Ein Istanbuler Gericht hat am Sonntag Auflagen gegen neun Personen verhängt, die am Samstag in einem queeren Block bei einer Kundgebung zum Weltfrauentag im Stadtteil Kadiköy teilgenommen hatten. Die beiden trans Aktivistinnen Yildiz Idil Sen und Günes erhielten einen einmonatigen elektronisch überwachten Hausarrest.
Für weitere sechs Personen und den Fotojournalisten Sener Yilmaz Aslan ordnete das Gericht zudem ein Ausreiseverbot und Meldeauflagen an. Sie müssen sich zweimal pro Woche auf einer Wache melden. Die Polizei wirft ihnen Widerstand gegen die Staatsgewalt und die Überwindung von Sicherheitskontrollen vor – und hatte laut der queeren Organisation Kaos GL vom Gericht ursprünglich Untersuchungshaft gefordert.
Die Aktivistinnen hatten mit Trans-Flaggen an der Kundgebung der linken und pro-kurdischen "Demokratischen Partei der Völker" (HDP) teilgenommen und auch auf der Bühne gesprochen. Die Polizei habe bereits bei der Einlasskontrolle Menschen Trans- und Regenbogenflaggen abgenommen und queere Personen besonders kontrolliert, so Medienberichte. Mehreren Personen, darunter Yildiz Idil Sen, sei mit Gewalt ein Banner zur Solidarität mit trans Personen entrissen worden. Als Menschen zur Hilfe eilten und sich die Polizisten zurückzogen, seien sie zu dem Protestgelände vorgedrungen.
Aus Taxi gezerrt
Nach der Kundgebung, bei der die trans Aktivistinnen auch das Vorgehen der Beamten kritisierten, habe die Polizei sie in Seitenstraßen verfolgt. Drei von ihnen wurden festgehalten, als sie in einem Taxi nach Hause fahren wollten. Laut den Berichten nahmen die Beamten auch Personen fest, die sich gegen die Festnahmen wehrten, und gingen gegen Journalisten vor, die das dokumentierten.
"Ich wurde festgenommen, als ich die Folter dokumentierte, die gegen trans Personen eingesetzt wurde", schrieb Fotojournalist Aslan. Der türkische Vertreter von Reporter ohne Grenzen verurteilte das Vorgehen gegen Pressevertreter*innen, die ihre Pflicht erfüllten.
Die Festgenommenen hatten laut der queeren Organisation der HDP stundenlang keinen Zugang zu Anwält*innen und seien auf der Wache Beleidigungen ausgesetzt gewesen. "Der Hass und die Intoleranz, Gewalt sowie Diskriminierung, die LGBT+ in diesem Land erfahren, ist zweifellos durch Homophobie motiviert", beklagte die HDP laut einem deutschsprachigen Bericht von ANF. "Die Behörden ignorieren jedoch bewusst, dass es sich hierbei um Hasskriminalität handelt."
Viele Kundgebungen am Montag geplant
Auch türkische Frauenrechtlerinnen äußerten Solidarität: Präsident Recep Tayyip Erdogan und andere Vertreter der Regierung würden mit LGBTQI+-feindlichen Aussagen dazu beitragen, dass sich viele Menschen nicht sicher fühlen könnten, sagte eine Sprecherin der Organisation "Wir werden Frauenmorde stoppen" der Deutschen Presse-Agentur. "Wir wollen alle nur frei und gleich sein."
Die Organisation hat zum Weltfrauentag am heutigen 8. März zu Demonstrationen aufgerufen. Landesweit sind Proteste geplant. Nach Daten von "Wir werden Frauenmorde stoppen" wurden in den ersten Monaten dieses Jahres 51 Frauen Opfer solcher Frauenmorde in der Türkei. Im Jahr 2020 waren es 300 Frauen gewesen. Die Organisation dringt auf die Anwendung der sogenannten Istanbul-Konvention. Das Übereinkommen wurde 2011 vom Europarat ausgearbeitet und soll einen europaweiten Rechtsrahmen schaffen, um Gewalt gegen Frauen zu verhüten und zu bekämpfen. Auch die Türkei hat das Abkommen ratifiziert. Die rechtlichen Grundlagen würden im Land bestehen, aber schlichtweg nicht angewendet, sagte die Sprecherin.
Auch gegen trans Frauen kommt es immer wieder zu Gewalt und Morden. Nach den Uni-Protesten in Istanbul hatte die Regierung ihre queerfeindliche Rhetorik verschärft: Der Präsident nannte protestierende Studierende etwa "Terroristen" und äußerte sich feindlich gegenüber queeren Jugendlichen, Innenminister Süleyman Soylu sprach von "LGBT-Perversen". Dabei skandalisierte die Politik ein Bild von Mekka mit queeren Flaggen, das auf dem Campus-Gelände gezeigt worden war. Die Staatsanwaltschaft fordert in diesem Zusammenhang Haftstrafen für sieben Studierende (queer.de berichtete). Bereits in den letzten Jahren waren viele queere Protestkundgebungen verboten worden und endeten oft in der gewaltvollen Festnahme der Teilnehmenden (queer.de berichtete). (nb/dpa)