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Frankfurter Homosexuellenprozesse
Eine beispiellose Hetzjagd gegen Schwule in der jungen BRD
Vor 70 Jahren wurde in Frankfurt am Main eine Prozesslawine gegen homosexuelle Männer losgetreten. Sie macht auch eines deutlich: Es gibt eine bis heute noch abzutragende Bringschuld des Staates.

In Frankfurt am Main ermittelte die Polizei 1950 und 1951 gegen rund 240 Männer aufgrund eines Verstoßes gegen den Paragraf 175. 100 wurden verhaftet, 75 angeklagt, die meisten davon auch verurteilt. Das Foto zeigt ein nachgestelltes Verhör aus Van-Tien Hoangs Dokumentarfilm "Das Ende des Schweigens", der die Geschichte der Frankfurter Homosexuellenprozesse erzählt und am 8. April 2021 in die Kinos kommen soll (Bild: GMfilms)
15. November 2020, 03:04h 13 Min. Von

Kronzeuge der Frankfurter Homosexuellenprozesse war der Stricher Otto Blankenstein
Im Sommer 1950 wurde in Frankfurt am Main ein Stricher verhaftet. Bei ihm wurde ein Notizbuch mit den Namen seiner Kunden gefunden. Dies war der Anlass für eine beispiellose Hetzjagd mit vielen Ermittlungsverfahren und Verhaftungen, die heute als Frankfurter Homosexuellenprozesse von 1950/1951 bekannt sind.
Zwei Arbeiten von 2018 fassen den aktuellen Wissensstand gut zusammen: die von Kirsten Plötz und Marcus Velke "Aufarbeitung von Verfolgung und Repression lesbischer und schwuler Lebensweisen in Hessen 1945-1985" (PDF, S. 192-207 und 275-276) und der Aufsatz von Daniel Speier "Die Frankfurter Homosexuellenprozesse zu Beginn der Ära Adenauer – eine chronologische Darstellung" (in: "Mitteilungen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft", Nr. 61/62, Dezember 2018, S. 47-72).
Mit den neueren Untersuchungen lässt sich das in den Fünfzigerjahren bezifferte Ausmaß der Verfolgungswelle gegen Stricher und schwule Männer weitgehend bestätigen: Es gab ungefähr 240 Ermittlungen, 100 Verhaftungen und 75 Anklagen. Die meisten der Angeklagten wurden 1950 verurteilt – mit Strafen zwischen drei und 15 Monaten. Allenfalls die Anzahl der Selbsttötungen wird heute nach unten korrigiert: Vermutlich haben sich nicht sechs, sondern "nur" zwei Männer das Leben genommen.
Zu verantworten hatten diese Prozesse vor allem der Staatsanwalt Fritz Thiede, Oberstaatsanwalt Hans-Krafft Kosterlitz und Obergerichtsrat Kurt Ronimi, von denen Thiede und Ronimi auch schon in der NS-Zeit erfolgreiche Juristen waren. Thiede war dafür bekannt, dass er auch schon in der NS-Zeit massiv gegen Schwule vorgegangen war.

Kurt Ronimi (l.) und Fritz Thiede (r.) (aus: "Der Spiegel", 29. November 1950)
Die Bedeutung des Kronzeugen Otto Blankenstein
Bei dem verhafteten Stricher handelte es sich um den 19-jährigen Otto Blankenstein, der rund 200 Kontakte mit 70 Freiern zugab. Nach Speier fand der "offenkundig ehrgeizige Staatsanwalt Thiede […] in dem Jugendlichen ein ideales Werkzeug". Speier zeigt gut, wie sich Blankenstein zu einer Art Kronzeuge und zur zentralen Figur der Frankfurter Homosexuellenprozesse entwickelte.
Obwohl es schon früh Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit gab, wurde ein Antrag auf eine psychiatrische Untersuchung mehrfach abgelehnt und eine Untersuchung erst 1951 angeordnet. Mit dem Gutachten betraute Kosterlitz den Obermedizinalrat und Rassenhygieniker Robert Ritter, der ebenfalls eine NS-Karriere hinter sich hatte: Er war durch seine Rassenklassifizierung und Tausende sogenannter "Rassegutachten" einer der Haupttäter des NS-Völkermordes an Sinti und Roma gewesen.

