Wer über Edmund White spricht, redet immer auch über schwule Geschichte. White erlebte Ende der Sechziger die New Yorker Stonewall-Unruhen mit, hatte in den Siebzigern Robert Mapplethorpe zum Freund, war zu Beginn der Achtziger an der Gründung der ersten Aids-Organisation "Gay Men's Health Crisis" beteiligt, veröffentlichte in den Neunzigern viel beachtete Biografien über Jean Genet und Marcel Proust und wurde in den 2000ern Namensgeber eines Literaturpreises, mit dem inzwischen jedes Jahr Debütromane ausgezeichnet werden, die sich mit queeren Themen befassen.
Dass White außerdem Autor der schwulen Kultromane "Selbstbildnis eines Jünglings" und "Das schöne Zimmer ist leer" ist, und in seinen persönlichen Bänden konsequent offen über sein Leben, seine sexuellen Vorlieben und seine HIV-Infektion plaudert, hat ihm zu Recht den Ruf eines schwulen Chronisten eingebracht. Er hat viel erreicht in seinem Leben. Aber müde ist er noch lange nicht.
Dank "Time" und Susan Sontag ist White in aller Munde
Wenn White am 13. Januar 81 Jahre alt wird, ist wohl nur Corona Schuld daran, dass es ein eher stilles Fest werden dürfte. Der Jubilar selbst ist rührig wie eh und je. Gerade wurde sein im August in den USA erschienener Roman "A Saint from Texas" vom "Time Magazine" in die Liste der "The 100 Must-Read-Books of 2020" gewählt, und dank des Susan-Sontag-Hypes, den Benjamin Mosers Bestseller-Biografie "Sontag: Her Life and Work" ausgelöst hat, geistert Whites Name durch Unmengen von Rezensionen und Zeitungsartikeln, denn er war in den Siebzigern mit Susan Sontag befreundet und hat dieser Freundschaft in seinen Erinnerungen "City Boy" ein ganzes Kapitel gewidmet.
Gleichzeitigkeit von Vergangenheit und Gegenwart
"Meine Leben" erscheint im April im Albino Verlag
Bei uns steht im Frühling derweil die Veröffentlichung der deutschen Übersetzung der White-Memoiren "My Lives" an. Auf das Buch kann man sich schon mal freuen. Nicht nur berichtet der Autor dort in zehn eloquent-anekdotenreichen Kapiteln über seine Reifung vom stockschwulen Dreikäsehoch zum gefeierten Schriftsteller, er überrascht auch durch eine Struktur, die den Reifeprozess nicht chronologisch abbildet, sondern anhand zentraler Lebensthemen nachvollzieht – darunter "Meine Stricher", "Meine Blonden" und "Mein Genet".
Der Effekt dieser Herangehensweise ist verblüffend. Indem sich die Themen, Protagonisten und Lebensphasen im Laufe der Lektüre allmählich wie ein Puzzle zu einem Gesamtbild zusammenfügen, gelingt es White, eine Gleichzeitigkeit von Vergangenheit und Gegenwart zu erzeugen. In der Figur des Erzählers sind sie alle permanent präsent: der tuntige Muttersohn Edmund Valentine White III., der dauerverknallte junge Schwule, der erfolglose Hippie-Künstler, der aufstrebende Schreiber, der frisch diagnostizierte HIV-Positive, der Liebhaber, der Freund. Eine clevere und universelle Art, um die Vielschichtigkeit einer menschlichen Persönlichkeit zu verdeutlichen – und gerade zum Geburtstag eine schöne Erinnerung daran, dass wir mehr sind als die Summe unserer Jahre.
Zum Geburtstag: Einmal Vorfreude und drei Bücher
"Meine Leben" erscheint im April bei Albino. Für alle, die sich an Whites 81. Geburtstag nicht mit Vorfreude begnügen wollen, hat der Verlag außerdem "City Boy" und die White-Bände "Der Flaneur" und "Die Gaben der Schönheit" im Programm. Happy Birthday!
Infos zum Buch
Edmund White: Meine Leben. Deutsche Übersetzung von Joachim Bartholomae. 620 Seiten. Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen. Albino Verlag. Berlin 2021. Erscheinungstermin: April 2021. 28 €. ISBN 978-3-8630-0301-2