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Sozialdemokratie
SPD-Spitze distanziert sich von Schwan und Thierse
Die "mangelnde Sensibilität" gegenüber den queeren Gästen beim "Jour Fixe" zweier wichtiger SPD-Gremien "beschämt uns zutiefst", erklärten Parteichefin Saskia Esken und ihr Vize Kevin Kühnert. Am 11. März soll es ein Gespräch geben.

SPD-Parteichefin Saskia Esken: "Wir wollen hören, was Ihr zu sagen habt" (Bild: Anne Hufnagl)
- 28. Februar 2021, 11:28h 3 Min.
Nach der heftigen und anhaltenden Kritik von LGBTI-Aktivist*innen an der SPD bemüht sich die Parteispitze um eine Deeskalation. Rund 20 ausgewählte Personen, darunter Vertreter*innen aus der Community, wurden von Parteichefin Saskia Esken und ihrem Vize Kevin Kühnert zu einem Online-Gespräch am 11. März um 20 Uhr eingeladen. Das Schreiben liegt queer.de im Original vor.
"Kommt mit uns ins Gespräch und gebt uns die Chance, Euch im direkten Austausch zu versichern, dass Queerness und überhaupt gesellschaftliche Vielfalt in der SPD so viel empathischer und solidarischer betrachtet werden, als es in den vergangenen Tagen den Eindruck gemacht hat", heißt es in der Ende letzter Woche versandten E-Mail.
"All das beschämt uns zutiefst"
In ihrer Einladung kritisieren Esken und Kühnert zum einen den Verlauf des u.a. von Gesine Schwan moderierten Online-Talks "Jour Fixe" mit FAZ-Feuilletonchefin Sandra Kegel. Bei der Veranstaltung am 19. Februar hatten die SPD-Gastgeber*innen Kegel trotz ihres queerfeindlichen Kommentars zu #ActOut in Schutz genommen, ihre Kritiker*innen dagegen scharf angegriffen und ihnen am Ende sogar das Mikro abgestellt. Eine teilnehmende Person war misgendert worden (queer.de berichtete)-
"Die jüngsten Ereignisse im Zusammenhang mit einer Online-Debatte auf Einladung des SPD-Kulturforums und der SPD-Grundwertekommission, die fehlende Zurückweisung von Grenzüberschreitungen und die mangelnde Sensibilität im Umgang mit den Gäst*innen aus Euren Reihen, manche Rechtfertigung im Nachgang – all das beschämt uns zutiefst", schreibt die SPD-Spitze. "Wir ahnen und wissen aus persönlichen Gesprächen, wie tief verletzend diese Ereignisse und Erfahrungen für Euch waren."
Esken und Kühnert "verstört" über Thierse
Ohne ihn namentlich zu erwähnen, distanzierten sich Esken und Kühnert auch vom ehemaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse, der in der vergangenen Woche in einem FAZ-Kommentar Grenzen für "Vielfalt und Anderssein" gefordert hatte ("Identitätspolitik darf nicht zum Grabenkampf werden") und sich nach Kritik als Heterosexueller diskriminiert fühlte und eine "Cancel Culture" beklagte. "Aussagen einzelner Vertreter*innen der SPD zur sogenannten Identitätspolitik, die in den Medien, auf Plattformen und parteiintern getroffen wurden", zeichneten "insbesondere im Lichte der jüngsten Debatte ein rückwärtsgewandtes Bild der SPD, das Eure Community, Dritte, aber eben auch uns verstört", beklagten die beiden SPD-Vorstandsmitglieder.
Die Einladung von Esken und Kühnert wurde verschickt, bevor ein Gastkommentar von Schwan in der "Süddeutschen Zeitung" erschien, in dem sie Thierse verteidigte, Communities mit "feindseliger Abschottung nach außen" kritisierte und eine Identitäts-Debattenkultur beklagte, in der "Auseinandersetzung durch moralische Verurteilung vergiftet" werde: "Auch die moralisch attackierte 'Mehrheit' fühlt sich oft verletzt oder bedroht."
Sozialdemokrat*innen stünden "für den Respekt gegenüber der Vielfalt der Menschen und ihrer Lebensentwürfe", heißt es weiter in der Einladung zum Gespräch. "Unser Blick auf die Welt ist von einem emanzipatorischen Menschenbild geprägt. Ausgrenzung, diskriminierende Haltungen, Umgangsformen und Aussagen haben in unserer Partei keinen Platz. Wir Sozialdemokrat*innen stehen für eine bunte und vielfältige Gesellschaft, in der wir Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung, geschlechtlicher Identität, Hautfarbe oder warum auch immer nicht dulden. Wir wollen solidarisch an der Seite derjenigen sein, die immer noch Ausgrenzung und Diskriminierung erfahren müssen."
LSVD forderte Entschuldigung von der SPD
Nach dem misslungenem "Jour Fixe" hatte der Lesben- und Schwulenverband in einer überraschend scharfen Pressemitteilung kritisiert, dass die Beteuerungen der SPD, auf der Seite queerer Menschen zu stehen, "nichts wert" seien, und eine Entschuldigung gefordert. Viele Sozialdemokrat*innen würden "Homophobie und Transfeindlichkeit lieber leugnen, kleinreden oder verharmlosen statt diese deutlich zu kritisieren".
Auf dieses "undifferenzierte Pauschalurteil" hatte die SPDqueer, die Arbeitsgemeinschaft der Partei für Akzeptanz und Gleichstellung, "bei aller berechtigter Kritik" verschnupft reagiert. Es "verletzt auch menschlich", erklärten die queeren Sozialdemokrat*innen in einer Stellungnahme. (mize)
