Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat Studierende im Zusammenhang mit Protesten an der Bogazici-Universität in Istanbul erneut scharf angegriffen und dabei auch die Existenz von queeren Menschen geleugnet. Die jungen Protestierenden seien "Mitglieder von Terrororganisationen", sagte Erdogan am Mittwoch in einer Videoansprache sichtlich verärgert zu Mitgliedern seiner Regierungspartei AKP. In der Rede erklärte Erdogan laut dpa auch: "LGBT, so etwas gibt es nicht." Schließlich habe die Türkei Werte, fuhr der Autokrat fort.
Protestierende Studierende besäßen hingegen keine nationalen und moralischen Werte, sagte der 66-Jährige weiter. Er warf den studentischen "Terroristen" vor, das Büro des Rektors besetzen zu wollen. Man werde aber niemals zulassen, dass in der Türkei Terroristen herrschten, sagte Erdogan. "Dieses Land wird keinen Gezi-Aufstand mehr in Taksim erleben und es auch nicht zulassen." Erdogan nahm damit Bezug auf die regierungskritischen Gezi-Proteste von 2013.
Die Studierenden der Bogazici-Universität protestieren seit Anfang Januar gegen den von Erdogan eingesetzten neuen Direktor Melih Bulu, einem Erodgan-treuen Statthalter der Regierungspartei AKP. Bulu sagte am Mittwoch, er denke "keinesfalls" an einen Rücktritt.
In den letzten Tagen hatte es in Istanbul und anderen Städten Studierendenproteste gegeben, die von der Polizei niedergeschlagen wurden (queer.de berichtete). Allein am Montag waren in Istanbul offiziellen Angaben zufolge 159 Studierende festgenommen worden. 29 sollen sich am Mittwoch immer noch in Gewahrsam befinden.
Twitter / KaiGehring | Der Bundestagsabgeordnete Kai Gehring rief zweisprachig zur Solidarität mit den Protestierenden auf
Angeheizt wurden die Proteste zuletzt durch Haftbefehle gegen zwei Studenten am Wochenende. Sie waren im Zusammenhang mit einer Ausstellung auf dem Campus der Universität festgenommen worden, auf der auch ein umstrittenes Bild rund um das muslimische Heiligtum Kaaba in Saudi-Arabien gezeigt wurde (queer.de berichtete).
Erdogan und sein Innenminister Süleyman Soylu hatte in den letzten Tagen wiederholt gegen LGBTI polemisiert. Soylu hatte etwa auf Twitter von "LGBT-Perversen" gesprochen. Der amerikanische Kurznachrichtendienst hatte daraufhin mehrere Tweets des Ministers als Verstoß gegen "Twitter-Regeln zu Hass schürendem Verhalten" gebrandmarkt, sie aber nicht gelöscht, weil "möglicherweise ein öffentliches Interesse daran besteht, diesen Tweet zugänglich zu lassen". Erdogan hatte seine Parteijugend dafür gelobt, nicht queer zu sein ("Ihr seid nicht die LGBT-Jugend, nicht die Jugend, die Vandalismus betreibt, sondern diejenige, die zerstörte Herzen heilt").
Der seit fast 20 Jahren regierende Autokrat Erdogan hatte zu Beginn seiner Amtszeit noch liberalere Töne angeschlagen, sich in den letzten Jahren aber vermehrt LGBTI-feindlich gegeben. Letztes Jahr warf er etwa der queeren Community vor, die türkische Jugend zu "vergiften" (queer.de berichtete). Auch CSDs wurden zuletzt immer wieder mit Polizegewalt niedergeschlagen. Die Organisation Human Rights Watch bezeichnet die Staatshomophobie in der Türkei als "extrem besorgniserregend" (queer.de berichtete).
Seit einer Verfassungsänderung und dem Inkrafttreten des Präsidialsystems im Juli 2018 hat Erdogan weitreichende Vollmachten. Unter anderem ist der Präsident alleine berechtigt, Rektor*innen an staatlichen Universitäten einzusetzen. Erdogan betonte am Mittwoch erneut, dass er sich eine neue Verfassung wünsche, die auf das Präsidialsystem aufbaue. Ähnlich hatte er sich bereits am Montag geäußert. (dpa/dk)
Gestalten, die wissenschaftliche Fakten leugnen, sagen damit nichts über diese Fakten aus, sondern nur über sich selbst....