Andrzej Przylebski, seit 2017 polnischer Botschafter in Deutschland, hat in einem Interview mit dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland" zurückgewiesen, dass sexuelle Minderheiten in seinem Heimatland unterdrückt werden. Zudem beschuldigte er polnische LGBTI-Aktivist*innen, das Thema künstlich aufzubauschen: "Ein Aktivist stellt sich an den Straßenrand und lässt sich mit einem Schild 'LGBT-freie Zone' fotografieren", so Przylebski wörtlich. "Danach schickt er das Bild nach Brüssel und das EU-Parlament diskutiert dreimal darüber. Ich kann nur sagen: Wo sind wir angekommen?! Das ist großer Unsinn. Es gibt in Polen keine Unterdrückung von Lesben und Schwulen."
Tatsächlich haben in Polen mehr als 100 polnische Städte, Gemeinden und Bezirke queerfeindliche Resolutionen beschlossen – zu einer Zeit, als ein regierungsnahes Magazin mit einem Aufkleber mit dem Aufdruck "LGBT-freie Zone" Schlagzeilen machte. Als LGBTI-Aktivist*innen mit den von Przylebski kritisierten Schildern dagegen protestierten, wurden sie angezeigt (queer.de berichtete). Die Resolutionen sind zwar größtenteils symbolisch, queere Organisationen warnen aber eindringlich davor, dass so LGBTI praktisch zu Freiwild erklärt werden und mit vermehrten Übergriffen zu rechnen hätten. Als Reaktion auf die Resolutionen hat das Europaparlament die Europäische Union vorletzte Woche symbolisch zur LGBTIQ-Freiheits-Zone erklärt (queer.de berichtete).
"Homosexualität wurde bei uns nie strafrechtlich verfolgt"
Przylebski warf in seiner Antwort auch Deutschland vor, schärfer gegen Homosexualität vorgegangen zu sein als Polen: "Homosexualität wurde bei uns nie strafrechtlich verfolgt – im Gegensatz zu Deutschland beispielsweise", so der Philosoph und Diplomat. Tatsächlich legalisierte Polen Homosexualität im Jahr 1932 – und damit immerhin dreieinhalb Jahrzehnte früher als in Deutschland. Bis in die Neunzigerjahre hinein wurden Schwule und Lesben allerdings auf Warschaus Weisung weiterhin staatlich verfolgt und von Medizinpersonal für krank erklärt – in den Achtzigerjahren versuchte das damalige Regime mit der "Operation Hiacynt" etwa, alle Homosexuellen und deren Freund*innen in nationalen Datenbanken zu erfassen, unter anderem um gegen angeblich "homosexuell kriminelle Banden" vorzugehen – insgesamt 11.000 Personen wurden damals registriert.
Auch sonst geht Przylebski bei kritischen Fragen zum Gegenangriff auf Deutschland über. So erklärte er etwa mit Blick darauf, dass die AfD bislang keine Mehrheit für einen Posten im Bundestagspräsidium erhalten hat: "Wenn im deutschen Bundestag bis heute die größte Oppositionspartei keinen Vizepräsidentenposten bekommt, obwohl ihr das laut Satzung eigentlich zusteht, wo bleiben da die Werte?"
Przylebski hatte bereits in der Vergangenheit die "LGBTI-freien Zonen" in Polen verteidigt bzw. die Existenz dieser Resolutionen schlicht geleugnet. So schrieb er letztes Jahr in einer offiziellen Pressemitteilung: "Polen ist ein Land, in dem es nach dem Gesetz keine ausgewiesenen Zonen gibt und geben darf, die in irgendeiner Weise zu sozialer Ausgrenzung führen würden."
LGBTI-Ideologie wird "brutal durchgesetzt"
In derselben Pressemitteilung gab er aber katholischen Gläubigen einen Freischein, Homosexuelle zu diskriminieren. Wörtlich hieß es: "Andererseits muss man betonen, dass der Großteil der polnischen Bevölkerung katholischen Glaubens ist, was bedeutet, dass die LGBT-Ideologie für einen Teil dieser Glaubensbekenner nicht zu billigen ist. Eben in diesem Sinne muss man Beschlüsse von einigen Kommunen als Widerspruch gegen die LGBT-Ideologie erörtern." Diese queere "Ideologie" werde angeblich "manchmal brutal durchgesetzt". Als queerfeindlich kritisierte Beschlüsse richteten sich aber nicht gegen Menschen, sondern nur gegen die "Ideologie". (dk)