wikipedia / Bundesarchiv) Robert Ritter (r.) nimmt 1936 an einer Romni im Rahmen der reichsweiten rassistischen Erfassung Blut ab (Bild:
Seit 1947 leitete Ritter die Jugendpsychiatrie beim Frankfurter Gesundheitsamt. Weil Kosterlitz ihm 1950 einen "Persilschein" für seine NS-Vergangenheit ausgestellt hatte, ging er vermutlich davon aus, dass Ritter ein Gutachten in seinem Sinne erstellen würde. Das passierte jedoch nicht: Am 2. Februar 1951 erstatteten Ritter und seine Mitarbeiterin Eva Justin ein Gutachten, das den Stricher als einen "perversen", amoralischen Lügner hinstellte, was nicht nur den Kronzeugen diskreditierte. Auch Kosterlitz und Thiede wurden damit als unfähig hingestellt, was jedoch an den bisherigen Verurteilungen nichts änderte. Am 15. Februar 1951 wurde Blankenstein "wegen fortgesetzter gewerbsmäßiger Unzucht" zu zweieinhalb Jahren Jugendgefängnis verurteilt. Blankenstein, dessen Verstrickung mit der Staatsanwaltschaft so viele Opfer gefordert hatte, wurde damit selbst zum Opfer.
Die Morddrohung gegen Hans-Krafft Kosterlitz
Ausführlich geht Speier im oben genannten Aufsatz auch auf einen Drohbrief ein, in dem der anonyme Verfasser mit Kosterlitz' Ermordung drohte und dies u.a. mit den sechs Männern begründete, die sich das Leben genommen haben sollen. Der anonyme Autor des Briefes bezeichnet sich als Rechtsanwalt, was jedoch aufgrund seiner Formulierungen als eher unglaubwürdig erscheint. Der Brief wurde u.a. an die "Frankfurter Neue Presse" geschickt, die der Ansicht war, dass er "ausnahmsweise nicht in den Papierkorb gehört", und ihn veröffentlichte. Im zugehörigen Artikel (5. Januar 1950) bedauerte die Zeitung, dass die betroffenen schwulen Männer keine Möglichkeit gehabt hätten, ihre Beschwerden vor den Frankfurter Instanzen vorzubringen.

Oberstaatsanwalt Hans-Krafft Kosterlitz im jahr 1948 (Bild: Landesarchiv)
Kosterlitz ist auch noch wegen eines anderen Aspekts von Interesse: Speier macht an Kosterlitz deutlich, dass die im Kontext der Prozesse "oftmals überbetonten Kontinuitäten zur NS-Zeit […] nicht ohne Brüche" seien. Kosterlitz war nämlich jüdischer Herkunft und in der NS-Zeit verfolgt worden, bildete aber trotzdem eine "ungewöhnliche Normengemeinschaft mit ehemaligen NS-Juristen und NS-Rassenbiologen". Damit war er Opfer und Täter zugleich.
Der "Spiegel"-Artikel von 1950
Im online verfügbaren Artikel über die Frankfurter Prozesse "Homosexuelle. Eine Million Delikte" ("Der Spiegel", 29. November 1950, S. 7-10, hier als PDF) verweist der "Spiegel" darauf, dass von der Polizei ca. 700 "einwandfrei gleichgeschlechtlich" veranlagte Männer vernommen und viele von ihnen angeklagt worden seien. Laut "Spiegel" hatte der zuständige Amtsgerichtsrat Dr. Ronimi schon in der NS-Zeit als Staatsanwalt Anklagen nach Paragraf 175 erhoben und hatte es nun 1950 mit denselben Angeklagten zu tun.
Das kurz zuvor von dem Sexualforscher Hans Giese gegründete "Institut für Sexualforschung" sei – so der "Spiegel" – zu dem Schluss gekommen, dass die Homosexualität unter Erwachsenen nicht strafwürdig sei. "Die gleichgeschlechtlich veranlagten Männer in Frankfurt umfassen sämtliche sozialen Schichten. Besondere Neigung zur Kriminalität ist nicht festzustellen." In rund 40 Verfahren sei Otto Blankenstein als "Hauptdenunziant" bzw. als Zeuge aufgetreten, obwohl "greifbare Anhaltspunkte für geistige Defekte vorhanden sind".
