Als in Dresden im letzten Oktober ein Islamist ein schwules Paar angriff und einen der Männer tötete, den anderen schwer verletzte, "wurde erstmal geschwiegen. Über die sexuelle Identität beider Tatopfer und über das mögliche Tatmotiv". So begann Ulle Schauws am Mittwochabend ihre Rede im Bundestag zu einem grünen Antrag zum Vorgehen gegen antiqueere Hassgewalt.
Die Abgeordnete stammt wie das Tatopfer aus Krefeld und beklagte, dass der Dresdner Staatsanwaltschaft damals – erst nach einigen Tagen und auf Journalistennachfrage – gesagt hatte, dass man sich nicht zur sexuellen Orientierung von Tatopfern äußere. Erst vor zwei Wochen hatte die Bundesanwaltschaft ein mögliches homosexuellenfeindliches Motiv offiziell verkündet (queer.de berichtete). Die Worte aus Dresden seien "bezeichnend für den Umgang mit Homo- und Transfeindlichkeit", beklagte Schauws: Warum habe sich die Bundeskanzlerin, der Innenminister, die Regierung nicht geäußert, kondoliert? Wo war die Unterstützung und Solidarität für den Lebenspartner des Getöteten?
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) habe bis heute noch nie eine homo- oder transfeindliche Gewalttat öffentlich verurteilt, beklagte die Abgeordnete weiter, die ständige Konferenz der Innenminister*innen habe das Thema noch nie aufgegriffen. Dabei seien LGBTI unverhältnismäßig oft von Gewalt betroffen.
Ulle Schauws
Der grüne Entschließungsantrag "Hass und Hetze gegen LSBTI wirksam bekämpfen" (PDF), der nach der Debatte in den Innenausschuss überwiesen wurde, fordert unter anderem eine bessere und einheitliche Erfassung von Hasskriminalität und mehr geschulte Ansprechpartner*innen in den jeweiligen Behörden. Zudem soll die Forschung über Ausmaß, Erscheinungsformen, Ursachen von Queerfeindlichkeit und über den Umgang von Sicherheitsbehörden und Justiz mit diesen Ausprägungen von Hasskriminalität verstärkt gefördert, Opferberatung ausgebaut werden.
Ferner fordert der Antrag unter anderem die lückenlose Implementierung der LGBTIQ-Gleichstellungsstrategie 2020-2025 der Europäischen Union, einen bundesweiten Aktionsplan gegen Homo- und Transphobie und die ausdrückliche Erwähnung queerer Merkmale in strafverschärfenden Paragrafen etwa zu Volksverhetzung.
Neue Zahlen zu Hasskriminalität
Dass es weiter ein akutes Problem mit Homo- und Transfeindlichkeit in Deutschland gibt, zeigen dabei auch die Zahlen der Bundesregierung. Auf eine Anfrage von Schauws hatte das Innenministerium diese Woche eine vorläufige Statistik für 2020 veröffentlicht: So wurden im Unterbereich "Sexuelle Orientierung" bei politisch motivierten Straftaten im letzten Jahr insgesamt 114 Gewaltdelikte, darunter vor allem Körperverletzungen, erfasst (24 wurden "Rechts" zugeordnet, drei einer "ausländischen Ideologie" und vier "religiöser Ideologie", der Rest sei "nicht zuzuordnen"). Zudem wurden 464 weitere Straftaten erfasst, darunter vor allem Volksverhetzung, Beleidigungen, Bedrohungen und Propagandadelikte. 40 weitere Gewaltdelikte und 164 weitere Straftaten wurden unter dem zum 1. Januar 2020 neu eingeführten Merkmal "Geschlecht / Sexuelle Identität" gemeldet. Je nach Zählung der Taten sind das massive Anstiege gegenüber dem Vorjahr zwischen 36 und 60 Prozent, wie es bereits im Vorjahr einen deutlichen Anstieg gegeben hatte (queer.de berichtete).
Statistik aus einer Antwort des Bundesinnenministeriums vom 23. Februar, hier um Seitenränder gekürzt
Allerdings sind die Zahlen und Vergleiche nur bedingt aussagekräftig. Trotz des mutmaßlich homofeindlichen Anschlags in Dresden wird etwa in der Statistik für 2020 bislang kein Tötungsdelikt gezählt, wie zuvor etwa auch der Mord an einem jungen Schwulen 2018 durch drei rechtsextreme Freunde im sächsischen Aue keine Berücksichtigung fand. Die Bundesländer melden Taten weiter sehr unterschiedlich und nutzen das System teilweise erst in den letzten Jahren vermehrt. Dafür gehen einige andere Behörden konsequenter gegen Online-Hetze vor, und auch eine größere Anzeigenbereitschaft könnte eine Rolle beim Anstieg der Zahlen spielen.
