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Interview

Schwuler Ex-Mönch Anselm Bilgri: "Irgendwann ist Schluss"

Vor rund 40 Jahren wurde Anselm Bilgri vom späteren Papst Joseph Ratzinger zum Priester geweiht. Heute ist der Ex-Mönch aus der katholischen Kirche ausgetreten und will nun seinen Freund heiraten.


Anselm Bilgri arbeitete jahrelang als Wirtschaftsleiter des Klosters Andechs. Als er 2004 aus dem Kloster und dem Benediktinerorden austrat, machte er bundesweit Schlagzeilen. Heute arbeitet er als Unternehmensberater, hält Vorträge, lehrt an der Hochschule München – und schreibt Bücher (Bild: Hochschule München)
  • Von Britta Schultejans, dpa
    7. März 2021, 07:39h 22 7 Min.

Anselm Bilgri war sein ganzes Leben lang mit der Kirche eng verbunden. Vor fast 40 Jahren weihte ihn niemand geringerer als Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI., zum Priester. Heute ist der ehemalige Mönch 67 Jahre alt und aus der römisch-katholischen Kirche ausgetreten.

Ein Grund dafür ist auch seine Homosexualität. Anfang der Woche wurde bekannt, dass Bilgri am 12. März seinen langjährigen Partner heiraten wird – getraut von Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (queer.de berichtete). Sein Schwulsein sei aber längst nicht die einzige Ursache, warum er der katholischen Kirche den Rüclen gekehrt hat, erklärt er im Interview in München.

Ende letzten Jahres teilten Sie mit, dass Sie aus der römisch-katholischen Kirche aus- und zu den Altkatholiken übertreten. Jetzt geben Sie bekannt, dass Sie einen Mann heiraten wollen. Ist das eine die Voraussetzung für das andere?

Das hängt ja zusammen. Mir war klar, dass ich auf jeden Fall meinen Priesterstatus in der römisch-katholischen Kirche verliere, wenn ich einen Mann heirate. Aber ich wäre auch so ausgetreten.

Warum denn? Sie haben doch jetzt sehr lange durchgehalten...

Irgendwann ist Schluss. Mir geht natürlich – wie vielen Menschen – der Umgang mit den Betroffenen sexuellen Missbrauchs furchtbar auf den Geist. Aber nicht nur das: Es tut sich einfach nichts, obwohl Forderungen nach Reformen immer lauter werden. Daran wird auch der Synodale Weg nichts ändern. Ich bin überzeugt, dass das nichts weiter als ein Gesprächskreis ist nach dem Motto: Hauptsache, wir reden drüber. Rom ignoriert das nicht einmal, was dabei rauskommen wird.

Ist es Ihnen der Schritt zu den Altkatholiken trotzdem schwer gefallen?

Der Übertritt nicht, aber der Austritt aus der römisch-katholischen Kirche ist mir natürlich schon schwergefallen. Das hat mich Überwindung gekostet. Ich bin von Kindheit an römisch-katholisch und in dieser Kirche groß geworden. Ich war Ministrant, Priester, Pater, Mönch, Prior. Das ist meine Heimat gewesen. Und die katholische Liturgie liebe und lebe ich nach wie vor und die Rituale, die Sakramente und das katholische Gefühl sind mir natürlich in Fleisch und Blut übergegangen. Aber durch den Übertritt zu den Altkatholischen darf ich mich ja nach wie vor katholisch fühlen und als katholisch bezeichnen.

Was gefällt Ihnen bei den Altkatholischen denn besonders gut?

Wie weit die Ökumene dort verbreitet ist, zum Beispiel. Ein gemeinsames Abendmahl mit Protestanten ist dort kein Problem, während die römisch-katholische Kirche immer noch propagiert, dass es nicht geht – obwohl sich daran niemand hält. Dass dieses Bigotte, diese Doppelmoral, bei den Altkatholiken fehlt, gefällt mir sehr.

Und was vermissen Sie?

Zwei Sachen sind's: Es gibt nur eine einzige altkatholische Gemeinde hier in München. Als Altkatholik muss man lange Wege auf sich nehmen und das ist natürlich gewöhnungsbedürftig, wenn man sein ganzes Leben aus seinem Fenstern auf den Kirchturm schauen konnte. Und ich war in meiner Jugend von der Familie her ein großer Wallfahrer, habe Marienwallfahrten geliebt. Die Marienverehrung ist leider nicht so hochgeschrieben bei den Altkatholiken. Und den Rosenkranz habe ich gern gebetet. Das ist bei den Altkatholiken zwar nicht verboten, hat aber auch nicht so wirklich Tradition.

