Tatmotiv Hass auf Homosexuelle. "Dein Tod war nicht umsonst. Er hat uns alle aufgeweckt", heißt es dagegen in einer Traueranzeige.

Gemeinsame Traueranzeige für Thomas L. vom CSD Dresden und der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld
- 6. November 2020, 09:00h 4 Min.
Zur Beisetzung des Dresdner Terroropfers Thomas L. am Freitag in Krefeld haben die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld und der CSD Dresden gleichlautende Traueranzeigen veröffentlicht. "Dein Tod war nicht umsonst. Er hat uns alle aufgeweckt", heißt es im Text. "In tiefer Trauer mit Deinem Lebenspartner und den An- und Zugehörigen. Wir werden in Deinem Andenken religiösen und politischen Extremismus bekämpfen."
Thomas L. und sein Lebenspartner hatten am 4. Oktober als Touristen einen Bummel durch die Dresdner Altstadt unternommen. Nach einer zärtlichen Geste wurde das Paar von einem Mann mit Messer angegriffen. Der 55-jährige Thomas L. wurde dabei getötet, sein Lebenspartner Oliver schwer verletzt.
Wegen der Tat sitzt der 20-jährige behördenbekannte Gefährder und IS-Anhänger Abdullah Al H.H. in Untersuchungshaft. Wochenlang verschwiegen die Behörden allerdings, dass der Tatverdächtige sich seine Opfer vermutlich wegen ihrer Homosexualität ausgesucht hatte – ein Oberstaatsanwalt weigerte sich sogar offen, das Thema Homosexualität auch nur anzusprechen (queer.de berichtete).
Ein großer Aufschrei blieb aus
Bis heute ist in der Bundesrepublik ein großer Aufschrei nach dem Mord ausgeblieben. Am Sonntag beteiligten sich zwar 350 Menschen bei einer Mahnwache für Thomas L. auf dem Dresdner Altmarkt, doch weder Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) noch Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) waren trotz Einladung erschienen (queer.de berichtete).
Der FDP-Bundestagsabgeordnete Thomas Sattelberger, der bei der Gedenkveranstaltung für den Förderkreis der Hirschfeld-Stiftung eine Rede hielt, kritisierte am Montag auf Twitter, dass Bundeskanzlerin Merkel zwar 2016 in Dresden mit der Familie eines Imams sprach, auf dessen Moschee ein Anschlag verübt worden war, das getötete schwule Terroropfer jedoch von der gesamten Bundesregierung ignoriert werde.
Twitter / th_sattelbergerBeim Sprengstoffanschlag auf Moschee kümmert sich Kanzlerin um Familie,bei Ermordung von Thomas L. nicht einmal Vertreter der Bundesregierung auf gestriger Gedenkfeier.Christian Lindner,Jens Brandenburg und ich forderten Kanzlerin in Offenem Brief zu öffentlicher Totenehrung auf https://t.co/ZiYweVHHMl
Thomas Sattelberger (@th_sattelberger) November 2, 2020
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Schon Ende Oktober hatte sich Sattelberger zusammen mit FDP-Chef Christian Lindner und dem FDP-Bundestagsabgeordneten Jens Brandenburg erfolglos an die Kanzlerin gewandt. "Wir trauern um Thomas L. Unsere aufrichtige Anteilnahme gilt seinem Lebenspartner und seinen Angehörigen", heißt es in einem Offenen Brief der drei Politiker an Angela Merkel. "Sie verdienen nicht das Schweigen aus dem Bundeskanzleramt, sondern die volle Solidarität unserer freiheitlichen Gesellschaft und die höchste staatliche Anteilnahme."
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Seehofers verpasste Chance im Bundestag
Eine weitere Gelegenheit, empathische Anteilnahme zu zeigen und klar Stellung gegen Homosexuellenfeindlichkeit zu beziehen, verpasste die Bundesregierung am Donnerstag im Deutschen Bundestag. In der Aktuellen Stunde "Islamistischen Terror in Europa bekämpfen" ging Bundesinnenminister Horst Seehofer zwar kurz auf den Mord in Dresden ein, erwähnte jedoch erneut nicht Homosexuellenfeindlichkeit als das mutmaßliche Tatmotiv.
In seiner Rede verwies Seehofer allgemein auf die "ungeheure Bedrohung", die der islamistische Terror nach wie vor darstelle. Die größte Bedrohung sei durch den Rechtsextremismus im Lande erwachsen, doch gehöre auch der islamistische Terror "zu den Herausforderungen unserer Zeit". Die Gefährdungslage hierzulande sei hoch: "Mit Anschlägen muss auch bei uns jederzeit gerechnet werden." Der Kampf gegen den Terrorismus richte sich aber "nicht gegen den Islam, sondern gegen fanatischen und gewalttätigen Extremismus", fügte der Innenminister hinzu. Das "Allerwichtigste" sei nun, die Befugnisse der Sicherheitsbehörden und das geltende Recht konsequent anzuwenden.
Grüne: "lebensbedrohliche Gefahr für queere Menschen"
In Sachsen selbst ist man da schon etwas weiter als in Berlin: Bei einer Aktuellen Stunde zum "Messermord in Dresden" am Mittwoch im Landtag hatten Abgeordnete aller Fraktionen Homosexuellenhass als mögliches Motiv für die Tat des Islamisten Abdullah Al H.H. angesprochen (queer.de berichtete).
Parallel hatten die Grünen die verantwortlichen Innenpolitiker*innen in Bund und Ländern zum Handeln aufgefordert: "Die Innenministerkonferenz muss sich endlich mit Homo- und Transfeindlichkeit beschäftigen und diese als Motive für Hasskriminalität klar benennen und als Kriterium in Ermittlungsverfahren deutlicher etablieren", forderten die beiden queerpolitischen Sprecher*innen der grünen Bundestagsfraktion, Ulle Schauws und Sven Lehmann (queer.de berichtete). "Nicht über die sexuelle Identität von Betroffenen zu sprechen, macht Homo- und Transfeindlichkeit unsichtbar und nimmt diese lebensbedrohliche Gefahr für queere Menschen nicht ernst." (cw)
