SPD-Politiker Wolfgang Thierse beklagte vergangene Woche, dass er als weißer Heterosexueller diskriminiert wird (Bild: Deutscher Bundestag / MELDEPRESS / Sylvia Bohn)
Viele SPD-Größen haben sich in den vergangenen Tagen mit Ex-Bundestagspräsident Wolfgang Thierse gegen Kritik solidarisiert, darunter auch Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher. Hintergrund ist ein Streit über umstrittene Äußerungen von Wolfgang Thierse, dem letzten sozialdemokratischen Bundestagspräsidenten. Dieser hatte sich in einem FAZ-Artikel schützend vor Homo-Hasser*innen gestellt, indem er etwa eine "Radikalität identitärer Forderungen" und "Dominanz" von "Fragen ethnischer, geschlechtlicher und sexueller Identität" beklagte. Nach Kritik hatte er sich in einem Interview als Diskriminierungsopfer stilisiert und die als rassistisch kritisierte Praxis des "Blackfacing" verteidigt (queer.de berichtete).
Tschentscher stellte sich laut einem Bericht des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND) vom Montag hinter Thierse – offenbar mit dem Argument, dass Queerrechte schlicht nicht so wichtig seien: "Die Leute interessieren sich derzeit mehr dafür, wie wir die Pandemie bekämpfen und ob wir eine Vorstellung haben, wie es danach weitergeht", so Tschentscher. Das Portal stellte das als seine Antwort auf die "interne Debatte über 'linke Identitätspolitik' und Fragen sogenannter queerer Gleichstellung" dar. Für den Wahlkampf sei die Debatte "kein entscheidendes Thema". Weiter erklärte der 55-jährige Sozialdemokrat: "Wolfgang Thierse ist eine besondere Persönlichkeit und gehört zur SPD. Wir wollen ihn nicht verlieren."
Peter Tschentscher ist seit März 2018 Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg (Bild: News Oresund / flickr)
Auch weitere SPD-Politiker*innen stärkten Thierse in seiner Auseinandersetzung mit queeren Bürgerrechtsaktivist*innen den Rücken. Michael Roth, der offen schwule Staatsminister im Außenamt, erklärte etwa bereits vergangenen Mittwoch auf Twitter: "Wolfgang Thierse ist ein anständiger und bedeutender Sozialdemokrat."
"Wolfgang Thierse hat natürlich Recht!"
Noch deutlicher formulierte es der Münchner SPD-Politiker Florian Post, der seit 2013 für die Partei im Bundestag sitzt: "Wolfgang Thierse hat natürlich Recht! Letztens hatte ich sogar eine Mail unseres Generalsekretärs im Postfach mit dem Betreff 'Kandidierenden-Plakate'. Was ist das nur für eine Gaga-Sprache!? Als ob das die Probleme der Menschen [widerspiegelt]!", so der 39-Jährige am Sonntag bei Twitter. Begriffe wie "Gender-Gaga" waren in der Vergangenheit in der politischen Debatte fast ausschließlich Kampfworte der AfD, um LGBTI-Rechte lächerlich zu machen. In der Debatte um Thierse war die Frage von geschlechtergerechter Sprache zudem nur ein Teilaspekt.
Im neuesten "Spiegel" (Bezahlartikel) kritisierte die ebenfalls innerhalb der queeren Community in die Kritik geratene SPD-Vordenkerin Gesine Schwan Parteifreund*innen, die sich besonders für ein Thema engagierten: "Ich halte diese kollektiven Identitäten für die Pest", so Schwan, die wie Thierse auch weitere Interviews gab.
Thierse hatte nach Kritik der SPD-Vorsitzenden Saskia Essen vergangene Woche seinen Austritt aus der Partei angeboten (queer.de berichtete). Daraufhin stellte sich Esken hinter Thierse und übte laut "Tagesspiegel" Medienschelte – so habe queer.de ihre vorherige Äußerung "missbraucht [...] im Versuch, uns gegeneinander auszuspielen" (queer.de berichtete).
Im Berliner Magazin "Cicero" erklärte sich Thierse inzwischen zum Sieger der Debatte: "Es war eine überwältigende Zustimmung, nicht nur aus der eigenen Partei", so der 77-Jährige. (dk)