Zu Update springen: Erneute Festnahmen und Einsatz von Tränengas und Gummigeschossen, queere Uni-Gruppe verboten (18h)
Nach zahlreichen Festnahmen bei Studierendenprotesten an der renommierten Bogazici-Universität in Istanbul befinden sich 60 Menschen weiter in Polizeigewahrsam. Von ursprünglich 159 Festgenommenen seien 99 wieder frei, sagte Anwalt Gökhan Soysal, der einen Teil der Studierenden vertritt, der Deutschen Presse-Agentur am Dienstag. Zwei seiner Mandanten seien von Polizeistöcken getroffen und im Krankenhaus behandelt worden.
Am späten Abend war die Polizei auf das Campus-Gelände vorgedrungen und hatte weitere Studierende festgenommen. Zuvor war es tagsüber vor der Uni und bei einer "Soli-Pride"-Demonstration in Izmir zu teils gewaltsamen Festnahmen gekommen (queer.de berichtete).
Die Studierenden der Bogazici-Universität protestieren seit Anfang Januar gegen den von Präsident Recep Tayyip Erdogan eingesetzten neuen Direktor Melih Bulu, einem erzkonservativen Politiker der Regierungspartei AKP. Die Proteste gingen auch am Dienstag weiter: Akademiker*innen stellten sich auf dem Campus mit dem Rücken zum Direktorat und hielten Schilder mit der Aufschrift 159 hoch, wie auf Videos zu sehen war. Studierende forderten in Sprechchören den Rücktritt Bulus.
Angeheizt wurden die Proteste zuletzt durch Haftbefehle gegen zwei Studenten am Wochenende. Sie waren im Zusammenhang mit einer Ausstellung auf dem Campus der Universität festgenommen worden, auf der auch ein umstrittenes Bild rund um das muslimische Heiligtum Kaaba in Saudi-Arabien gezeigt wurde (queer.de berichtete). Unter anderem zieren queere Flaggen den Rand des Bildes. Sogar Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan startete daraufhin eine pauschale Attacke auf queere Jugendliche (queer.de berichtete).
Innenminister spricht von "LGBT-Perversen"
Innenminister Süleyman Soylu äußerte sich am Dienstag erneut abwertend über sexuelle und geschlechtliche Minderheiten, nachdem Twitter einen ähnlichen Tweet von Samstag mit einer Warnmeldung markiert hatte. In den Tweets sprach er über "LGBT-Perverse". Auch der neue Tweet wurde kurz nach der Veröffentlichung von Twitter mit einer Warnmeldung versehen.


International löste die Staatshomophobie scharfe Kritik aus. Terry Reintke, die aus Deutschland stammende Vize-Fraktionschefin der Grünen im Europäischen Parlament, erklärte etwa am Dienstagmittag auf Englisch in sozialen Netzwerken: "LGBTIs zu Sündenböcken zu machen, ist eine gefährliche Taktik, die wir bereits in Polen und Ungarn gesehen haben." Die 33-Jährige ließ die türkische Regierung außerdem wissen: "Wir sind keine Ideologie. Wir sind keine Kriminellen." (dpa/dk)
Update 18h: Erneute Festnahmen und Einsatz von Tränengas und Gummigeschossen, queere Uni-Gruppe verboten
Bei Protesten von Studierenden in der Türkei gegen die Einsetzung eines neuen Direktors an der renommierten Bogazici-Universität in Istanbul sind erneut zahlreiche Menschen festgenommen worden. In der türkischen Hauptstadt Ankara gab es am Dienstag bei einer Solidaritätskundgebung auch Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften, wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu berichtete. Rund 70 Menschen seien dabei festgenommen worden.
In Istanbul versammelten sich Studierende trotz eines Verbots im asiatischen Stadtteil Kadiköy. Die Polizei sperrte einen Platz am Fähranleger ab, wie eine dpa-Reporterin berichtete. Sicherheitskräfte setzten auch Tränengas und Plastikgeschosse ein. Einige Demonstranten skandierten: "Wir wollen keinen Zwangsverwalter-Direktor."
Der von der AKP-Zentralregierung gestellte und unter anderem für die Polizei zuständige Gouverneur der Metropole hat für die nächsten sieben Tage ein Versammlungsverbot erlassen. Derweil wurde bekannt, dass das Uni-Präsidium die queere Studierendengruppe der Bogazici-Universität aufgelöst hat.
Die führenden queeren Organisationen des Landes haben eine Erklärung veröffentlicht, in der sie Polizeigewalt gegen Studierende, die hasserfüllte Rhetorik gegenüber LGBTI+ und die Einschränkung der Grundrechte queerer Menschen beklagen. (nb/dpa)