Queere Vereine, selbst Überfalltelefone und Aufklärungsprojekte, wurden in Deutschland bislang nicht explizit als gemeinnützig anerkannt. Das ändert sich nun endlich. Bereits am Mittwoch stimmte der Bundestag im Rahmen des Jahressteuergesetzes für eine entsprechende Änderung von Paragraf 52 der Abgabenordnung, am Freitag ließ der Bundesrat das Gesetz (PDF) passieren. Jetzt fehlt nur die Unterschrift des Bundespräsidenten.
Als gemeinnütziger Zweck gilt nun auch die "Förderung der Hilfe für Menschen, die auf Grund ihrer geschlechtlichen Identität oder ihrer geschlechtlichen Orientierung diskriminiert werden". So steht es wörtlich im Gesetz. Konkret ergänzt wird der Absatz 10, in dem zuvor schon der Einsatz für Flüchtlinge, Vertriebene, Behinderte, für Opfer von Straftaten oder Kriegs- und Katastropfenopfer aufgezählt wurde.
Der Begriff "geschlechtliche Orientierung" macht keinen Sinn
Der Beschluss ist – einerseits – ein riesiger Erfolg für die LGBTI-Community. Ab sofort sind queere Vereine nicht mehr vom Wohlwollen der zuständigen Finanzbeamt*innen abhängig. Fünf lange Jahre nach Übergabe der von der Initiative "100% Mensch" initiierten Petition "Auch wir sind gemeinnützig" ist endlich Schluss mit dem künstlichen Tunen der Satzungen, in denen die "Förderung von Kunst und Kultur" oder die "öffentliche Gesundheitspflege" angeblich ganz wichtig ist.
Doch andererseits: Was, bitte schön, ist die "geschlechtliche Orientierung"? Diesen Begriff gibt es nicht, und er macht auch keinen Sinn. Im Allgemeinen sprechen wir, wenn es um LGBTI geht, von der "geschlechtlichen Identität" und der "sexuellen Orientierung". Im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz und in Landesverfassungen hat sich als Sammelbegriff "sexuelle Identität" durchgesetzt, was gerade noch akzeptabel ist. Doch im komplett neuen Wording "geschlechtliche Orientierung" finden sich Lesben, Schwule und Bisexuelle, genau genommen, nicht wieder. Ein findiges Finanzamt könnte einem Verein, der sich der Förderung der Hilfe für homo- und bisexuelle Menschen verschrieben hat, weiterhin die Gemeinnützigkeit verwehren.
Trotz Intervention keine Änderung
Queere Aktivist*innen, allen voran der LSVD-Bundesvorstand Alfonso Pantisano, hatten im Vorfeld versucht zu intervenieren – ohne Erfolg. Erst hieß es aus dem Finanzausschuss des Bundestags, es handele sich um einen "redaktionellen Fehler", der nicht mehr zu korrigieren sei. Dann wurde kolportiert, dass das Finanzministerium von SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz den Begriff "geschlechtliche Orientierung" ganz bewusst erfunden habe, weil es "sexuelle Orientierung" zu anzüglich fand.
Was auch immer stimmt: Die Formulierung in der Abgabenordnung ist megapeinlich. Sie zeigt abermals die große Arroganz gegenüber den Belangen queerer Bürger*innen in Teilen der deutschen Politik, aber auch die Inkompetenz und das offensichtliche Desinteresse der beteiligten Politiker*innen und Beamt*innen. LGBTI-Verbände wurden, obwohl es sie betrifft, zu keinem Zeitpunkt in das Gesetzgebungsverfahren einbezogen. Das muss sich in Zukunft ändern!