Der "Spiegel" nahm an, dass in Frankfurt jährlich eine Million Mal gegen den § 175 verstoßen werde (daher auch die Überschrift), und zitierte dazu Alfred Kinsey, der der Ansicht sei, dass in solchen Fällen "eine gerichtliche Verfolgung so stark den Charakter der Zufälligkeit" gewinne, dass eine Verurteilung nicht als gerecht empfunden werden könne. Der "Spiegel" verweist zudem darauf, dass vor Gericht leider nicht die "Freundschaftsverhältnisse", sondern nur die kriminelle Prostitution und die "Schmutzigkeit" zur Sprache gekommen seien. Weil nun "bisher unbescholtene Durchschnittsbürger" vor Gericht stünden und Stricher "als glaubwürdige Zeugen" aufträten, sei die offizielle Angabe nicht mehr vermittelbar, dass sich die Aktion gegen das "Strichjungenunwesen" richte, denn nicht die Existenz der Stricher werde vernichtet, "sondern die ihrer Opfer".
Ein "Spiegel"-Zitat muss man wohl erst einmal auf sich wirken lassen: Die Staatsanwaltschaft habe Mitte November 1950 der Frankfurter Kriminalpolizei "die Vollmacht erteilt, gegen Personen im Zusammenhang mit § 175 keine eigene Strafverfolgung einzuleiten, wenn sie gegen Erpresser Strafanzeigen erstatten". Vermutlich wurde diese Entscheidung zeitgenössisch als liberal angesehen.
Die Bewertung des "Spiegel"-Artikels von 1950
Der Artikel ist zweifelsfrei ein wichtiges Zeitdokument von 1950. Bei dem nicht genannten Autor soll es sich – nach Speier – um Mario Heil de Brentani gehandelt haben. Er versuchte mit diesem Artikel distanzierend, abwägend und objektiv zu erscheinen. Durch die Auswahl der Zitate und die Gewichtung der Positionen wird jedoch klar vermittelt, dass schwulen Männern in Frankfurt großes Unrecht und Leid zugefügt werde. Unter Berücksichtigung, dass der "Spiegel" als neutral und distanzierend berichtend wahrgenommen werden wollte, hätte der Artikel nicht positiver ausfallen können.
Das, was im Wikipedia-Artikel zu den Prozessen über die Medien und die öffentliche Meinung steht, lässt sich anhand des Artikels gut nachzeichnen: Nicht nur die Glaubwürdigkeit Blankensteins, der faktisch als Kronzeuge auftrat, wurde kritisch hinterfragt, sondern es wurde auch eine kritische Einstellung zu dem Sinn und Zweck der gesamten Aktion deutlich. Deutlich wird jedoch auch eine pauschale Kriminalisierung und Abwertung von Strichern, die von "ordentlichen" bürgerlichen Schwulen abgegrenzt werden. Das war damals ein breiter Konsens, den der "Spiegel" mit liberalen Juristen und mit Homophilen-Organisationen teilte.
Der Artikel ist (abzüglich Werbung) zwei Seiten lang. In Verbindung mit dem online verfügbaren "Spiegel"-Archiv lässt sich leicht belegen, dass das Magazin seit seinem Bestehen noch nie so ausführlich und noch nie so positiv über Homosexualität berichtet hatte. Selbst der Artikel zur Hamburger Homosexuellenszene "Gemacht wird's ja doch. In lila Nächten" ("Der Spiegel", 15. September 1949, S. 8, hier als PDF) fiel mit einer Seite nicht nur kürzer, sondern auch reservierter aus.
