1990 veröffentlichte die amerikanische Philosophin Judith Butler das Buch "Gender Trouble" – und veränderte damit auf einen Schlag das Feld der Geschlechterforschung. Das Buch, das auf Deutsch den Titel "Das Unbehagen der Geschlechter" trägt, machte die Trennung zwischen "Sex" und "Gender", also anatomischem Geschlecht und Geschlechtsidentität, zu einem zentralen Punkt dieses Forschungsfelds. Butler ist überzeugt, dass Geschlechter nicht als zweigeteilt angesehen werden könnten und nicht nur durch biologische Gegebenheiten festgelegt würden, sondern durch gesellschaftliche Einflüsse. Das sehr theoretisch geschriebene Buch war auch außerhalb typischer Wissenschaftskreise beliebt und wurde insbesondere in feministischen Buchläden in aller Welt zum Kassenschlager, der Generationen von jungen Frauen beeinflusste. Judith Butler wird am heutigen Mittwoch 65 Jahre alt.
Butler wurde 1956 in Cleveland im US-Bundesstaat Ohio als Kind einer jüdischen Wirtschaftswissenschaftlerin ungarischer Herkunft und eines jüdischen Zahnarzts aus Russland geboren. Sie besuchte auch eine jüdische Schule. Später studierte sie unter anderem in Heidelberg und an der renommierten Yale-Universität in Connecticut. 1984 erhielt sie einen Doktorinnentitel in Philosophie.
Nach ihrem Durchbruch mit "Unbehagen der Geschlechter" veröffentlichte Butler weitere Bücher zu Gendertheorie, Queer-Theorie, feministischer Theorie und Kapitalismuskritik, unter ihnen "Körper von Gewicht: Die diskursiven Grenzen des Geschlechts", "Die Macht der Enteigneten" oder "Anmerkungen zu einer performativen Theorie der Versammlung". In ihrem neuesten Werk "Die Macht der Gewaltlosigkeit" erweitert sie die politische Philosophie um ein theoretisches Plädoyer für Gewaltverzicht.
Kontroversen und Anitsemitismus
Butler ist aber nicht nur für wissenschaftliche Abhandlungen, sondern auch immer wieder für öffentlichkeitswirksame Kontroversen gut: 2010 verweigerte sie etwa auf der CSD-Bühne in Berlin die Annahme des Zivilcouragepreises, unter anderem weil der Hauptstadt-Pride ihrer Meinung nach nicht genug gegen Rassismus tue (siehe queer.de-Interview).
Ihre Unterstützung der BDS-Bewegung und die Verharmlosung fragwürdiger palästinensischer Organisationen führte immer wieder zu Kritik – und zu Verwirrung, weil sie selbst als Jüdin aufgewachsen ist. BDS steht für Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen und strebt einen Komplettboykott von Israel an – in der Realität führt das etwa zu Boykotts jüdischer Läden, außerdem verkehren viele Anhänger*innen privat oder geschäftlich nicht mit Menschen, die einen israelischen Pass besitzen. Die Bewegung gilt deshalb als antisemitisch – so formulierte es auch der Bundestag in einem 2019 verabschiedeten Antrag von Union, SPD, FDP und Grünen (PDF).
Immerhin: Butler gehört nicht zu den radikalsten BDS-Anhägerinnen und arbeitete in der Vergangenheit mit Menschen israelischer Nationalität zusammen. Kritisiert wurde jedoch, dass sie die antisemitischen Terrororganisationen Hamas und Hisbollah als "progressiv" und als "soziale Bewegungen" bezeichnet hatte. Außerdem warf sie Israel eine Rassentrennungspolitik nach südafrikanischem Vorbild vor. Jüdische Organisationen hielten ihr diese Haltung oft vor: 2012 kritisiert etwa der Zentralrat der Juden in Deutschland, dass "Israel-Hasserin" Butler mit dem Adorno-Preis ausgezeichnet wurde (queer.de berichtete).
Seit fast 30 Jahren lehrt Butler an der University of California in Berkeley – und macht selbst nach dem Eintritt des Rentenalters keine Anstalten, ihre intellektuelle Laufbahn zu beenden.
Privat lebt die Geschlechterforscherin seit Jahren mit der Politikwissenschaftlerin Wendy Brown zusammen, die ebenfalls in Berkeley lehrt. Die beiden haben einen erwachsenen Sohn namens Isaac. In Interviews hat sich Butler als nicht-binär bezeichnet. In Englischen will sie entweder mit den Personalpronomen "she" oder "they" angesprochen werden. (dk)
Und wenn so eine Person dann auch noch Preise ablehnt, weil die Organisatoren ihr zu wenig gegen Rassismus tun, macht sich obendrein komplett unglaubwürdig.