Fürs Studium zog Andrew Rannells, geboren 1978 in Omaha, Nebraska, in den Neunzigerjahren nach New York und fasste dort schnell als Musicaldarsteller am Broadway Fuß. "The Book of Mormon" brachte ihm nicht nur einen Grammy und eine Tony-Nominierung ein, sondern auch erste große Rollen im Fernsehen. Dank "Girls", "The New Normal" oder Gastrollen in "How I Met Your Mother" und "Will & Grace" gehört er längst zu den erfolgreichsten offen schwulen Schauspielern in den USA, erst kürzlich war er auch in dem Netflix-Film "The Boys in the Band" zu sehen – zusammen mit seinem Lebensgefährten Tuc Watkins als Paar.
Nun spielt Rannells auch eine der Hauptrollen in dem von Ryan Murphy inszenierten Musical "The Prom", das es seit Donnerstag bei Netflix gibt (Filmkritik von Fabian Schäfer). Wir erwischten ihn für ein Videotelefonat in seinem New Yorker Wohnzimmer – und schwelgten nach dem Interview noch kurz mit ihm in Erinnerungen an seine Berliner Lieblingsbar, die inzwischen geschlossene "Sharon Stonewall Bar", wo er vor einigen Jahren noch Thanksgiving feierte.
Andrew Rannells spielt in "The Prom" den eher erfolglosen Schauspieler Trent Oliver
Andrew, in Ihrem neuen Film "The Prom" geht es – der Titel verrät es – um einen Abschlussball. Hatten Sie selbst so etwas überhaupt an der katholischen Jungs-Schule, die Sie besucht haben?
Klar gab's so eine Veranstaltung auch an unserer Schule. Aber ich kann es nicht unbedingt empfehlen, eine Horde Hetero-Jungs einen Abschlussball planen zu lassen. In jedem Fall war ich in der Ball-Saison immer schwer beschäftigt, denn außer unserer Schule gab es in der Nähe auch jede Menge Schulen nur für Mädchen. Und für deren Proms kamen immer alle zu uns, um uns als Dates zu gewinnen. Da war für uns Jungs viel tanzen angesagt.
War Ihr eigenes Date damals auch ein Mädchen?
Ja, ich habe sowohl zum Junior- als auch zum Senior-Prom ein Mädchen als Begleitung mitgenommen. Natürlich wäre ich lieber mit einem Jungen an meiner Seite aufgetaucht, aber so mutig war ich damals noch nicht.
Vermutlich hätten Sie in Ihrer Jugend in den Neunzigerjahren einen Film wie "The Prom", in dem eine lesbische Schülerin ihre Freundin mit zum Ball bringen will, auch gut gebrauchen können, oder?
Um Gottes Willen, na klar. Was hätte ich für einen solchen Film gegeben. Ich hätte mich so erkannt gefühlt. Nicht zuletzt deswegen war es mir so eine Freude, jetzt Teil dieses Projekts zu sein. Denn es gibt ja immer noch genug queere Kids, die ein bisschen Hoffnung und Bestätigung gebrauchen können. Natürlich richtet sich "The Prom" nicht nur an die. Aber eben doch ganz besonders.
Wobei natürlich queere Teenager gerade in westlichen Gesellschaften heute ganz anders aufwachsen als noch vor 30 Jahren…
Definitiv. Aber auch wenn ein Coming-out heutzutage in vielerlei Hinsicht leichter sein mag als früher für uns, ist es trotzdem immer noch eine unglaublich persönliche Erfahrung. Ganz egal, welche Geschichten im Kino oder im Fernsehen erzählt werden oder was man auch schon alles gelesen hat, ist das trotzdem immer ein großer Schritt, der nie einfach ist.
Wie sah Ihre eigene Coming-out-Erfahrung denn aus?
Meine Familie war zum Glück super. Und niemand war ernsthaft überrascht davon, dass ich schwul bin. Für mich selbst war es aber durchaus nicht einfach, meine eigene sexuelle Identität zu erkennen und zu akzeptieren. Da habe ich auch ein paar Erfahrungen gemacht, die im Rückblick nicht hätten sein müssen. Aber spätestens nach der High School, als ich dann mit dem College anfing, stand ich auf sicheren Füßen und wusste, wer ich bin und was ich wollte. Ich kam 1997 nach New York und war out, da gab es nie mehr etwas dran zu rütteln.
Die beiden lesbischen Schülerinnen Emma und Alyssa bekommen im Film ihren eigenen Abschlussball (Bild: Netflix)
Ihr Durchbruch gelang Ihnen am Broadway mit Musicals wie "Hairspray", "Jersey Boys" oder "The Book of Mormon". Da schließt sich mit "The Prom" jetzt im Grunde ein Kreis, oder?
Einerseits ja. Andererseits habe ich gemerkt, dass ein Film-Musical doch nochmal eine ganz andere Sache ist. Die Energie beim Singen und Tanzen ist einfach eine ganz andere, wenn man kein Publikum und kein unmittelbares Feedback hat. Die fehlenden direkten Reaktionen waren ohnehin etwas, woran ich mich beim Drehen anfangs gewöhnen musste. Aber bei Musical-Nummern, die man auch nicht nur einmal pro Abend, sondern beim Film manchmal acht oder neun Stunden am Stück macht, muss man schon sehr genau wissen, was man tut und wie man seine Kräfte einteilt. Vor allem, wenn man – wie ich bei "The Prom" – mit Kids dreht, die halb so alt sind wie ich und ordentlich Tempo vorlegen.