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Die Schwulenzeitschrift "Der Kreis" (1950)
Zu den ebenfalls online verfügbaren wichtigen Zeitdokumenten gehören die Beiträge in der schweizerischen Schwulenzeitschrift "Der Kreis". Ein H. C. (d. i. Heinz Meininger) kritisiert im "Kreis" (1950, Heft 11, S. 25) die "Verfolgungswelle der Homoeroten in Deutschland. […] Kronzeugen sind notorische Strichjungen, die aufgrund von Versprechungen und Extraverpflegung Aussagen machen, die einfach in sich schon den Stempel der Lüge tragen". Verhaftungen und "Hausdurchsuchungen sind an der Tagesordnung. […] Die Welt soll wissen, wozu man hier in diesem Lande fähig ist." In einem Anhang verweist "Rolf" (d. i. der Herausgeber Karl Meier) auf die Selbsttötungen, verurteilt die Strafen wegen Homosexualität, kritisiert "nazistische Rachegelüste" und betont die Notwendigkeit einer homosexuellen Interessenvertretung.
Eher befremdlich ist dagegen ein Brief vom 4. Dezember 1950, der im "Kreis" (1950, Heft 12, S. 32-33) einen Monat später abgedruckt wurde. Ein deutscher Homosexueller weist hier mit Bezug auf die Frankfurter Prozesse darauf hin, dass auch "in der von uns vorgeschlagenen Fassung des § 175 […] die Prostitution als strafbar umrissen" sei. Es könne deshalb sein, dass auch nach einer Legalisierung von Homosexualität "Prozesse dieser Art durchgeführt würden und das entspräche sogar unseren eigenen Vorschlägen". Weiter führt er aus, dass sich die Frankfurter Öffentlichkeit nur über Zustände erregt habe, die "selbst unseren [homosexuellen] Freunden widerlich waren". Die strafrechtliche Verfolgung männlicher Prostitution wird vom Autor ausdrücklich befürwortet und gegen den Vorwurf verteidigt, ein "Rückfall in […] Naziideologien" zu sein.
Es ist leicht nachvollziehbar, dass 1950 der Kampf für eine homosexuelle Emanzipation in Verbindung mit einer deutlichen Ablehnung männlicher Prostitution erfolgversprechender war. Diese Abgrenzung beruhte vermutlich nicht nur auf strategischer Abwägung, sondern auch auf vom Zeitgeist beeinflussten persönlichen Einstellungen. Die deutliche moralische Unterscheidung zwischen Homosexualität und männlicher Prostitution zeigt sich übrigens in ähnlicher Form auch im "Spiegel"-Artikel und entspricht einer Auffassung, wie sie auch in der Homosexuellenbewegung vor 1933 eine lange Tradition hat.
Der letzte Überlebende: Wolfgang Lauinger
Es ist leicht nachvollziehbar, warum in der Forschungsliteratur zu den Frankfurter Prozessen mehrfach Wolfgang Lauinger (1918-2017) hervorheben wird, denn er war offen schwul und vermutlich der letzte Überlebende der Frankfurter Homosexuellenprozesse. Damit konnte er all den vielen namenlosen und ebenfalls verfolgten Schwulen ein Gesicht geben. Lauinger wurde 1950 inhaftiert und saß daraufhin sechs Monate lang ohne Anklage in Untersuchungshaft. Aus der Haft heraus wandte er sich erfolglos an den damaligen Bundespräsidenten Theodor Heuss. Kurz bevor es im Februar 1951 zum Prozess kam, traf er auf Otto Blankenstein und bat ihn, die Wahrheit zu sagen. Blankenstein verweigerte daraufhin die Aussage und Lauinger wurde freigesprochen.
Viele Jahrzehnte später: Im Sommer 2017 verabschiedete der Deutsche Bundestag das Rehabilitierungsgesetz für die Opfer der Homosexuellenverfolgung in der Bundesrepublik, das auch die Möglichkeit einer Entschädigung beinhaltet. Lauinger wurde jedoch nicht entschädigt, weil er aufgrund des Schwulenparagrafen 175 "nur" monatelang in Untersuchungshaft gesessen hatte, aber nie verurteilt worden war (s. dazu: "Tagesspiegel" vom 15. Mai 2016, "Frankfurter Rundschau" vom 7. Januar 2019 und viele Beiträge auf queer.de wie den vom 19. Februar 2017).
