Der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) ist extrem sauer auf die SPD. Die Beteuerungen der Partei, auf der Seite queerer Menschen zu stehen, seien "nichts wert", kritisierte der Verband am Freitagabend in einer Pressemitteilung. Viele Sozialdemokrat*innen würden "Homophobie und Transfeindlichkeit lieber leugnen, kleinreden oder verharmlosen statt diese deutlich zu kritisieren".
Anlass der scharfen Kritik ist der Onlinetalk "Kultur schafft Demokratie", zu dem die Grundwertekommission der SPD und das Kulturforum der Sozialdemokratie am Donnerstagabend ausgerechnet die FAZ-Feuilletonchefin Sandra Kegel eingeladen hatte. Die 49-jährige Journalistin steht wegen ihres am 4. Februar veröffentlichten Kommentars "Selbstbewusstsein und Kalkül" zur Kampagne #ActOut in der Kritik. Darin negierte sie die Existenz von Queerfeindlichkeit in Film, Fernsehen und Theater und warf den beteiligten 185 Schauspieler*innen vor, nur aus "Kalkül im Ringen um Aufmerksamkeit bei Verkennung der Verhältnisse" zu handeln. Reale Diskriminierungserfahrungen spielte Kegel herunter: "Bei einer Rolle übergangen zu werden mag ärgerlich sein und sicherlich auch kränkend, aber lebensgefährlich ist das nicht."
Moderiert wurde der Onlinetalk u.a. von Gesine Schwan, der Vorsitzenden der SPD-Grundwertekommission und ehemaligen Kandidatin für das Amt der Bundespräsidentin und den Parteivorsitz. Im Vorfeld hatte die SPDqueer erfolglos gefordert, Kegel von dem "Jour Fixe" wieder auszuladen (die Einladung der einflussreichen FAZ-Ressortleiterin war vor Veröffentlichung ihres Kommentars erfolgt). Als Kompromiss erklärten sich die Grundwertekommission und das Kulturforum der SPD allerdings nur bereit, Kegels Attacke zum Thema zu machen. Dazu luden sie die beiden Schauspieler*innen und #ActOut-Unterzeichner*innen Heinrich Horwitz und Bettina Hoppe sowie Nollendorfblogger Johannes Kram als zusätzliche Gäste ein, um am Ende des Onlinetalks dreiminütige Statements abzugeben. Kram hatte bereits am 9. Februar eine "Gegenrede auf Sandra Kegel" veröffentlicht.
Heinrich Horwitz, nichtbinär, wird im Talk falsch angesprochen
"Was dann geschah, war so unverständlich wie schwer auszuhalten", heißt es in der LSVD-Pressemitteilung über die "fassungslose Farce". So wollte die FAZ-Feuilletonchefin ihren "zugespitzten" Kommentar unter anderem als "Glosse" sowie als "Ideologiekritik" verstanden wissen. "Damit bedient sich Kegel nun tatsächlich auch rechtspopulistischen bis rechten Kampfbegriffen, die regelmäßig in AfD-Reden oder den Auseinandersetzungen in Polen verwendet werden, wenn dort vor vermeintlicher 'Gender-Ideologie' oder 'LGBT-Ideologien' gewarnt wird", kritisierte der Lesben- und Schwulenverband.
Die drei queeren Gäste widersprachen den Vorwürfen Kegels deutlich. In ihren Statements berichteten sie von ihren Erfahrungen und erzählten von ihrer Wut und ihrem Schmerz angesichts der Negierung ihrer Erfahrungen und der Unterstellung, Diskriminierung zu erfinden, weil sie lediglich Aufmerksamkeit bekommen wollen. Heinrich Horwitz als nichtbinäre Person wurde dabei von den SPD-Verantwortlichen falsch angekündigt und angesprochen.
"Im Verlaufe des Gesprächs war es dann nicht Kegel, die sich für ihre Verleumdung und schwerwiegenden Vorwürfe rechtfertigen musste, sondern die Betroffenen", fasst der LSVD die Diskussion zusammen. "Sie wurden beschuldigt, Kegel mundtot machen zu wollen. Dabei waren es letztlich sie, die aus dem Talk rausgeworfen wurden." Auch die FAZ-Redakteurin sprach von "Cancel Culture".
LSVD: "Die SPD hat versagt"
"Die SPD hat versagt", urteilte der Verband. "Ausgerechnet in der SPD-Grundwertekommission haben die Verantwortlichen klargemacht, auf wessen Seite sie stehen und wer mit ihrer Unterstützung rechnen kann: Es sind nicht die Betroffenen." Die Verantwortung reiche sogar noch weiter: "Es war eine Veranstaltung der SPD, auf dem Kanal ihrer Zeitschrift 'vorwärts'. Viele hochrangige SPD-Politiker*innen wie etwa Generalsekretär Lars Klingbeil waren informiert und nahmen die Sorgen nicht ernst." Damit wiederholten die SPD-Verantwortlichen "genau die perfide Argumentation von Sandra Kegel: Queere Menschen sollen sich mal nicht so haben", so der LSVD. "Der Angriff von Sandra Kegel war zwar in einem der wichtigsten und größten Tageszeitungen Deutschlands. Aber war ja nicht lebensgefährlich."
Der Lesben- und Schwulenverband fordert nun ein "glaubwürdiges Aufarbeiten innerhalb der Partei". Außerdem sollten die SPD-Verantwortlichen bei den Redner*innen, bei #ActOut und der queeren Community um Entschuldigung bitten.
Heftige Kritik an dem SPD-Talk gab es auch in sozialen Medien. "Diese Veranstaltung strotzt vor Homophobie, Rassismus und Täter-Opfer-Umkehr", schrieb Jenny Luca Renner, u.a. Bundessprecherin* von Die Linke.queer und ZDF-Fernsehrätin*, auf Twitter. "Ich bin entsetzt! Das, war da gestern passiert ist, ist ekelhaft und macht mich als Betroffene wütend, sprachlos und sehr sauer."
Der Schauspieler Klaus Nierhoff warf den SPD-Talker*innen und Kegel in einem Tweet vor, mit einer "atemberaubenden Selbstgefälligkeit über die Anliegen von #actout hinweg" zu gehen. (mize)
Ich. Kann. Es. Nicht. Mehr. Hören.
Ich. Kann. Es. Nicht. Mehr. Ertragen.
SPD: für queere Menschen unwählbar.