Das Einkammernparlament Ungarns hat am Dienstag ein Paket aus Gesetzentwürfen und Verfassungsergänzungen durchgewinkt, das LGBTI trotz Kritik aus dem In- und Ausland weiter stigmatisiert und benachteiligt.
Bereits seit 2012 heißt es nach einer von der Fidesz-Regierung des rechtsnationalen Ministerpräsidenten Viktor Orbán vorangetrieben Verfassungsänderung, dass die Ehe eine Verbindung aus Mann und Frau ist. Künftig heißt es ferner, für das "Überleben der Nation" schütze das Land die Familie, die auf einer Ehe und der Beziehung zwischen Eltern und Kindern aufbaue. "Die Mutter ist eine Frau und der Vater ist ein Mann."
Diese Verfassungsaussage wird ergänzt durch ein Gesetz, das die Adoption von Kindern nur noch verheirateten Paaren ermöglichen würde. Bisher war sie auch Einzelpersonen und unverheirateten Paaren möglich, in der Praxis allerdings zunehmend eingeschränkt. Künftig gibt es für sie nur eine Ausnahme, wenn die Leitung des Familienministeriums zustimmt – der Budapester CSD nennt die aktuelle Amtsinhaberin Katalin Novák "Ministerin für Homophobie". Homosexuellen Paaren ist damit künftig de facto die Adoption von Kindern verboten.
Nicht-Anerkennung von trans Personen in Verfassung bestätigt
Ferner heißt es künftig in der Verfassung, Ungarn biete Schulerziehung im Sinne der Verfassung und der "christlichen Kultur" – was unter anderem Aufklärung über LGBTI unmöglich machen könnte. Auch unterstütze das Land "das Recht des Kindes" auf "Selbst-Identifikation gemäß seinem Geschlecht bei Geburt". Damit scheint die kürzlich vollzogene Nicht-Anerkennung von trans Personen Verfassungsrang zu bekommen.
Im Frühjahr hatte das Parlament ein inzwischen in Kraft getretenes Gesetz beschlossen, wonach der Personenstandseintrag eines Menschen beim Standesamt, auf dem alle offiziellen Dokumente wie Personalausweise oder Führerscheine basieren, künftig nicht mehr das "Geschlecht" erfasst, sondern das "Geschlecht zur Geburt" – definiert als "das biologische Geschlecht", wie es "durch primäre geschlechtliche Merkmale und Chromosomen bestimmt" werde. Der Eintrag ist danach – ebenso wie der Vorname – nicht mehr änderbar (queer.de berichtete).
"Anfang des Jahres hat Ungarn es trans Personen unmöglich gemacht, ihren Namen und ihren rechtlichen Geschlechtseintrag zu ändern. Wir sind zutiefst besorgt um die Gesundheit und Sicherheit von trans Kindern und Erwachsenen in Ungarn in einem so feindlichen Klima", kommentierte Masen Davis von Transgender Europe. "Wir fordern EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf, die Rechte von LGBT-Eltern, den Versuch, geschlechtsdiverse Kinder auszulöschen, und das Verbot der rechtlichen Anerkennung des Geschlechts im Rahmen der Rechtsstaatlichkeitsprüfung der Kommission und den laufenden Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrags gegen Ungarn anzusprechen."
"Schwarzer Tag für die Community"
Für die Vorlagen stimmte das Parlament mit 134 zu 45 Stimmen bei fünf Enthaltungen, 15 Abgeordnete blieben der Abstimmung fern. "Dies ist ein schwarzer Tag für die ungarische LGBTQ-Community und für die Menschenrechte. Diese diskriminierenden, homophoben und transphoben Gesetze – durchgewinkt unter dem Mantel der Corona-Pandemie – stellen nur die jüngste Attacke der ungarischen Behörden auf LGBTQ-Personen dar", kommentierte Dávid Vig, Direktor von Amnesty International in Ungarn. Die Menschenrechtskommissarin des Europarats, Dunja Mijatovic, hatte der Regierung vorab eine "offensichtliche Eskalation der Stigmatisierung von LGBTI-Menschen" und die "Beeinflussung ihrer Würde und Rechte zum politischen Vorteil" vorgeworfen (queer.de berichtete).
Der Budapest Pride sprach am Dienstag von einer "Diskriminierung gegenüber der LGBTQ-Community in einer in Europa beispiellosen Weise". Der CSD kritisierte auch die schnelle Verabschiedung in einer Zeit, in der Demonstrationen komplett verboten sind – selbst eine Auto-Kundgebung sei der Organisation untersagt worden, während Gottesdienste erlaubt sind. Die Regierung hatte die Pläne für Verfassungsänderung und Adoptionsrecht erst Mitte November angekündigt (queer.de berichtete).
In den vergangenen Monaten verstärkten die von der Regierung kontrollierten Medien die Kampagnen gegen sexuelle Minderheiten. Eine rechtsextreme Parlamentsabgeordnete schredderte vor Fernsehkameras ein neues Kinderbuch einer Lesben-Organisation, das um Verständnis für Menschen wirbt, die aus verschiedenen Gründen Diskriminierung erfahren. Orbán stellte sich hinter die Aktion der Abgeordneten (queer.de berichtete). Vor wenigen Tagen distanzierte er sich allerdings von einem Parteifreund: Der inzwischen zurückgetretene Europaabgeordnete József Szájer war bei einer schwulen Sexparty in Brüssel wegen Verstößen gegen Corona-Beschränkungen von der Polizei geschnappt worden (queer.de berichtete). (cw)