Lauinger hatte unter den Nazis (auch als sogenannter "Halbjude" und Swing-Jugendlicher) und unter der BRD gelitten. Er starb 2017 im Alter von 99 Jahren, ohne dass ihm Gerechtigkeit widerfahren ist. Was von ihm bleibt, ist u. a. ein Interview der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, in dem er aus seinem Leben erzählt – auch von den Frankfurter Prozessen (24:33-34:03 Min.). Der "Fall" Lauinger führte im März 2019 zu der Absicht, die Entschädigungsrichtlinien nachzubessern (queer.de berichtete). Lauinger hat das leider nicht mehr erlebt.
Vom Frankfurter Engel zum "Judasengel" (2016)

Roman "Judasengel" (2016)
Der Frankfurter Engel ist ein 1994 der Öffentlichkeit übergebenes Mahnmal in Frankfurt am Main, das an die lokale Homosexuellenverfolgung erinnert. Nach den Erläuterungen zu diesem Denkmal erinnert der Engel ausdrücklich auch an die strafrechtliche Verfolgungswelle in Frankfurt von 1950/1951. Die Erklärungen sind mit einem zeitgenössischen Artikel der "Frankfurter Rundschau" vom 23. Januar 1951 verlinkt.
Rund 20 Jahre später verwendete der Autor H. T. Riethausen ein Bild des Frankfurter Engels für das Cover seines Romans "Judasengel" (2016), in dem er die wahren Begebenheiten der Frankfurter Homosexuellenprozesse in die fiktive Handlung mit einfließen lässt. Der Autor betont, dass er für diesen Roman (mit Pausen) sieben Jahre lang recherchiert und an ihm geschrieben habe (Homepage des Autors).
Wie er sich in die Materie reinkniete, merkt man auch an einigen interessanten zeitgenössischen Fotos, die er auf seiner Homepage publiziert hat (Homepage des Autors). Riethausen schreibt auf Facebook mit Bezug auf Obergerichtsrat Kurt Ronimi und Staatsanwalt Fritz Thiede: "Täter oder Verteidiger des Rechts? Sind die Übergänge fließend oder eindeutig?" Zumindest in Bezug auf diese Prozesse sind sie wohl eindeutig als Täter anzusehen.
Die Doku "Das Ende des Schweigens" (2020)

Das Filmposter von "Das Ende des Schweigens"
Dieser Film über die Prozesse ist wohl das, was man eine schwierige Geburt nennt. Vor rund vier Jahren – im Februar 2017 – bat der Regisseur Van-Tien Hoang für sein Filmprojekt "Das Ende des Schweigens" auf der Crowdfunding-Plattform "Startnext" um Unterstützung. Durch seinen schwulen Kurzfilm "Equality" (2016) über Homophobie und Rassismus hatte er sich zuvor schon einen Namen gemacht. Auch queer.de berichtete über dieses Filmprojekt.
Im Juni 2019 teilte der Regisseur mit, dass das Projekt fast gescheitert wäre, er jedoch im Januar 2019 von HessenFilm eine Fördersumme von 29.000 Euro bekommen habe, wodurch die Finanzierung gesichert sei. Seit Februar 2020 gibt es einen Trailer zum Film, der einen guten ersten Eindruck vermittelt. Der Film war am 24. Oktober 2020 auf dem Queer Filmfest in Weiterstadt bei Frankfurt unter Corona-Bedingungen erstmals öffentlich zu sehen. Am 8. April 2021 soll er endlich regulär im Verleih von GMfilms in die Kinos kommen. Das ursprüngliche Unterstützungsvideo von Startnext ist auf Youtube "nicht gelistet" und damit nicht recherchierbar – allerdings weiterhin online verfügbar – mit O-Tönen von Lauinger aus dem Film.
Was bleibt...
Am besten funktioniert eine Geschichtsvermittlung, wenn das, was früher war, in das Leben von heute eingebunden werden kann. Insofern hat der Autor Til Huber alles richtig gemacht, als er in einem großen Artikel über die Situation der älteren Schwulen im heutigen Frankfurt die Geschehnisse von 1950/1951 eingebunden hat. In "Heute fühle ich mich richtig frei" (in: "Frankfurter Allgemeine Zeitung", 1. Juni 2010) berichtet er davon, wie ältere schwule Männer im heutigen Frankfurt leben und lieben. Im Gegensatz zu den vielen Jungschwuppen, die auf wilden Partys feiern und beim CSD auf den Straßen tanzen, werden sie in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Einer dieser Männer ist der Frankfurter Buchhändler Dieter Schiefelbein, der die damaligen Prozesse als Erster historisch recherchierte und mit einem 1992 publizierten Aufsatz die Erinnerung daran wachhält.
