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Interview

Sexualisierte Gewalt: Warum melden sich Opfer erst Jahre später?

Der Berliner Psychologe Marcus Behrens berät bei Mann-O-Meter schwule Opfer sexueller Übergriffe. Er erklärt im Interview, warum viele sich nicht wehren, die Taten verdrängen und auf eine Anzeige verzichten.


Viele Opfer sexualisierter Gewalt empfinden extreme Scham (Bild: daniel-reche-718241 / pexels)
  • Von Peter Fuchs
    6. März 2021, 06:36h 11 4 Min.

Herr Behrens, nicht wenige schwule Männer lassen sexualisierte Gewalt über sich ergehen. Wie kann es kommen, dass ein erwachsener Mann bei einer solchen Grenzüberschreitung nicht Nein sagen kann?

Einige können es sicher sagen, aber es gibt eine klassische Konstellation, in der vom meist männlichen Täter sexuelle Gewalt eingesetzt wird. Meistens nutzt er ein Machtgefälle oder ein Autoritätsverhältnis aus. Dazu wählt er die Opfer nach speziellen Kriterien. Zum Beispiel, dass sie eine schwächere Position in sozialer oder ökonomischer Hinsicht als er haben.

Was passiert mit den Opfern im Moment der Grenzüberschreitung?

So eine Situation ist überfordernd. Die Männer sagen sich, als erwachsener Mann darf ich nicht in diese Situation kommen, sie sind verwirrt, was da gerade läuft. Ich muss immer Herr der Lage sein, denken sie sich. Dieses in unserer Gesellschaft gängige männliche Selbstbild wird in dem Augenblick zerstört. Sie denken, ich muss doch Nein sagen oder zuschlagen, was jetzt aber passiert, ist gar nicht vorgesehen. Solche Gedankenketten können auch schon bei Jungs mit zwölf Jahren ablaufen.

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Psychologe Marcus Behrens

Was geschieht nach einem solchen Ereignis mit den Männern?

Die erste Reaktion ist meistens, so zu tun, als wäre nichts passiert. Dabei kann es aber durch Schlüsselreize zu wiederkehrenden Erinnerungen an die Situation kommen. Die Männer können das nicht kontrollieren. In diesen sogenannten Flashbacks muss das Opfer mit voller Wucht die traumatische Situation neu durchleben. Die Erinnerungen zu unterdrücken, ist daher harte Arbeit. Kommt aber etwas durch, zum Beispiel ausgelöst von einem Geruch, einem Foto oder auch einem Zeitungsartikel zum Thema sexuelle Gewalt, kann der Deckel sofort hochfliegen, den die Männer mühsam runtergedrückt halten.

Wie sehen die Männer die Option, nach der Grenzüberschreitung zur Polizei zu gehen?

Daran hindert sie oft die schwächere Position, nach der sie vom Täter ausgewählt wurden. Außerdem kann es sein, dass sich im Rahmen der Verdrängungsarbeit ein unangenehmes Gemisch aus Emotionen zusammengebraut hat. Vielleicht fand das Opfer es anfangs ein bisschen geil, bekam eventuell sogar eine Erektion, das kann bis zum Samenerguss gehen. Gleichzeitig empfand das Opfer die ganze Situation aber auch vollkommen übergriffig und eklig. Wird es dann bei der Polizei nach Einzelheiten gefragt, antwortet die dann: Wie bitte? Das klingt nach einvernehmlichem Sex. War man selbst noch nicht in so einer Position, lässt sich schwer nachvollziehen, was im Zustand der erwähnten Überforderung alles passieren kann.

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Wie leben Opfer nach so einem Erlebnis weiter?

Sie empfinden extreme Scham und sagen, sie hätten etwas falsch gemacht, um die Sache ad acta legen zu können. Das ist natürlich Quatsch, Opfer haben nie etwas falsch gemacht. Sie geben sich aber selbst die Schuld, wie zum Beispiel mit "Ich hätte ja Nein sagen können". Damit erlangen sie scheinbar, so absurd das auch klingt, für sich wieder Kontrolle über die Situation. Dieser Versuch einer Selbstermächtigung zieht sie aber letztlich nur in einen Teufelskreis hinein, der schwer zu durchbrechen ist.

Heilt die Zeit irgendwann einmal die Wunden?

Das kommt auf das Erleben und das Umgehen mit den Wunden an. Oftmals heilt sie aber nicht, im Gegenteil, denn Verdrängung ist nicht einmalig erledigt. Es ist anstrengende Arbeit, die nie aufhört. Stets müssen alle Trigger für Erinnerungen beseitigt werden. Junge Menschen schaffen das leichter, doch mit zunehmendem Alter kann man immer weniger Energie dafür aufbringen. So lässt sich das rational von außen betrachten, von innen nehmen die Opfer diesen Vorgang nicht bewusst wahr.

Es passiert oft, dass Männer erst viele Jahre nach dem Ereignis damit an die Öffentlichkeit gehen können. Mir fallen dazu Beispiele vom Canisius-Kolleg oder von der Odenwaldschule ein. Männern über 60 zog es plötzlich den Boden unter den Füßen weg, weil sie als Schüler Opfer geworden waren. Erst durch therapeutische Versorgung konnten sie sich Schritt für Schritt wieder an das Ereignis heranarbeiten und den Konflikt, den sie ein Leben lang mit sich herumtragen mussten, für sich lösen.

-w-

#1 SöderAnonym
  • 06.03.2021, 09:20h
  • Hätte mir die Zusammenhänge so nicht vorstellen können. Sehr gutes Interview, das sollten ganz viele lesen.
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#2 LotiAnonym
  • 06.03.2021, 15:56h
  • Antwort auf #1 von Söder
  • Oh ja. Sehr gut zusammengefasst.
    Bei einer Unterhaltung mit einem guten Freund, der wie auch ich in einem katholischen Heim gewesen ist, sagte dieser doch glatt zu mir, er hätte den sexuellen Übergriff durch den Vikar damals als Jugendlicher sogar geil gefunden. Er ist sogar heute noch der Ansicht, das viele Jugendliche durch eine erwachsene Person besser lernen können mit ihrer Sexuallität umzugehen. Ich konnte seine Ansichten darüber in keinster Weise teilen. Ich habe im Kinderheim miterleben müssen, wie eine Nonne ein vierjährigen Jungen regelmäßig in ihre Zelle holte. Er dort über Stunden verbrachte. Dieser Junge wurde von ihr einerseits verhätschelt und gleichzeitig vor allen Kindern aber auch geschlagen. Ich nahm mich mit 12 Jahren seiner an und er war dankbar für meine Freundschaft zu ihm. Der Nonne war das gar nicht recht.
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#3 euqumanAnonym
  • 06.03.2021, 16:49h
  • Wenn ein Junge von einem Mann sexuell missbraucht wird dann ist der Täter ,also der Mann aber meistens heterosexuell.

    Heterosexuelle Männer tun aus Machtgeilheit und Satanismus Jungs sexuell missbrauchen.
    Auch sind andere Ursachen dafür verantwortlich.
    Zum Beispiel Persönlichkeitsstörungen (z. B. dissozial)und anderen psychischen Erkrankungen (z. B.Abhängigkeiten), psychosozialen Schwierigkei-ten (z. B. psychosoziales Mileu) und Abhängig-keitsstrukturen mit Ausübung von Macht und Unterdrückung.
  • Direktlink »

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