Mit ihrem Antrag "Wissenschaft von Ideologie befreien – Förderung der Gender-Forschung beenden" (PDF) stieß die AfD am frühen Donnerstagabend auf einhelligen Widerstand alle anderen Fraktionen. Mit dem wirren Papier will die Rechtsaußenpartei der Geschlechterforschung an deutschen Universitäten den Garaus machen – angeblich um die Wissenschaftsfreiheit zu retten. Die demokratischen Fraktionen sahen in dem Antrag aber das genaue Gegenteil, nämlich einen Anschlag auf diese Freiheit.
Die Ablehnung der Forschung über Geschlechter durch die AfD ist nicht überraschend: Das interdisziplinäre Feld ist weltweit rechtspopulistischen und rechtsextremen Parteien ein Dorn im Auge. Das von Viktor Orbán autoritär regierte Ungarn hat dieses Fach etwa bereits vor zwei Jahren verboten, um die "christliche Familie" zu schützen (queer.de berichtete).
In Wirklichkeit ist Geschlechterforschung – international als "Gender Studies" bekannt – jedoch ein wachsendes Feld, in dem es mehrere Ansätze gibt. Ihnen ist gemein, dass sie Geschlecht nicht ausschließlich als naturwissenschaftlich zu erklärendes biologisches Phänomen betrachten, sondern darüber hinaus als soziokulturell geprägte Erscheinung. Anders als im AfD-Antrag behauptet, gehen die Genderforschenden aber nicht davon aus, dass es keine biologisch bestimmten Geschlechterunterschiede gebe. Sie eint vielmehr die Annahme, dass das Vorhandensein unterschiedlicher Organe und eines unterschiedlichen Hormonspiegels nicht automatisch vorbestimmt, welche Eigenschaften und Fähigkeiten Menschen haben.
Der AfD-Politiker Marc Jongen stellte den Antrag seiner Fraktion vor – und stilisierte sich und seine Mannen zum Opfer der "Gender-Ideologie". In Universitäten würden Ideen ausgebrütet, um das Klima zu vergiften. Das dürfe nicht staatlich gefördert werden. Hinter dem interdisziplinären Fachgebiet steckten "aggressive Lobbygruppen", die Kritiker "mundtot" machen wollten. Genauer gesagt verstehen sich die Gender Studies nach Ansicht der AfD "explizit als akademischer Arm der LGBTQ-Lobby, also der sexuellen Minderheiten".
(Bild: Parlamentsfernsehen)
Die weiteren Redner*innen der demokratischen Fraktionen waren sich daraufhin ungewohnt einig – in feurigen Reden verteidigten sie die Freiheit der Wissenschaft, auch über Geschlechter forschen zu dürfen. Der Münchner Abgeordnete Wolfgang Stefinger von der CSU erklärte etwa, Genderforschung sei nicht aus Langeweile entstanden. Vielmehr sei sie eine Reaktion auf lange Zeit von Diskriminierung und Unterdrückung. Der Antrag der AfD sei dagegen "undifferenziert und pauschal". Es sei auch lächerlich, wenn die AfD behaupte, man könne in Deutschland keine Kritik an Dingen wie Geschlechterforschung üben: "Sie dürfen sich ans Rednerpult stellen und jeglichen Blödsinn erzählen. Was passiert Ihnen? Nichts", so Stefinger. "Sie wollen keine freie Wissenschaft, sie wollen eine Wissenschaft, die Ihrer Ideologie nützt."
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Auch Thomas Sattelberger von der FDP verteidigte Studien über Geschlechter – mit einem Geschichtskurs: Es handle sich um "evolutionär sich entwickelnde Forschung", die auf Arbeiten von Simone de Beauvoir aus den Vierzigerjahren des letzten Jahrhunderts zurückgehe. Gefragt werde, wie sich das Geschlecht auf Privilegien oder Diskriminierung auswirke oder welchen Einfluss die Religion habe.
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Die Sozialdemokratin Wiebke Esdar (SPD) wies anschließend darauf hin, dass sich zu diesem Zeitpunkt keine einzige AfD-Frau im Plenum befinde. Sie erklärte mit Blick auf Ungarn auch, dass "andere rechtsextreme Parteien" die Geschlechterforschung ganz verbieten wollten. Die Folgen für das Reich Viktor Orbáns seien aber "verheerend": Wegen der Politik würden viele Ungar*innen das Land verlassen. Der AfD warf sie vor, Frauen an den Herd zurückdrängen zu wollen.
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Nicole Gohlke (Die Linke) mutmaßte, die AfD wolle "das Rad der Zeit zurückdrehen", bevor sie ihre Analyse der Rechtsaußenpartei präsentierte: Antifeminismus und Rassismus seien das einzig Verbindende in der AfD. Bei wichtigen Fragen – etwa steigenden Mieten oder sinkenden Renten – biete die Partei jedoch keinerlei Antworten. Die AfD, so die Bayerin, habe sich von "menschenverachtenden Mist" der Nationalsozialisten nicht entfernt. Sie wolle Standpunkte mundtot machen und betreibe "pure Demagogie".
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Der Grünenpolitiker Kai Gehring schlug in dasselbe Horn und ergänzte, dass der Bundestag die Wissenschaft vor den Attacken der AfD schützen würde. Er kritisierte in einer lebhaften Rede auch die Zahlen der AfD, die in dem Antrag behauptete, es gebe 213 Professuren für Gender Studies in Deutschland. Gehring erklärte, viele davon seien vakant, andere seien in Wahrheit Professuren für Literatur oder Medizin, die eben Geschlecht im Titel enthielten. Wiederum andere seien in Salzburg, Wien oder Basel beheimatet. "Kaufen Sie sich mal eine aktuelle Deutschlandkarte", forderte der Essener die rechtsaußen sitzenden Abgeordneten auf. "Kommen Sie klar, dass es mehr gibt als Mann, Mann, Mann und Frau." Am Ende fragte Gehring mit Blick auf die ausschließlich von Männern besetzten Reihen der AfD: "Wo ist eigentlich Frau von Storch?"
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Als letzte Rednerin kam die Münsteranerin Sybille Benning (CDU) auf die Lebenswirklichkeit von Frauen zurück. Sie seien besonders von der Corona-Krise betroffen. So seien sie zum Beispiel vermehrt im Pflegedienst oder als Kassiererinnen aktiv. "Sie sind diejenigen, die den Laden zusammenhalten und sich tagtäglich einem Infektionsrisiko aussetzen." Krisen träfen Männer und Frauen unterschiedlich – deshalb sei Forschung wichtig. Eine Zwischenfrage des AfD-Abgeordneten Götz Frömming ließ sie nicht zu.
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Frömming kam dann mit einer sogenannten Kurzintervention doch noch am Ende der der halbstündigen Debatte zu Wort. Der Berliner versuchte sich in einem kurzen Einwurf vom Sitzplatz aus zu rechtfertigen: "Was wir machen ist nicht, Wissenschaft verbieten wollen, sondern die Forderungen, die wir erheben, sind politische Forderungen." CDU-Frau Benning reagierte darauf mit der Aussage, dass sie dankbar sei, in einer Demokratie mit Wissenschaftsfreiheit leben zu dürfen. Sie schloss diese Debatte mit den Worten: "Und ich hoffe, dass das immer so bleibt."
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