Wenn das Private politisch ist, wie es oft heißt, dann ist Ihre Entscheidung, einen Mann zu heiraten, das in doppeltem Sinne: Sie stellen damit nicht nur die Haltung der römisch-katholischen Kirchen zu gleichgeschlechtlichen Partnerschaften infrage, sondern auch den Zölibat für katholische Priester...

Ja, mein Privatleben ist politisch geworden, kirchenpolitisch. Die Aufhebung des Pflichtzölibats habe ich ja schon in meinem letzten Buch "Bei aller Liebe – Warum die katholische Kirche den Zölibat freigeben muss" gefordert. Wenn jemand zölibatär leben will, soll er das ja können und gerne tun. Aber dieser Zwangszölibat wird mehr und mehr zu einem riesigen Problem für die Kirche. Es gibt inzwischen Pfarreien mit 100.000 Mitgliedern, weil es einfach nicht genügend Priester gibt. Wo soll das denn hinführen?

Als Patrick Lindner kürzlich nach der Hochzeit mit seinem Ehemann die Eheringe in einer katholischen Kirche von Pfarrer Rainer Maria Schießler segnen ließ, gab das Erzbistum bekannt, den Fall zu untersuchen...

Die werden sich schön hüten, dem Pfarrer Schießler irgendwie ans Bein zu pinkeln. Wenn die das tun, haben die eine Austrittswelle sondergleichen. Natürlich ist es offiziell verboten, lesbische oder schwule Paare zu segnen, aber es gibt Schlupflöcher und ich finde es gut, wenn ein Pfarrer sich traut, die zu nutzen und diesen Ersatzritus anzubieten, der gerade noch erlaubt ist. Ich habe das ja auch viel gemacht und oft schwule und lesbische Paare gesegnet. Aber das musste natürlich immer im Geheimen stattfinden – bei denen zu Hause, im Standesamt oder in einer ganz kleinen Kapelle.

Bei den Altkatholiken können Sie und Ihr Verlobter sich ganz offiziell trauen lassen?

Ja. Da ist zwar noch theologisch umstritten, ob es sich bei der Trauung schwuler Paare um ein Sakrament oder eine Segnung handelt. Aber Markus und ich wollen uns da trauen lassen und dann eine große Hochzeit feiern, wenn Corona vorbei ist.

Ist Ihr Verlobter mit ihnen übergetreten?

Er ist mit mir zusammen aus der römisch-katholischen Kirche ausgetreten, aber nicht bei den Altkatholiken eingetreten. Er ist sicher gläubig, hat aber keine sonderlich lebendige Beziehung zur Kirche.

Wie haben Sie sich kennen gelernt?

Im Internet. Ich weiß gar nicht, warum sich so viele Leute genieren, das zu sagen. Das Internet ist doch die rationalste Art, jemanden zu finden, der zu einem passt. Außerdem hätte ich gar nicht gewusst, wohin ich gehen soll, um jemanden kennen zu lernen. Ich hab geschrieben: Ich koche gerne und ich möchte reisen und interessiere mich für die Oper und Kultur. Das hat ihm offensichtlich gefallen, auch wenn wir sicher nicht identisch sind. Er ist eher der sportliche Typ.

Und wer hat den Antrag gemacht?

Den offiziellen habe ich gemacht, letztes Jahr am 17. April, dem elften Jahrestag unseres Kennenlernens. Markus hat mich zwar vorher auch schon mal gefragt, etwas angetrunken beim Schunkeln auf der Wiesn – aber das haben wir beide nicht so ernst genommen.

Wie waren die Reaktionen auf ihre öffentliche Bekanntmachung, dass Sie schwul sind und einen Mann heiraten wollen?

Meine Freunde wissen seit sechs, sieben Jahren schon davon. Ich habe das ja nicht versteckt, aber auch nicht offen vor mir hergetragen, weil ich nicht der Berufsschwule sein wollte, als der ich ab jetzt wahrscheinlich wahrgenommen werde. Und wer es jetzt erfahren und mich angerufen hat, hat mir gratuliert. Was bei Facebook steht, lese ich nicht. Ob mich da irgendwelche konservativen Leute tadeln müssen, ist mir egal.