Auch heute – 70 Jahre nach den Frankfurter Homosexuellenprozessen – ist die Forschung noch nicht abgeschlossen. Daniel Speier versucht in seiner geplanten Dissertation an der Uni Gießen die Brüche und Kontinuitäten zwischen NS-Zeit und der jungen Bundesrepublik ausführlicher als bisher herauszuarbeiten. Für ihn sind auch "die komplexen Kausalzusammenhänge zwischen behördlichen Handlungsmotiven und der Prozesswelle" noch offen. Im "Überhandnehmen der gleichgeschlechtlichen Prostitution" sieht er nur eine mediale Rechtfertigung für das harsche behördliche Vorgehen.
Speier betont, dass auch die meisten Verbindungslinien zwischen homophilen Aktivisten des Frankfurter Raumes wie Hans Giese und der Prozesswelle bislang unklar seien. Auch wenn ich mir sicher bin, dass ein Engagement Hans Gieses in dieser Sache unwahrscheinlich ist (s. meinen queer.de-Artikel zu Giese), bin ich auf seine Dissertation schon sehr gespannt. Ich denke gerade an einen Rechtsanwalt, der im oben verlinkten "Spiegel"-Artikel vom 29. November 1950 zitiert wurde: "Die menschliche Bilanz der Verfahren werden wir erst später ziehen können, wenn wir die Selbstmorde, die vernichteten Existenzen und die vielleicht 150 Jahre Gefängnis der ersten Prozesse addieren."
...ist die heutige Bringschuld
Die schwule Geschichtsforschung ist gerade dabei, den Blick über den Nationalsozialismus hinaus auf die unmittelbare Nachkriegszeit zu richten. Es wird zunehmend anerkannt, dass die Situation der Schwulen in der frühen BRD trotz einer ganzen Reihe von Forschungen in weiten Teilen noch ein Forschungsdesiderat ist. Dieser Kampf um Aufmerksamkeit und letztendlich auch um Geld ist schwieriger zu führen, weil allen demokratischen Politiker*innen eine Distanz zur NS-Zeit naturgemäß leichter fällt als eine kritische Distanz zum eigenen Rechtsstaat.
Der BRD-Staat wollte lange überhaupt nicht zugeben, Unrecht getan zu haben. Von mehreren politischen Funktionsträger*innen gibt es zum Unrecht des § 175 mittlerweile Entschuldigungen, und der mittlerweile ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts gab 2019 öffentlich zu, dass er sich heute für ein homophobes Urteil zum § 175 StGB aus den Fünfzigerjahren schämt (queer.de berichtete). All dies sind wichtige Signale. Sie dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch die BRD als Rechtsstaat zum Teil bis zum heutigen Tag versagt. Das macht auch die Biografie des nie entschädigten Wolfgang Lauinger deutlich.
Rüdiger Lautmann betont in seinem Artikel "Historische Schuld. Der Homosexuellenparagraph in der frühen Bundesrepublik" (in: "Invertito. Jahrbuch für die Geschichte der Homosexualitäten", Jg. 13, 2011, S. 173-184), dass es wichtig sei, alle Urteile zum § 175 von 1949 bis 1969 für nichtig zu erklären, denn es gebe eine historische Schuld der BRD gegenüber schwulen Männern, die noch nicht abgetragen sei. Es ist ein Sachstand, der sehr gut die Situation vor der Verabschiedung des Rehabilitationsgesetzes von 2017 wiedergibt.
Lautmann spricht mir aus der Seele, wenn er hier auf einen wichtigen Aspekt der Rechtsphilosophie aufmerksam macht: Der manchmal vorgetragenen Pseudo-Argumentation "Was gestern Recht war, kann doch heute nicht Unrecht sein" hält er eine Argumentation entgegen, die sich auf die Frankfurter Prozesse übertragen lässt: "Was heute Unrecht ist, kann gestern kein Recht gewesen sein."

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