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U-Haft angeordnet
Nach Tschetschenien überstellte Teenager "gestehen" Unterstützung einer Terror-Gruppe
Nach Verhören ohne anwaltliche Vertretung sollen die aus einer russischen Unterkunft des LGBT Network nach Tschetschenien gebrachten jungen Männer Straftaten gestanden haben.

Ismail Isaew (l.) und Salekh Magamadow auf im letzten Jahr offenbar nach Folter entstandenen "Geständnis"-Videos
- 7. Februar 2021, 19:24h 4 Min.
Zwei aus Tschetschenien stammende junge Männer, die mit Hilfe des russischen LGBT Network aus der Region geflüchtet waren und in dieser Woche in ihrer Wohnung festgenommen und rücküberstellt wurden (queer.de berichtete), droht nun ein Prozess wegen der angeblichen Unterstützung eines Terroristen.
Der Informationsminister der teilautonomen russischen Republik, Achmed Dudajew, gab am Sonntagabend bekannt, Salekh Magamadow (laut unterschiedlichen Medienberichten 20 oder 19 Jahre alt) und Ismail Isaew (17) hätten bei einem Verhör im Beisein ihres Vaters gestanden, Rustam Borchashvili, ein Mitglied einer illegalen bewaffneten Gruppe, unterstützt zu haben – zitiert wird Artikel 208, Abschnitt 2 des russischen Strafgesetzbuches, der dafür mehrere Monate bis Jahre Freiheitsentzug vorsieht. Die Behandlung der beiden Verdächtigen sei streng nach Gesetz erfolgt, so dass Beschwerden sinnlos seien, so Dudajew. Man beginne nun ein Strafverfahren, die beiden Männer würden zunächst für zwei Tage in Untersuchungshaft in eine entsprechende Einrichtung des Innenministeriums im Bezirk Urus-Martan gebracht.
Borchashvili war in diesem Januar Regierungsangaben zufolge bei einem Anti-Terror-Einsatz in Tschetschenien getötet worden, zusammen mit vier weiteren Männern. Unter ihnen soll sich der Milizenführer Aslan Byutukaev befunden haben. Ihm wurde eine Beteiligung am Terroranschlag auf den Flughafen Moskau-Domodedowo im Jahr 2011 mit 36 Toten und rund 150 Verletzten vorgeworfen. Seine Gruppe wurde auch von westlichen Staaten als mit Al-Qaida und dem "Islamischen Staat" vergleichbar klassifiziert. Dass Magamadow und Isaew, die bei Telegram auch "islamkritische" Karrikaturen veröffentlicht haben sollen, ausgerechnet die Unterstützung dieser Gruppe vorgeworfen wird, traf am Sonntag in sozialen Netzwerken auf Zweifel und Spott.
Das russische LGBT Network sagte der Zeitung "Nowaja Gaseta" am Abend, dass die Untersuchungshaft praktisch bereits am Samstag begonnen habe und am Montag ablaufen müsste. Man halte es für möglich, dass die "Geständnisse" durch Folter entstanden seien. Die tschetschenische Abteilung der russischen Staatsanwaltschaft habe dem Verband mitgeteilt, dass ihr keine Akten zu der Sache vorliegen würden und die Teenager nicht in ihrer Obhut seien. Die Zeitung hatte vor der Stellungnahme des Informationsministers berichtet, den Jugendlichen werde vorgeworfen, Borchashvili mit Essen versorgt zu haben.
Wegen Fake-Geständnissen aus der Region geflohen
Magamadow und Isaew waren am Donnerstag in ihrer Wohnung in der russischen Stadt Nischni Nowgorod festgenommen und an tschetschenische Beamte übergeben worden, die sie auf eine Wache nach Gudermes in Tschetschenien brachten. Am Samstagabend kam es dort zu einem kurzen Verhör. Ein angereister Anwalt des LGBT Network berichtete, die beiden Brüder hätten "müde und verängstigt" ausgesehen und seien offenbar in den 48 Stunden zuvor unter Druck gesetzt worden.
An dem Verhör durfte der Anwalt nicht teilnehmen. Später hieß es, der Vater der Jungen habe, offenbar selbst unter Druck, eine Zusammenarbeit mit ihm abgelehnt. Die Jugendlichen wurden freigelassen, von anderen Beamten aber sofort wieder festgenommen und zu einer anderen Wache gebracht. Ein weiterer Anwalt des LGBT Network wurde am Sonntag nicht zu ihnen gelassen, so dass sie ohne anwaltliche Vertretung blieben.
Die Vorgeschichte: Magamadow und Isaew waren im April 2020 zusammen mit weiteren jungen Menschen in Tschetschenien festgenommen worden, nachdem sie die Telegram-Gruppe "Osal nakh 95" mit kritischen Inhalten zum Regime von Präsident Ramsan Kadyrow moderiert hatten. Später veröffentlichten sie offenbar nach Folter "Geständnis"-Videos, in denen sie Menschen aufforderten, keine kritischen Inhalte im Internet zu veröffentlichen (mehr Details im Vorbericht).
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Nach ihrer Freilassung hatten die beiden Männer das LGBT Network kontaktiert, das ihnen – wie vielen LGBTI aus der Region nach den anti-queeren Verfolungswellen der letzten Jahre – bei der Flucht half. In Nischni Nowgorod betrieben die Jugendlichen offenbar wieder ihre Telegram-Gruppe mit einer Mischung aus Kritik am Kadyrow-Regime und queeren und atheistischen Inhalten. Das LGBT Network weist immer wieder darauf hin, dass aus Tschetschenien geflohene Personen auch im Rest Russlands nicht sicher seien, da die Sicherheitsbehörden der teilautonomen Republik ins föderale System eingebunden sind und dieses zugleich nichts gegen die unrechtmäßigen Auswüchse unternimmt.

Die Wohnung der Brüder nach ihrer Festnahme vom Donnerstag. Bild: LGBT Network
Die Zeitung "Nowaja Gaseta" machte am Samstag bekannt, Ismail Isaew sei bereits im August 2019 – damals 16 Jahre alt – wegen seines Schwulseins in Tschetschenien außergesetzlich festgenommen und in den Keller einer Polizeiwache gebracht worden, wo er sieben Tage verbringen musste, bis ihn seine Mutter freigekauft habe. Er sei nach St. Petersburg gezogen, sei aber auch dort im letzten Frühjahr wegen seiner Telegram-Tätigkeiten festgenommen und nach Tschetschenien überstellt worden. (nb)
Mehr zum Thema:
» Russische Polizei stürmt Notunterkunft des LGBT Network (05.02.2021)















Ich könnte heulen vor Trauer und schreien vor Wut.
Denen droht weitere Folter oder sogar der Tod. Alles nur, weil sie sich für Liebe und Freiheit einsetzen.
Und was macht Europa inkl. unserer schwarz-roten Bundesregierung?
Die sehen weiter tatenlos zu!!!
Klar, irgendwelche umweltschädlichen Pipelines sind ja auch wichtiger als Menschenleben.
Pfui CDU.
Pfui CSU.
Pfui SPD.
Pfui EU.