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Heimkino
Schlagfertige trans Youtuberin gegen katholische Schule
In der poppigen und empowernden Feelgood-Komödie "Alice Júnior" zieht eine trans Teenagerin mit ihrem Vater in die Provinz. Dort hat sie es nicht leicht, doch langsam wächst die Solidarität.

Alice (Anne Celestino Mota) wirft ihre neuen Mitschüler*innen und Lehrer*innen aus den katholisch gefurchten Bahnen (Bild: Renato Ogata & Gil Baroni)
22. November 2020, 05:52h 4 Min. Von
"Also Leute, ihr kennt mich als Alice Júnior, ich bin trans, schwer zu schlagen und bereit für alles, was da kommen mag." So präsentiert sich die Teenagerin für ihre Follower*innen auf Youtube. Ob sie wirklich für alles bereit ist? Naja, auf den Umzug aus der Millionenstadt Recife in ein konservatives Städtchen im Süden Brasiliens hätte Alice wohl verzichten können. Doch ihr Vater muss beruflich dorthin, um aus Zapfen Duftstoffe zu gewinnen – er arbeitet als Parfümeur.
Schon die Maklerin misgendert Alice, spricht mit dem Vater über "ihren Sohn". Der widerspricht heftig und merkt schnell: Das wird keine einfache Zeit. Am nächsten Tag dann der nächste Schock. Alice, die immerhin bei der Castingshow "Next Teen Topmodel" ziemlich weit gekommen ist, geht im Tüllrock, mit breitem Nierengürtel und Glitzerrucksack in die katholische Schule. Und muss sofort zur Direktorin, die ihr eine Schuluniform aufzwingt. Die für Jungs. In ihrer Klasse ist sie die Außenseiterin, der Freak, das leichte Opfer.
Überall Emojis, Memes und Herzchen
Doch Alice hat auch Verbündete: Ihr Geschichtslehrer fragt sie als einzige*r, wie sie im Unterricht genannt werden möchte. Die etwas nerdy Viviane entwickelt sich zu einer echten Freundin, und Taísa und ihr Freund Bruno zeigen sich von Anfang an solidarisch. Und natürlich Alices Vater, der sie hingebungsvoll unterstützt und auch den Konflikt mit der strengen Direktorin nicht scheut. Die beiden haben eine wunderbare, liebevolle Beziehung zueinander. Ein Vater, wie ihn alle queeren Teenager verdient haben.
"Alice Júnior", der dieses Jahr auf der Berlinale seine Premiere feierte und jetzt auf Netflix gestreamt werden kann, ist ein schneller, poppiger Film, der wie gemacht für die Generation Youtube ist (aber nicht nur). Flotte Schnitte, viel Musik, Snapchat-Tierfilter, Like-Herzchen, die durchs Bild schwirren, Emojis, Memes, bunte grafische Elemente, die manche Konturen nachzeichnen. Manchmal führt das zu einer Reizüberflutung, aber insgesamt übertreibt es Regisseur Gil Baroni doch nicht mit den Filtern und Smileys. Außerdem wirkt das Ganze stimmig und überhaupt nicht gewollt.
Auch Verbündete machen Fehler

Poster zum Film: "Alice Júnior" gibt es zum Stream auf Netflix
Der Star der Feelgood-Komödie ist natürlich Anne Celestino Mota in der Rolle von Alice. Sie betreibt selbst den Youtube-Kanal "Transtornada" und hat Regisseur Gil Baroni beim Drehbuch geholfen, "um die trans Erfahrung der Geschichte noch realer zu machen", wie sie dem brasilianischen feministischen Filmmagazin "Mulher No Cinema" erzählt hat.
So hat Bruno ihr in der ursprünglichen Fassung das "Kompliment" gemacht, sie sehe gar nicht trans aus und sei sehr hübsch. "Die Antwort meines Charakters war sehr einfach und oberflächlich", erzählt Anne Celestino Mota in demselben Interview. Stattdessen wird der Satz jetzt problematisiert. "Das klingt, als müsste ich hübsch sein, um eine Frau zu sein. Aber ich bin auf jeden Fall eine Frau." Bruno versteht das, er entschuldigt sich. Auch Allies machen Fehler – und es ist okay, wenn sie es einsehen und reflektieren.
"Unsere Lebenserwartung beträgt 35 Jahre"
Neben der immens wichtigen Rolle, die Solidarität und Verbündete spielen, verhandelt "Alice Júnior" eine Menge weiterer Themen: Die Komödie zeigt, dass sich Selbstbewusstsein und Selbstzweifel nicht ausschließen und wie wichtig Familie sein kann. Gerade für Brasilien ist der Film dabei besonders wichtig. Laut "Trans Murder Monitoring" wurden im vergangenen Jahr weltweit 350 trans* Menschen ermordet – 43 Prozent von ihnen allein in Brasilien (queer.de berichtete).
Das ist ein ernster, wichtiger Hintergrund. Und Mobbing, Bloßstellung und sogar körperliche Angriffe und sexuelle Belästigung erlebt auch Alice in der Schule. Das kann für einige belastend sein. Dennoch beweist der Film, gerade zum Ende hin, dass die Kraft der Solidarität stärker sein kann. Oder wie Hauptdarstellerin Anne Celestino Mota sagt: "Unsere Lebenserwartung beträgt 35 Jahre. Das macht Filme, die Gewalt thematisieren, notwendig. Es ist aber auch wichtig zu zeigen, dass Leben von trans Menschen nicht nur aus Absurditäten, Gewalt und Traurigkeit bestehen." Sondern auch, wie das von Alice, aus Poolpartys, ersten Küssen und einem liebevollen Vater.
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Links zum Thema:
» "Alice Júnior" bei Netflix
Mehr queere Kultur:
» auf sissymag.de
21:55h, arte:
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