Woher kommt Ihre Musical-Liebe überhaupt?
In meiner Kindheit hat mein Vater mit mir ständig alte Hollywood-Musicals mit Betty Grable geguckt. Das erste Bühnen-Musical, das ich dann gesehen habe, war eine High-School-Inszenierung von "West Side Story", in der meine Schwester mitspielte. Das hat mich umgehauen. Von da an war irgendwie immer klar, dass ich irgendetwas in dieser Art auch mal machen muss.
Musical-Darsteller werden als Schauspieler nicht immer ganz ernst genommen. War er für Sie schwierig, auch vor der Kamera Fuß zu fassen?
Vor dem großen Erfolg von "The Book of Mormon" war es wirklich verdammt schwer, für Fernsehrollen überhaupt nur in Erwägung gezogen zu werden. Aber "The Book of Mormon" zog dann so viel Aufmerksamkeit auf sich, auch jenseits des üblichen Broadway-Publikums und sogar in Hollywood, dass davon ein bisschen was auf mich abfärbte. Ohne dieses Musicals hätte ich sicherlich weder die Rolle in der Serie "Girls" von Lena Dunham bekommen noch die in Ryan Murphys Sitcom "The New Normal". Plötzlich nahm meine Karriere eine ganz neue Richtung.
Poster zum Film: "The Prom" läuft seit 11. Dezember 2020 auf Netflix
Apropos Ryan Murphy: Wie würden Sie beschreiben, was ihn zu einer solchen Ausnahmeerscheinung in Film und Fernsehen macht?
Er scheint einfach allen anderen immer zwei Schritte voraus zu sein. Keine Ahnung, wie er das macht, aber er ist immer schon um die nächste Kurve, während der Zeitgeist erst aufholen muss. Die Geschichten, die er erzählt, und die Figuren, die er zeigt, sind immer welche, die man sonst nicht unbedingt zu sehen bekommt. Gerade auch aus queerer Sicht.
Tatsächlich trägt nicht zuletzt er mit seinen Produktionen maßgeblich dazu bei, dass LGBTI-Schauspieler*innen dieser Tage mehr Möglichkeiten bekommen denn je. Wie erleben Sie die Veränderungen, die sich in dieser Hinsicht vollzogen haben?
Ich persönlich kann mich auf jeden Fall glücklich schätzen, dass ich in den letzten Jahren so viele tolle Chancen und Jobs bekommen habe wie nie zuvor. Überhaupt ist die Diversität und Vielfalt der Geschichten, die in Film und Fernsehen erzählt werden, enorm gewachsen. Manchmal fragen mich Journalisten – eigentlich immer heterosexuelle übrigens – ob ich nicht Angst hätte, auf schwule Rollen festgelegt zu werden.
Und was antworten Sie dann?
Dass das so klingt, als gäbe es nur eine Art von schwuler Rolle. Als wären alle queeren Figuren immer die gleichen. Und vor 20 oder 30 Jahren stimmte das für Hollywood vermutlich sogar. Aber heute kann davon eben keine Rede mehr sein. Tatsächlich sind viele der Rollen, die ich spiele, schwule Männer. Doch die Ähnlichkeiten zwischen ihnen halten sich oft in Grenzen. Elijah in "Girls" hatte doch nichts gemeinsam mit Bryan in "The New Normal".
Bei Trent in "The Prom" wird nie erwähnt, ob er nun eigentlich homo-, hetero- oder bisexuell ist...
Stimmt, das spielt nämlich auch gar keine Rolle. Aber bei den Proben hat es sich so ergeben, dass sich zwischen Nicole Kidman und mir diese kleine Flirt-Dynamik entwickelt hat. Natürlich, denn wie könnte man mit Nicole nicht flirten. Selbst als Schwuler war ich natürlich gleich verknallt in sie.
Ihre große Nummer im Film handelt von der Bibel. Spielt Religion heute noch eine Rolle in Ihrem Leben?
Nein, nach einer katholischen Grundschule und dann der katholischen High School war ich mit dem Thema irgendwie durch, als ich schließlich ans College kam. Zumal es als schwuler Mann ja nicht ganz unkompliziert ist, in der katholischen Kirche seinen Platz zu finden. Da gibt es doch sehr viele sehr widersprüchliche Botschaften, die einem begegnen. Ich freue mich ja, dass der aktuelle Papst gerade seine Meinung zu Homo-Lebenspartnerschaften zu ändern scheint. Aber davon konnte natürlich in meiner Jugend keine Rede sein. Damals war katholisch und schwul sein irgendwie keine Option, deswegen habe ich die Religion irgendwann links liegen gelassen. Sehr zum Bedauern meiner Mutter, die bis heute noch sehr religiös und spirituell ist. Immerhin versteht sie inzwischen, warum ich mit diesem Glauben nichts mehr anfangen kann.
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Aber auch hier muss ich ihm wieder 100% zustimmen:
der Film mag nicht jedermanns Geschmack sein, weil er manchen vielleicht zu abgedreht, zu skurril, zu "camp" ist.
Aber ich wünschte, solche Filme hätte es schon in meiner Jugend gegeben. Dann hätte mein Leben vielleicht einen anderen Lauf genommen und ich hätte viel mehr auf meine Träume gehört und sie vielleicht verwirklichen können.
Insofern: wichtiger Film, der hoffentlich viele Zuschauer findet.