Cover-Ausschnitt des Magazins der SZ, es trägt den Titel "Wir sind schon da"
In der neuesten Ausgabe des Magazins der "Süddeutschen Zeitung", das am Freitag der Zeitung beiliegt und für zahlende SZ-Plus-Kunden bereits online verfügbar ist, outen sich nach Vorabankündigung der Redaktion 185 lesbische, schwule, bisexuelle, queere, nicht-binäre und trans* Schauspieler*innen.
Die Abgebildeten forderten "mehr Anerkennung in Theater, Film und Fernsehen", heißt es in der Ankündigung. "Mit der Initiative #actout und einem gemeinsamen Manifest wollen sie eine Debatte anstoßen. Sechs von ihnen sprechen im Interview über Klischeerollen und die immer wiederkehrende Warnung vor dem Coming-out."
Dieses Interview wurde geführt von Carolin Emcke, die bereits das Coming-out von Ex-Fußballnationalspieler Thomas Hitzlsperger publizistisch begleitet hatte, und Lara Fritzsche. Gesprochen haben sie mit Jonathan Berlin ("Preis der Freiheit"), Eva Meckbach ("Criminal"), Tucké Royale, Karin Hanczewski ("Tatort Dresden)", Godehard Giese ("Babylon Berlin") und Mehmet Atesci ("Nachspielzeit"). "Mir wurde immer gesagt, ich solle mich nicht outen", sagt etwa Hanczewski. "Als ich den 'Tatort' bereits hatte, wurde mir gesagt, ich soll mich nicht outen, bevor ich nicht den Fuß richtig in der Branche habe, und wir wissen ja alle, dass die Leute, die den Fuß so richtig drinnen haben und auch den ganzen Körper, es erst recht nicht tun sollen. Es gibt also nie den richtigen Zeitpunkt."
"Als wir uns im Vorfeld überlegt haben, was wir als Gruppe wollen, ging es immer um eine Sichtbarmachung", so Giese in dem Interview. "Jede*r von uns hat in irgendeinem Lebensbereich schon ein Coming-out hinter sich, vor Freund*innen, Familie oder auch Kolleg*innen. Aber wir sind mit unserer sexuellen Identität in der Öffentlichkeit nicht sichtbar. Es wird immer angenommen, man gehöre zur Norm." "Wenn ich daran zurückdenke, was mir als Jugendlichem gefehlt hat, um damit vielleicht früher freier umgehen zu können, dann wären das Schauspieler*innen gewesen, die zeigen, dass sie das offen leben", meint Jonathan Berlin in dem ausführlichen Interview. Mehmet Atesci ergänzt: "Ich hätte mir als junger Heranwachsender auch Verbündete gewünscht – und das möchte ich hiermit sein."
Emcke und Fritzsche veröffentlichten in einem weiteren Text zudem Gedanken von Ulrike Folkerts, Lamin Leroy Gibba, Emma Bading, Erwin Aljukic und Oska Melina Borcherding. Borcherding beschreibt, als nicht-binäre Person meistens "als Frau gelesen" und eingesetzt zu werden, obwohl persönlich auch mal eine Rolle als Mann oder nicht-binäre Person gewünscht werde.
Viele der angekündigten Coming-outs sind streng genommen keine: Von vielen der bekannteren Personen war ihre Homo- oder Transsexualität bereits vorher bekannt, teilweise seit Jahren und Jahrzehnten. Doch das Magazin zeigt auch viele neue Gesichter, "in der Branche Etablierte und nicht Etablierte", wie es im Manifest heißt, und mit ihnen eine gemeinsame Botschaft.
Selbstbewusste Forderung nach mehr Vielfalt
Während die Coming-outs zur Kampagne etwas versteckt im SZ-Abonennten-Bereich stattfinden, ist das Manifest auf einer eigenen Webseite online – und das direkt auf mehreren Sprachen. Man gehe "gemeinsam den Schritt an die Öffentlichkeit, um Sichtbarkeit zu schaffen", heißt es in dem Aufruf.
Bisher habe man in der Branche mit dem Privatleben nicht offen umgehen können, ohne dabei berufliche Konsequenzen zu fürchten: "Noch zu oft haben viele von uns die Erfahrung gemacht, dass ihnen geraten wurde – sei es von Agent:innen, Caster:innen, Kolleg:innen, Produzent:innen, Redakteur:innen, Regisseur:innen usw. – die eigene sexuelle Orientierung, Identität sowie Gender geheimzuhalten, um unsere Karrieren nicht zu gefährden."
Als Schauspieler*innen, die sich früher bereits mutig outeten, oder als Nachwuchs und insgesamt vielfältige Gruppe fordere man, dass Schluss sein müsse mit der Behauptung, "dass, wenn wir gewisse Facetten unserer Identität, nämlich unsere sexuelle sowie Geschlechtsidentität offenlegten, wir mit einem Mal bestimmte Figuren und Beziehungen nicht mehr darstellen könnten". Diese Unvereinbarkeit gebe es nicht. "Wir sind Schauspieler:innen. Wir müssen nicht sein, was wir spielen. Wir spielen, als wären wir es – das ist unser Beruf", so das Manifest.
Nicht nur vor und hinter der Kamera, sondern auch auf dem Schirm wird mehr Vielfalt gefordert. Sehgewohnheiten in Film umd Fernsehen änderten sich und die Branche müsste "für ein Miteinander stehen und in ihrer Vielfältigkeit die Gesellschaft abbilden", so das Manifest. "Es gibt weitaus mehr Geschichten und Perspektiven als nur die des heterosexuellen weißen Mittelstands, die angeschaut und gefeiert werden. Diversität ist in Deutschland längst gesellschaftlich gelebte Realität. Dieser Fakt spiegelt sich aber noch zu wenig in unseren kulturellen Narrativen wider." (nb)
Caro Emcke muss man einfach gern haben. Schön zu sehen, dass sie sich dem Friedenspreis auch vier Jahre später würdig erweist. Dass können nicht viele von sich behaupten. Ihre Rede in der Paulskirche ging durch Mark und Bein.
www.youtube.com/watch?v=CRkf6k7CYXI