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"Der unabdingbare Respekt vor Vielfalt und Anderssein ist nicht alles"

Queere Empörung nach FAZ-Kommentar von Wolfgang Thierse

Der Ex-Bundestagspräsident, der sich bereits in der Vergangenheit schützend vor Homo-Hasser*innen gestellt hat, stichelt ausgerechnet in der FAZ gegen Minderheiten – mit "neurechtem Sprech", wie der Berliner SPDqueer-Chef kritisiert.


Wolfgang Thierse, hier in einem Bild aus dem Jahr 2002, war von 1990 bis 2013 Mitglied des Bundestages. Zur Zeit der rot-grünen Koalition war er auch Bundestagspräsident, hatte also protokollarisch das zweithöchste Amt der Bundesrepublik inne (Bild: Deutscher Bundestag / MELDEPRESS / Sylvia Bohn)

Der SPD-Politiker Wolfgang Thierse appelliert in einem am Wochenende veröffentlichten FAZ-Kommentar (Bezahlartikel) an Minderheiten, "geschichtlich geprägte kulturelle Normen, Erinnerungen, Traditionen" anzuerkennen. Der 77-Jährige argumentiert in dem Artikel mit der Überschrift "Wie viel Identität verträgt die Gesellschaft?": "Der unabdingbare Respekt vor Vielfalt und Anderssein ist nicht alles. Er muss vielmehr eingebettet sein in die Anerkennung von Regeln und Verbindlichkeiten, übrigens auch in die Akzeptanz von Mehrheitsentscheidungen."

Konkrete Beispiele für seine Kritik nennt der frühere Bundestagspräsident nur wenige. Er verweist unter anderem auf gendersensible Sprache – und redet dabei mögliche Anliegen von trans und inter Personen klein ("Wenn Hochschullehrer sich zaghaft und unsicher erkundigen müssen, wie ihre Studierenden angeredet werden möchten, ob mit 'Frau' oder 'Herr' oder 'Mensch', mit 'er' oder 'sie' oder 'es', dann ist das keine Harmlosigkeit mehr").

Im dem Kommentar verwendet Thierse insbesondere das Mode-Schlagwort "Identitätspolitik" ("Identitätspolitik darf nicht zum Grabenkampf werden, der den Gemeinsinn zerstört"). Dieser aus den USA stammende Begriff ("Identity Politics") umschreibt politisches Handeln, das nur für die Bedürfnisse spezifischer Gruppen bestimmt sei. Das Wort wird auch im Deutschen vermehrt als pauschaler Kampfbegriff gegen Bürgerrechtsorganisationen verwendet, die Diskriminierung beklagen. Andere nutzen ihn, um nur eingeschränkten Einsatz für Minderheiten zu rechtfertigen.

"Debatten über Rassismus, Postkolonialismus und Gender werden heftiger und aggressiver" und "Fragen ethnischer, geschlechtlicher und sexueller Identität dominieren", so beklagt auch Thierse "die Radikalität identitärer Forderungen" in dem Artikel. Diese Themen schienen "unsere westlichen Gesellschaften mittlerweile mehr zu erregen und zu spalten als verteilungspolitische Gerechtigkeitsthemen".

Der Artikel von Thierse erschien nur zweieinhalb Wochen nach einem umstrittenen Kommentar der FAZ-Feuilletonchefin Sandra Kegel, in dem sie das Coming-out von 185 Schauspieler*innen in der "Süddeutschen Zeitung" kritisiert und Diskriminierungserfahrungen heruntergespielt hatte. Auch die Einladung und Hofierung der Autorin zu einem SPD-Onlinetalk mit Bundespräsidentenkandidatin Gesine Schwan vergangene Woche stieß auf Kritik durch den Lesben- und Schwulenverband (queer.de berichtete).

Alfonso Pantisano: "Wut und Verzweiflung"

Alfonso Pantisano, der sowohl Bundesvorstandsmitglied des LSVD als auch Berliner Landeschef von SPDqueer ist, zeigte sich auf seiner Facebook-Seite empört über die neuen Auslassungen Thierses. "Dass jetzt heute, ein paar Tage nach dem Desaster im "Talk" mit der Feuilleton-Chefin der FAZ in selbigem Blatt ein Gastbeitrag von Wolfgang Thierse erschienen ist, lässt mich erstarren", erklärte der Aktivist am Montag. "Vor Wut und vor Verzweiflung, denn das, was Thierse, übrigens auch ein Mitglied der SPD-Grundwertekommission, heute dort niedergeschrieben hat, ist neurechter Sprech. Nicht inkludierend, sondern exkludierend. Nicht wegweisend, sondern reaktionär."

