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- 11. November 2005 4 Min.
Die Staatsanwaltschaft Berlin stellt Ermittlungen gegen den Rapper ein, der "Ihr Tunten werden vergast" gesungen hatte.
Von Norbert Blech
Die Staatswanwaltschaft Berlin hat angekündigt, die private Strafanzeige eines queer.de-Users gegen den Rapper Bushido nicht weiter zu verfolgen, da vor Gericht ein Freispruch warscheinlicher sei als eine Verurteilung.
Der Leser hatte eine Anzeige unter anderem auf Volksverhetzung gestellt, nachdem queer.de über ein Interview mit Bushido in der "Welt am Sonntag" berichtete, in dem der Journalist die Zeile "Ihr Tunten werden vergast" aus dem dann noch zu erscheinenden neuen Album "Staatsfeind Nr. 1" zitierte.
Die Berliner Staatsanwaltschaft schreibt in ihrem Antwortschreiben an den Leser, der Vorwurf der Volksverhetzung käme bei einer solchen Zeile "in Betracht". Sie sei allerdings auf dem mittlerweile erschienenen Album nicht enthalten. Dies hatte die Plattenfirma bereits kurz nach dem Medienrummel verbreitet.
Die Zeile sei "lediglich einigen Pressevertretern zu Informationszwecken vorgespielt" worden, eine Veröffentlichung nicht beabsichtigt gewesen. Daher sei die Straftat der Verbreitung von volksverhetzenden Schriften nach §130 Abs. 2 Nr. 1a StGB nicht gegeben, auch sei der Kreis der Personen zu klein gewesen für eine Verurteilung aufgrund einer öffentlichen Vorführung gemäß Nr. 1b desselben Abschnitts.
Da sich Anis Ferchichi, wie Bushido mit bürgerlichem Namen heißt, im Interview zu der Zeile bekannt habe, käme eine Strafverfolgung jedoch in Betracht. Der "Handlungszweck der Hetze" lasse sich aber nicht erkennen. Im Kontext des Interviews sei zu erkennen, dass sich Bushido von Gewalt distanziere. In der "Welt am Sonntag" sagte der Rapper zwar außerdem, er finde Schwule nicht cool, wie er auch Golfspielen nicht cool finde.
Aber: "Auch wenn aus dem Gesamtzusammenhang der Äußerung eine kritische Distanz, möglicherweise sogar Ablehnung, gegenüber 'Schwulen' seitens des Beschuldigten erkennbar ist, so kann doch von einem bösen Verächtlichmachen in die Menschenwürde von 'Schwulen' angreifender Weise hier nicht die Rede sein", so die Staatsanwaltschaft.
Auch seien die Aussagen Bushidos keine Beleidigung, da Schwule "keine beleidigungsfähige Personenmehrheit" seien. Das Ermittlungsverfahren sei daher einzustellen gewesen.
Gelegenheit verpasst
Von Norbert BlechDie Entscheidung der Staatsanwaltschaft ist nicht nachvollziehbar. Da wird vor allem erstmal der Kontext falsch eingeordnet. Es gibt Meinungsäußerungen und Kulturdarbietungen, bei denen es zwangsläufig zu volksverhetzenden Äußerungen kommt, in denen aber eine Distanzierung von diesen Äusserungen klar erkennbar, ja gewünscht ist. Einen solchen Hintersinn hat Bushidos Zeile zweifellos nicht.
Bushido will, das ist anzunehmen, aber auch nicht ernsthaft zum Vergasen von Schwulen aufrufen. Das macht auch seine Interview-Äußerung deutlich. Aber er will sich auf Kosten anderer wichtig machen und provozieren - und der Zweck heiligt eben nicht alle Mittel. Der erste Abschnitt des Volksverhetzungsparagrafen geht auch und vor allem von der Wirkung einer Äußerung aus.
Der Paragraf gibt dem Meinungsäußerer Verantwortung für seine Sätze, Bushido lehnt im Interview Verantwortung ab. Aber es steht außer Frage, dass ein Satz wie "ihr Tunten werden vergast" homophobe Haltungen bei einigen Zuhörern von Bushido verstärken kann, damit auch Gewalt provozieren kann. Wer zum Hass gegen Teile der Bevölkerung anstachelt oder die "Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er Teile der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet", soll bestraft werden, sagt das StGB. Das sollte mit solchen Lyrics gegeben sein.
Dabei kommt es auch nicht auf die Verbreitung einer Volksverhetzung an, die die Staatsanwaltschaft besonders geprüft hat. Das ist ein eigener strafbarer Punkt, und auch hier hat die Staatsanwaltschaft die Gelegenheit verpasst, gerichtlich zu überprüfen, ob ein PR-mäßig in die Medien gesetzter Satz nicht auch einen klaren Verbreitungsversuch darstellt, da sich der die Verhetzung mitbekommende Personenkreis zwangsläufig erweitert.
Man muss der Staatsanwaltschaft zugute halten, dass die Gerichte (leider) sehr selten den Volksverhetzungsparagrafen aufgrund von Äußerungen gegen Schwule und/oder gegen rechtsradikale Musiker einsetzen. Die Äußerung zur Verurteilungswarscheinlichkeit ist daher verständlich.
Eine Verhandlung vor Gericht wäre aber zweifellos im öffentlichen Interesse gewesen, nicht nur, weil das Gericht vielleicht auch noch geprüft hätte, ob mit dem Vergasungszitat eine Verharmlosung des Holocaust vorliegt, die ebenfalls strafbar ist: Zum einen ist das Phänomen des deutschen Hass-Raps noch recht neu, zum anderen wäre es sinnvoll zu prüfen, ob für Album-Promotionen alles erlaubt ist, solange man sich danach brav von der Äußerung distanziert. Die Gelegenheit ist nun verpasst.
Bushido hat auf dem Album übrigens die umstrittene Zeile ersetzt mit: "Ihr Tunten werdet verarscht". Das trifft es leider genau, und nicht nur Schwule, sondern auch der Staat dürfen sich dabei angesprochen fühlen.
Links zum Thema:
» Schreiben der Staatsanwaltschaft (doc-Datei)
» Interview mit der Welt am Sonntag
Mehr zum Thema:
» Queer.de-Berichte zu Bushido















Höhepunkt der Satz »...Beleidigung kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil „Schwule“ keine beleidigungsfähige Personenmehrheit sind, und auch jeder einzelne dieser Personenmehrheit Zugehörige wegen der Größe dieser Personenmehrheit nicht individuell beleidigt sein kann.«
Im Klartext:
1. Kollektive Beschimpfungen sind demnach gar keine Beleidigung.
2. Schwule sind Freiwild.