Trump-Fans wollen verhindern, dass Joe Biden in zwei Wochen zum US-Präsidenten ernannt wird, obwohl er die Wahl im November mit deutlichem Abstand gewonnen hatte (Bild: Screenshot Fox News Channel)
Der Sturm des Washingtoner Regierungsviertels am Dreikönigstag durch tausende republikanische Trump-Anhänger*innen ist von LGBTI-Organisationen und queeren Politiker*innen scharf kritisiert worden. Bei der stundenlangen Protestaktion drangen Demonstrant*innen ins altehrwürdige Parlamentsgebäude ein, zerbrachen Fensterscheiben und randalierten in Abgeordnetenbüros. Vier Menschen starben, es gab über 50 Festnahmen. Viele Politiker*innen, darunter auch einige der Republikanischen Partei, machten die Trump-Rhetorik für die Attacke auf das Zentrum der amerikanischen Demokratie verantwortlich.
"Donald Trump war, ist und wird eine Gefahr für die Demokratie, die US-Verfassung und menschliches Leben bleiben, solange er im Amt ist", erklärte Cathy Renna, die Chefin der National LGBTQ Task Force. "Auch wenn sein Putschversuch gescheitert ist, bleiben Trump und seine Anhänger eine Gefahr für die Demokratie". Renna forderte das Kabinett des Präsidenten auf, Trump wegen Amtsunfähigkeit abzusetzen. Hintergrund ist, dass der neu gewählte Präsident Joe Biden erst am 20. Januar die Macht übernehmen soll und Trump bis dahin unilaterale Entscheidungen treffen kann.
Die Human Rights Campaign, die größte und einflussreichste LGBTI-Organisation des Landes, zeigte sich auf Twitter entsetzt. Sie kritisierte die Polizei, die Trump-Anhänger*innen milder behandle als Menschenrechtler*innen: "Lassen Sie uns der Wahrheit ins Gesicht sehen: Wenn es keine Privilegierung Weißer geben würde, hätten die Trump-Aufständischen heute die selben polizeilichen Übergriffe erfahren, die friedvolle 'Black Lives Matter'-Demonstranten letzten Frühjahr erleben mussten."
Sarah Kate Ellis, die Chefin der LGBTI-Organisation GLAAD, lobte die Reaktion der größten sozialen Netzwerke auf den Kapitol-Sturm, die Trumps Konten zeitlich begrenzt gesperrt hatten. Dies reiche aber nicht aus: "Das einzige verantwortungsvolle Handeln war bis jetzt die vorübergehende Sperrung durch Twitter und Facebook. Die Sperrung sollte mindestens dauerhaft werden. Es ist an der Zeit, echte Schritte für Sicherheit und Gerechtigkeit für alle einzuleiten."
Unter den Teilnehmer*innen des Protests befanden sich aber offenbar auch vereinzelt Teile der LGBTI-Community. So schwenkten mehrere Trump-Fans Regenbogenfahnen – gleich neben rassistischen Bannern wie der Südstaatenflagge. Sie sollen der Gruppe "Gays for Trump" angehören, für die unter anderem der offen schwule Rechtsextremist Milo Yiannopoulos geworben hatte.
Viele LGBTI-Politiker*innen zeigten sich hingegen über den Kapitol-Sturm entsetzt. Danica Roem, die erste trans Landesabgeordnete der USA, bezeichnete wie auch der offen schwule Kongressabgeordnete Mark Pocan die Trump-Fans am Kapitol als "Inlandsterroristen". Maura Healey, die offen lesbische Landesjustizministerin und Generalstaatsanwältin von Massachusetts, sprach von einem "Putschversuch". Der offen schwule Abgeordnete David Cicilline ergänzte, Trump sei für die Gewalt verantwortlich und müsse "des Amtes enthoben und verurteilt" werden.
Der Kapitol-Sturm ereignete sich nur wenige Stunden, nachdem die Demokraten den Republikanern die Mehrheit im Senat abgenommen und damit in den nächsten zwei Jahren beide Kammern des Parlaments kontrollieren – wenn auch äußerst knapp (mit 222:211 Stimmen bzw. 51:50 inklusive Vizepräsidentin Kamala Harris). Die Machtübernahme im Senat erfolgte durch zwei Stichwahlen zum Senat im traditionell konservativen Bundesstaat Georgia, bei denen die Demokraten hauchdünn gegen einen republikanischen Amtsinhaber und eine republikanische Amtsinhaberin gewinnen konnten: Jon Ossoff und Raphael Warnock holten 50,4 bzw. 50,8 Prozent der Stimmen. LGBTI-Aktivist*innen begrüßten die Ergebnisse.
Praktisch alle großen LGBTI-Organisationen hatten im Wahlkampf dem demokratischen Kandidaten Joe Biden unterstützt und Trump für seine LGBTI-feindliche Politik kritisiert. Trotzdem stimmten Anfang November laut einer Wahltagsbefragung 28 Prozent des queeren Wahlvolks für den Republikaner – und damit fast doppelt so viele wie 2016 (queer.de berichtete). (dk)