Ich hatte eh manchmal schon das Gefühl bei der römisch-katholischen Kirche, dass die froh sind, mich losgeworden zu sein. Sorge macht mir, wer da noch bleibt: Ein stramm konservativer, rückwärtsgewandter kleiner Haufen. Davor hätte ich schon Angst. Ich habe keine Hoffnung auf grundlegende Veränderungen mehr. Die Etiketten werden sicher etwas erneuert werden, aber der Grundsatz wird der gleiche bleiben, weil es in der katholischen Kirche viel zu viele Menschen gibt, die Angst um ihre Macht haben und davor, dass das ganze System ins Wanken gerät.

Ist es Ihnen als katholischer Mönch schwergefallen, sich Ihre Homosexualität selbst einzugestehen?

Ja, ich habe damit gekämpft. Aber seit meinem Klosteraustritt konnte ich dann damit umgehen. Ich wusste nur überhaupt nicht, wo ich jemanden kennen lernen kann. Das lernt man nicht in 30 Jahren im Kloster und was mir völlig abgeht, ist, in schwule Lokale oder die Szene zu gehen. Da gibt es andere, für die das sicher was ist – aber für mich nicht.

Sind Sie mal angerufen worden von jemandem aus der römisch-katholischen Kirche, der Sie zum Bleiben überreden wollte?

Ich habe gerade erst einen Brief vom Generalvikar bekommen, der mir mit kirchenrechtlichen Konsequenzen gedroht und betont hat, dass ich kein Priester der katholischen Kirche bleiben kann, wenn ich aus der Kirche austrete – als ob mich das noch interessieren würde. Das war ja klar, dass ich meinen Status verliere. Warum man da noch kirchenrechtlich nachtreten will, weiß ich nicht. Aber der Prior meines ehemaligen Klosters, mit dem ich noch in Verbindung stehe, hat mir geschrieben, dass er es schade findet, dass ich gehe: Aber Hauptsache, Du bleibst Christ.

#1 LarsAnonym
  • 07.03.2021, 08:50h
  • "Ich wusste nur überhaupt nicht, wo ich jemanden kennen lernen kann. Das lernt man nicht in 30 Jahren im Kloster und was mir völlig abgeht, ist, in schwule Lokale oder die Szene zu gehen."

    Schade, dass es immer noch das Klischee gibt, man müsse vor allem in Lokale oder die Szene gehen, um schwule Männer kennen zu lernen. Das ist nicht für jeden was und selten ein Ort, um sich über ein Gespräch über Oper oder Theologe näher kennen zu lernen.

    Kommen wir irgendwann dazu, das Angebot breiter bzw. sichtbarer zu machen?

    Wenn man gern kocht und Oper liebt, sollte man sich in der Opern- und Kochszene bewegen.
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#2 LegatEhemaliges Profil
  • 07.03.2021, 09:22h
  • Antwort auf #1 von Lars
  • Er hat geschrieben "und was mir völlig abgeht, ist, in schwule Lokale oder die Szene zu gehen.", das heißt er teilt deine Meinung. Das mit dem angeblich bedauerlichen angeblichen Klischee ist gar nicht seine Aussage gewesen, sondern nur deine. Was ihr teilt ist eure Abneigung gegen das Ausgehen in schwule Lokale oder "die Szene". Beides übrigens hat sich in den letzten 30 Jahren massiv verändert. Nur falls euch das nicht aufgefallen sein sollte, weil ihr ja nicht hingeht.
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#3 TheDadProfil
  • 07.03.2021, 10:08hHannover
  • Antwort auf #1 von Lars
  • ""Schade, dass es immer noch das Klischee gibt, man müsse vor allem in Lokale oder die Szene gehen, um schwule Männer kennen zu lernen.""..

    Dieses Klischee wird gerade von Dir aufrecht erhalten..
    Anselm Bilgri hat seinen Freund dann ja auch offensichtlich an einem anderem Ort kennen gelernt..

    Aus gegebenem Anlaß aber mal etwas zur Ehrenrettung der "Szene"..
    Die besteht und bestand noch nie ausschließlich aus "Kneipen und Saunen", denn ganz praktisch :
    Wenn ich zu einem Schwulem Buchhändler gehe, oder zu einem Schwulem Arzt, in Restaurants wo Schwules Personal arbeitet, dann gehen da auch andere hin, und die kann man dort dann auch kennen lernen..

    Ich für meinen Teil nutze ganz einfach immer noch mein Radar, und gehe dann das Risiko ein aufs Maul zu fallen..
    Was mit bei Licht betrachtet deutlich seltener passiert ist, als das ich damit Erfolg hatte..
    Out zu sein ist dabei übrigens enorm hilfreich..
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