Der SPD-Politiker Wolfgang Thierse holt zum Gegenschlag gegen Kritiker*innen aus der LGBTI-Community aus. Dabei attackiert er direkt den Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD): "Ich werde als reaktionär beschimpft, als Mann mit neurechtem Sprech, gewissermaßen AfD-Positionen. Vom Schwulen- und Lesbenverband wird das getrieben", so Thierse am Donnerstag in einem Interview im Deutschlandfunk.
Anlass für die Auseinandersetzung war ein Kommentar des ehemaligen Bundestagspräsidenten in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", in der er vor wenigen Tagen "Identitätspolitik" kritisierte und dabei bereits die Aktivitäten von Bürgerrechtsorganisationen für fragwürdig erklärte ("Debatten über Rassismus, Postkolonialismus und Gender werden heftiger und aggressiver"). LSVD-Vorstandsmitglied und SPDqueer-Landeschef Alfonso Pantisano kritisierte seinen Parteifreund danach als "reaktionär" und bescheinigte ihm "neurechten Sprech" (queer.de berichtete).
Im Deutschlandfunk inszenierte sich Thierse als Opfer eines angeblich ungerechtfertigten Shitstorms: "Mir wird vorgehalten, das sind ja die Ansichten eines alten weißen Mannes mit heterosexueller Orientierung, heteronormativer Orientierung", erklärte der 77-Jährige. "Eine Ansicht, die einem nicht passt, die wird identitär zurückgewiesen. Mein Alter, meine 'Rasse', mein Geschlecht, meine sexuelle Orientierung – also ist die Sache erledigt."
Thierse verteidigt Blackfacing
Im Interview kritisierte Thierse unter anderem "Cancel Culture" und geschlechtergerechte Sprache. Außerdem verteidigte der Sozialdemokrat das heute als rassistisch verschriene Blackfacing. "Kulturelle Aneignung über Hautfarben und ethnische Grenzen hinweg muss möglich sein", so Thierse. Die schwarze Theater- und Unterhaltungsmaskerade war in den sogenannten Minstrel Shows des 18. und 19. Jahrhunderts in den USA populär geworden. Weiße Darsteller machten sich damals – zur Zeit der Sklaverei und der Rassentrennung – mit greller und übertriebener Schminke über angeblich minderwertige Schwarze lustig. Diese Praxis gilt bereits seit Jahrzehnten in Amerika als inakzeptabel. Aber erst seit die afrodeutsche Community in den letzten Jahren auf die rassistischen Ursprünge des Blackfacing aufmerksam machte, gab es auch hierzulande eine Debatte.
Journalistin Anna Seibt kritisierte in einem Deutschlandfunk-Kommentar die Rhetorik Thierses: Die deutsche Gesellschaft sei "viel pluraler und vielfältiger als dieses 'Traditions-Wir' es sich vorstellen kann", schrieb sie. Thierse wolle das strukturelle Problem nicht anerkennen, "dass im Moment nicht alle gleichberechtigt in unserer Gesellschaft teilhaben können".
Applaus von Rechtsaußen
Zustimmung erhält der Sozialdemokrat dagegen von Rechtsaußen: Die rechtsradikale Zeitung "Junge Freiheit" lobte Thierse etwa für sein "nachdenklich-abwägendes Essay, in dem er mit den Identitäts-Ideologen, Gender-Fanatikern und Minderheiten-Militanten ins Gericht geht, die aus der einst ehrwürdigen Sozialdemokratie eine verbohrte Sekte gemacht haben".
Thierse hat in der Vergangenheit immer wieder mit eigenwilligen Aussagen für Aufregung gesorgt, in denen er über bestimmte Minderheiten herzog. 2012 echauffierte er sich etwa über schwäbische Berlin-Einwanderer, die Brötchen als Wecken statt als Schrippen bezeichneten. 2014 beschuldigte er LGBTI-Aktivist*innen, mit ihrer Kritik an diskriminierenden Gesetzen Intoleranz bei Heterosexuellen zu erzeugen. Zudem verteidigte er damals auch Homo-Hasser*innen: So bezeichnete er es als "legitime respektable Position", wenn Politiker*innen am Ehe-Verbot für Schwule und Lesben festhalten wollten (queer.de berichtete). Ironischerweise beschreibt er sich jetzt im Deutschlandfunk als Gegner der "Verbotskultur".