Wenn es um Serien von Ryan Muphy geht, dann denkt man automatisch an bestimmte Geschichten und Bilder. Grell und bunt, effekthascherisch und schwungvoll, utopisch und glamourös, mit schrillem Humor und queerer, ernster Botschaft – das ist in der Regel die Schnittstelle all seiner Produktionen, von "Glee" und "American Horror Story" bis "The Politician" und "Hollywood". Doch er kann auch anders, wie aktuell die Serie "9-1-1: Lone Star" zeigt, die ab 17. Februar jeden Mittwochabend bei ProSieben (und ab Sommer bei Disney+ Star) zu sehen ist.
Der Ableger von "9-1-1" ist genau die Art von Fernsehen, die heutzutage eigentlich nicht mehr für Aufsehen sorgt, weil sich weder Streamingdienste noch das sonst von Murphy umworbene junge Publikum besonders begeistern. In "9-1-1: Lone Star" gibt es keine undurchschaubaren Antihelden und keine abgründige Story, die sich erst langsam im Verlauf einer Staffel entfaltet, weder besonders viel Sex noch knalligen Stilwillen. Stattdessen wird etwas präsentiert, was schon Oma gerne geguckt hat: eine Gruppe Ordnungshüter*innen klärt Woche für Woche neue, in sich abgeschlossene Fälle auf.
Baby im Baum und Prügelei im Stripclub
Poster zur Serie: "9-1-1: Lone Star" läuft ab 17. Februar 2021 jeden Mittwochabend auf ProSieben
In diesem Fall stehen im Zentrum vor allem Feuerwehrmänner und -frauen. Captain Owen Strand (Rob Lowe), der schon am 11. September 2001 am Ground Zero im Einsatz war, lässt sich aus New York ins zumindest etwas beschaulichere Austin in Texas versetzen. Seinen Sohn TK (Ronen Rubinstein), ebenfalls Feuerwehrmann, nimmt er gleich mit, geht es doch darum, nach einer verlustreichen Katastrophe vor Ort ein komplett neues Team aufzubauen. Das dann im Zweifelsfall eng mit Rettungssanitäterin Michelle Blake (Liv Tyler) und ihrer Truppe zusammenarbeiten muss.
Die eigentlichen Einsätze sind vergleichsweise wenig aufregend. Mal wird bei einem Autounfall ein Kindersitz samt Baby in einen Baum geschleudert, mal kommt es zu einem folgenreichen Quecksilber-Vergiftung oder einer Prügelei im Männer-Stripclub. Ein aufziehender Tornado ist da schon eine größere Sache. Aber zwischendurch bleibt ein wenig Platz für übergreifende Nebenhandlungen. Bei Owen nämlich wird Lungenkrebs diagnostiziert, Michelle versucht seit längerem das Verschwinden ihrer Schwester aufzuklären, und Judd (Jim Parrack) muss sich als einziger Überlebender der alten Austin-Wache seiner posttraumatischen Belastungsstörung stellen. Ach, und TK muss verkraften, dass in New York sein Freund gerade ausgerechnet am Abend des geplanten Heiratsantrags Schluss gemacht hat.
Murphy-typische Utopie und wohlmeinender Aufklärungsauftrag
Trans Feuerwehrmann Paul (Brian Michael Smith) (Bild: ProSieben)
TK als schwuler (und suchtkranker) Sohn des Bosses ist in dem altmodischen Serien-Konstrukt, mit dem "9-1-1: Lone Star" nicht die einzige Figur, die dann doch deutlich macht, dass Ryan Murphy hier seine Finger mit im Spiel. Auch ansonsten strotzt das von Owen zusammenstellte Team vor Diversität: Marjan (Natacha Karam) ist eine ebenso gläubige wie mutige Muslima, Paul (Brian Michael Smith) ein smarter schwarzer trans Mann und Mateo (Julian Works) als Jugendlicher illegal über die mexikanische Grenze in die USA gekommen.
Da sind sie dann also doch, die Murphy-typische Utopie und sein wohlmeinender Aufklärungsauftrag. Viel mehr Zeit als auf Owens Hautpflege-Obsession wird auf diese durchaus hochpolitischen Themen allerdings nicht verwertet, das ist in der durchschematisierten Erzählstruktur nicht vorgesehen. Dass Murphy und seine Mitstreiter Brad Falchuk und Tim Minear sie allerdings überhaupt integrieren (und mit Smith etwa den ersten schwarzen trans Schauspieler in einer festen Serienrolle auf einem frei empfänglichen US-Sender besetzen) konnten, ist trotzdem erfreulich. Auch wenn die Serie als solche selbst als Ablenkung beim Bügeln nicht aufregend genug ist.
Dass hier natürlich von allem zu viel aufgetischt wird, ist vor allem erfrischende, kurzweilige Unterhaltung ohne Anspruch auf Realitätsnähe.
Es zeigt eine Welt, wie sie sein könnte oder sollte, ähnlich wie bei Hollywood.