Leise Töne aus der Union
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Jan-Marco Luczak beklagte, dass LGBTI jeden Tag in Deutschland angefeindet werden, "einfach nur, weil sie so sind, wie sie sind. Hass schlägt ihnen tagtäglich entgegen." Oft zeige sich das in Gewalt, die Straftaten würden zunehmen und aus Angst würden noch immer viele Menschen ihre sexuelle Identität nicht ausleben oder verheimlichen. "Wir leben in einem freien Land. Aber diese Menschen sind nicht frei. Und ich finde, dass ist ein unhaltbarer Zustand", so Luczak unter Applaus der anderen demokratischen Fraktionen.
Jan-Marco Luczak
Dann ging der Politiker aber in Nebel- und Wahlkampfmodus über: Man brauche ein "klares Signal" gegen Gewalt und folglich Gesetze, aber das Gesetz der Bundesregierung gegen Rechtsextremismus und Hasskriminalität werde im Bundesrat blockiert (der Gesetzentwurf soll das Vorgehen gegen Online-Hetze verschärfen, erwähnt LGBTI nicht und im Streit geht es um die Bestandsdatenauskunft). Auch beklagte Luczak, dass die Grünen eine Ergänzung der Antidiskriminierungsmerkmale im Grundgesetz um das Merkmal "sexuelle Identität" nicht in ihrem Antrag, auf den er sonst kaum einging, forderten. Schauws wies ihn in einem Zwischenruf darauf hin, dass ein entsprechender gemeinsamer Antrag von Grünen, FDP und Linken bereits in erster Lesung debattiert wurde, im letzten Jahr Zustimmung bei einer Expert*innenanhörung fand und es da eher bei der Union hake.
Letztlich signalisierte Luczak Unterstützung für eine Ergänzung des Artikel 3, wie ihn am Mittwoch in einer neuen Kampagne auch dutzende Organisationen und Prominente gefordert hatten (queer.de berichtete).
AfD nutzt Debatte gegen Hass für Hass
Der Abgeordnete Bernd Baumann von der AfD, eine für antiqueere Hetze und christlich-fundamentalistische und menschenfeindliche Politik bekannte Partei, bestritt zunächst, dass es in Deutschland noch nennenswerten Hass und Hetze gegen LGBTI gebe, um allein über entsprechende Hetze, Gewalt und Verfolgung aus islamischen Ländern zu reden. Während er den anderen Parteien "Scheinheiligkeit" vorwarf, erwähnte er die Hetze aus den eigenen Reihen ebensowenig wie die Tat in Dresden.
Danach polterte Baumann noch über "Gender-Gaga, Transsexuelle, Homosexuelle, Migranten, People of Color usw." – das alles stehe für eine "neue Identitätspolitik", die klassische Identitäten und "die nationale Identität auflösen" wolle. Das Zusammengehörigkeitsgefühl solle ersetzt werden durch ein "neues wirres Babylon, ein Flickwerk aus grellen Minderheitsidentitäten", einem "großen irren Regenbogenfahnenwerk". In Statistiken zu Hasskriminalität taucht solche inzwischen alltägliche Hetze gar nicht erst auf.
Brunner plädiert für Grundgesetzänderung
Der SPD-Politiker Karl-Heinz Brunner beklagte sich in seiner Rede "leider" (und erneut) über den Koalitionspartner, mit dem man keinen anständigen Nationalen Aktionsplan gegen Homo- und Transphobie habe erzielen können, "der diesen Namen auch gerecht wird". Der grüne Antrag habe "sehr viel Gutes", aber letztlich sollte man sich "auf das Wesentliche konzentrieren: die Sensibilisierung der Gesellschaft".
Karl-Heinz Brunner
Konkret forderte Brunner etwa eine bessere Ausbildung von Lehrer*innen, von Polizist*innen oder Angestellten der Justiz (was freilich zumeist Ländersache ist). Er stellte sich hinter die Forderung, "dass Artikel 3 des Grundgesetzes endlich angepasst wird und die Menschen, die 1949 vielleicht vergessen oder übergangen wurden, endlich in diesem Land auch in ihrer Verfassung ankommen". Über die Bereitschaft von Luczak zur Unterstützung der Initiative habe er sich "gefreut" – das ganze Haus sei gefordert, sie durch eine Gewissensentscheidung "noch in dieser Legislaturperiode" umzusetzen.