Erst kam diese unsägliche homophobe und ausgrenzende Diskussion auf dem Youtube-Kanal des Vorwärts, die Gesine Schwan...

Posted by Alfonso Pantisano on Monday, February 22, 2021
Facebook / Alfonso
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Thierse hatte bereits in der Vergangenheit Verständnis für Personen gezeigt, die Schwulen und Lesben aus Hass Rechte vorenthalten wollen. 2014 bezeichnete er es etwa als "legitime respektable Position", wenn Politiker*innen Homosexuellen das Ehe-Recht wegen ihrer sexuellen Orientierung verweigern wollten. Zudem beschuldigte er LGBTI-Aktivist*innen, mit ihrer Kritik an diskriminierenden Gesetzen Intoleranz bei Heterosexuellen zu erzeugen (queer.de berichtete).

Auch der SPD-Talk ist weiter ein Debattenthema. In einer Pressemitteilung des Kulturforum der Sozialdemokratie und der Grundwertekommission der SPD vom Montag heißt es: "Wir nehmen das Scheitern des Gesprächs sehr ernst und werden es intensiv aufarbeiten."

SPD-Moderator: "Queer-Leute" sind schuld

Klaus-Jürgen Scherer, der Moderator des Talks, äußerte sich am Sonntag weniger diplomatisch und schob "Queer-Leuten" die alleinige Verantwortung für das Scheitern zu. Auf Facebook schrieb er wörtlich: "Wir hatten ja Donnerstag Abend eine schwierige Debatte mit Queer-Leuten, die aufgrund eines kleinen Kommentars jedes vernünftige Gespräch mit Sandra Kegel von der FAZ verhindern wollten." Er lobte dabei den Thierse-Beitrag aus der FAZ.

Wir hatten ja Donnerstag Abend eine schwierige Debatte mit Queer-Leuten, die aufgrund eines kleinen Kommentars jedes...

Posted by Klaus-Jürgen Scherer on Sunday, February 21, 2021
Facebook / Klaus-Jürgen
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Der Nollendorfblogger Johannes Kram, der auf queer.de den Podcast QUEERKRAM veröffentlicht, kommentierte die Reaktion der SPD auf Kritik aus der queeren Community mit den Worten: "Ausgerechnet zum Auftakt des Superwahljahres hat die SPD mit einem Superspreader-Event queerfeindlicher Botschaften gezeigt, wie schwierig es für die Partei werden wird, sich glaubwürdig als Vertreterin von LGBTIQ-Interessen darzustellen." Kram muss sich für seine Positionen auch Kritik anderer Zeitungen anhören: Seine Haltung zu FAZ-Feuilletonchefin Sandra Kegel wurde am Dienstag in der "Süddeutschen Zeitung" unter der Überschrift "Mob-Reflex '21" kritisiert.

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#1 SöderAnonym
  • 23.02.2021, 13:07h
  • Nicht jeder Heteronormative glaubt über sich selbst, dass er auch homophob sein kann.

    Diesen Lernprozess werden sie irgendwann mal schaffen.

    Ich drücke Wolfgang Thierse dafür die Daumen.
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#2 Olle TanteAnonym
  • 23.02.2021, 13:09h
  • Der Zottel passt mit seiner Ossi-Identitätspolitik samt rechten Einstellungen perfekt ins Bild einer ewiggestrigen SPD.
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#3 SchabrackentanteAnonym
  • 23.02.2021, 13:21h
  • Antwort auf #2 von Olle Tante
  • Wird Zeit, dass die olle Tante SPD im Herbst mal endlich um die 5-10% bekommt und sich dann mal rundum erneuern muss, indem sie diese ausgedienten Rastplätze a la Thierse in ihren so geliebten Braunkohle-Werken abbaut.
    Wozu braucht man diese Partei noch?
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