FDP fordert "endlich" nationalen Aktionsplan
Der FDP-Abgeordnete Jens Brandenburg ging noch einmal auf Dresden ein, wie "das feige Attentat" zunächst als "Touristen-Mord" verklausuliert wurde: "Wer das homosexuellenfeindliche Motiv solcher Hasskriminalität verschweigt, der raubt den Opfern einen Teil ihrer Identität und Sichtbarkeit." Dresden sei auch kein Einzelfall, sondern reihe sich ein in eine steigende Anzahl homo- und transfeindlicher Hasskriminalität in Deutschland und weltweit.
Jens Brandenburg
Die erfassten Taten – "oft aus dem rechtsradikalen Milieu", so Brandenburg mit Handgeste Richtung AfD – seien dabei wohl nur ein Teil der Wahrheit. Es gebe eine große Dunkelziffer, nur Berlin erfasse antiqueere Gewalt systematisch. Dabei steckten hinter jeder Tat Menschen und ihre Familien, führe die Gewalt dazu, dass sich Menschen nicht "Hand in Hand" in die Öffentlichkeit trauten. "Jede dieser Taten ist ein Angriff auf unsere freie und tolerante Gesellschaft."
Es brauche, wie in anderen europäischen Ländern längst vorliegend, einen Nationalen Aktionsplan gegen Homo- und Transphobie, mit schulischer Aufklärung, der Sensibilisierung von Sicherheitsbehörden und einer Ergänzung des Artikels 3 des Grundgesetzes. Er verwies dabei auf einen entsprechenden Antrag seiner Fraktion.
Linke fordert flächendeckendes Vorgehen
Auch die Linken-Abgeordnete Doris Achelwilm betonte, die Statistik zu Hasskriminalität zeige nur die "Spitze des Eisbergs", die Dunkelziffer könnte bei 90 Prozent liegen. Die Taten erschütterten ebenso wie die Tatsache, dass viele "ungeahndet bleiben, weil Anzeigen nicht angemessen erfasst oder verfolgt werden". Berlin zeige mit seiner Erfassung die Lage "viel realistischer" als andere Bundesländer, "bundesweite Standards fehlen".
Doris Achelwilm
Neben aussagekräftigen Statistiken brauche es "flächendeckend Prävention, Kompetenz und Ansprechpartner*innen in Polizei und Justiz". Die jetzige Situation verhindere Schutz und senke die Anzeigenbereitschaft. Zunehmende Gewalt sei oft auch Ausdruck "einer politischen Agenda menschenverachtender Kräfte, die queeren Menschen die Existenzberechtigung absprechen". Die AfD habe hier kein Recht, sich aufzuspielen.
CSU-Redner plädiert für gemeinsame Linie
Als letzter Redner stimmte der CSU-Abgeordnete Volker Ullrich einen bedächtigen Ton an. "Menschen sollen so lieben, wie sie wollen." Angriffe gegen LSBTI seien gestiegen, der Mord in Dresden stelle ein "besonderes Fanal" dar. "Wir können nicht die Vielfalt unserer Gesellschaft bei Pride-Paraden stolz zum Ausdruck bringen und dann die Schattenseiten verschweigen und die Angriffe nicht thematisieren."
Es sei wichtig, gegen diese Form von Hasskriminalität vorzugehen. Man müsse über Prävention sprechen: "Wie wir verhindern können, dass so etwas passiert. Kein Mensch wird als Homohasser geboren. Menschen werden dazu." Man müsse bei der Bildung beginnen: Ein bestimmtes Stichwort sei etwa an Schulen präsent, beklagte der Abgeordnete. Man müsse Homo- und Transfeindlichkeit mit klarer Verurteilung begegnen, auf Steigerung von Toleranz und Akzeptanz setzen.
Volker Ullrich
Konkret bemühte der Politiker noch Paragraf 46 StGB, der verschärfte Strafen bei gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit vorsieht. Hier müsse die Politik gegenüber Polizei und Justiz noch viel mehr als jetzt verdeutlichen, "dass Homo- und Transphobie eine solche gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit darstellen". Man brauche einen "starken Staat, der sich schützend vor solche Menschen stellt". Daher sei auch das Gesetz gegen Online-Hetze wichtig, das im Bundesrat blockiert werde.
Ullrich kritisierte noch die AfD, etwa den Begriff "Gender-Gaga", der mit "falscher Sprache" auf "berechtigte Anliegen" reagiere (etabliert hat den Begriff freilich die homo- und transfeindliche Aktivistin Birgit Kelle, CDU-Mitglied). An die anderen Fraktionen appellierte er für eine "gemeinsame Linie", auch bei der Ergänzung des Artikel 3. Hier könne mit einer "Wertentscheidung im Grundgesetz" verankert werden, "was uns wichtig ist: dass wir Menschen schützen, die anders lieben." Das gehe nur, wenn man die Debatte gemeinsam führe und "uns auf einen Kompromiss verständigen".
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