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Linkspartei-Krise um "Identitätspolitik"
"Immer skurrilere Minderheiten": Wagenknecht verteidigt sich
Sahra Wagenknecht beschuldigt ihre innerparteilichen Gegner*innen, Fakenews zu verbreiten. Vorwürfe gegen sie seien aus dem Zusammenhang gerissen oder verfälscht. Unterdessen outet sich Boris Palmer als Fan der Linkspolitikerin.

Sahra Wagenknecht will sich am Samstag zur NRW-Spitzenkandidatin ihrer Partei wählen lassen (Bild: DIE LINKE Nordrhein-Westfalen)
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9. April 2021, 08:40h 3 Min.
Die Linkenpolitikerin Sahra Wagenknecht hat sich im Vorfeld der Aufstellung der NRW-Landesliste für die Bundestagswahl gegen Kritik verteidigt, ihr nächste Woche erscheinendes Buch "Die Selbstgerechten" sei diskriminierend. Sie wolle lediglich das Hauptaugenmerk ihrer Partei wieder auf die Thematik der sozialen Sicherheit legen, schrieb sie am Donnerstag bei Facebook.
In vorab veröffentlichten Auszügen aus dem Buch beklagt die ehemalige Oppositionsführerin im Bundestag unter anderem, dass die politische Aufmerksamkeit auf "immer skurrilere Minderheiten" gelenkt werde, "die ihre Identität jeweils in irgendeiner Marotte finden, durch die sie sich von der Mehrheitsgesellschaft unterscheiden und aus der sie den Anspruch ableiten, ein Opfer zu sein." Als Beispiel für solche "Marotten" nennt sie sexuelle Orientierung, Hautfarbe und Ethnie (queer.de berichtete).
Posted by Frank Laubenburg on Thursday, April 8, 2021
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Das Buch enthält etliche weitere Stellen, die kritisiert werden: So lässt die Politikerin kein gutes Haar an ihrer eigenen Partei, lobt aber die "couragierte Sozialpolitik" der queerfeindlichen polnischen Regierungspartei PiS. Außerdem macht sich Wagenknecht über Teilnehmer*innen von CSD-, "Fridays for Future"- oder "Black Lives Matter"-Demos lustig: Es sei "nicht erstaunlich, dass Lifestyle-Linke fast immer unter sich bleiben, wenn sie auf die Straße gehen. Und zwar ganz gleich, ob sie für das Klima, für LGBTQ+ oder gegen Rassismus demonstrieren". Bei Demos der Corona-Leugner*innen, bei denen schon mal Regenbogenfahnen zerrissen werden, sieht Wagenknecht hingegen eine große Zahl "unzufriedener Normalbürger".
/ NiemaMovassat | Auch der Linken-Politiker Niema Movassat, der ebenfalls aus dem NRW-Landesverband stammt, kritisiert Wagenknecht und ihre FansDiskussionsniveau von Anhänger:innen von #Wagenknecht: ein bißchen Rassismus hier, ein bißchen Antisemitismus da und dann noch einem Schuss Behindertenfeindlichkeit (wobei ich kein LRS habe, ist halt hier das Synonom für "du bist behindert").
Niema Movassat (@NiemaMovassat) April 8, 2021
Es ist echt gruselig. pic.twitter.com/vKy5I7wAXZ
"Aus dem Zusammenhang gerissen"
Wagenknecht weist in ihrem Facebook-Eintrag zurück, dass sie "den Schutz von Minderheiten gegenüber Diskriminierung nicht für ein linkes Anliegen halte". Die Vorwürfe seien "mit aus dem Zusammenhang gerissenen, teils direkt verfälschten Zitaten begründet". In ihrem langen Text geht sich nicht auf konkrete Kritik an ihren Äußerungen ein.
Ihr Buch, so Wagenknecht weiter, enthalte "Vorschläge für ein linkes Programm, mit dem wir wieder mehr Menschen erreichen könnten". Zentral sei dabei die Kritik an der sogenannten Identitätspolitik, "die objektiv die Spaltung sozialer Gruppen bewirkt, welche auf gemeinsame Kämpfe und Solidarität dringend angewiesen sind". Das Schlagwort "Identitätspolitik" wird in letzten Monaten oft verwendet, um Bürgerrechtspolitik für unwichtig zu erklären.
Um ihre Position deutlich zu machen, zitiert Wagenknecht auf Facebook aus "Die Selbstgerechten": Demnach seien Linke "immer auch Teil der Kämpfe gegen rechtliche Diskriminierungen, etwa der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung der fünfziger und sechziger Jahre" gewesen. "Aber als Linke legten sie Wert auf die Erkenntnis, dass rechtliche Gleichstellung noch lange keine gleichen Lebenschancen garantiert", so Wagenknecht weiter.
Wagenknecht will sich am Samstag erneut zur nordrhein-westfälischen Spitzenkandidatin der Linken bei der Bundestagswahl wählen lassen. Mit Blick auf den anstehenden Parteitag erklärte sie: "Ich hoffe sehr, dass die Delegiertenversammlung am Samstag trotz allem in einer konstruktiven Weise verläuft und wir danach eine Liste haben, mit der wir gemeinsam für ein gutes Wahlergebnis kämpfen werden."
Am Samstag findet die Delegiertenversammlung zur Aufstellung der Landesliste der LINKEN.NRW zur Bundestagswahl statt,...
Posted by Sahra Wagenknecht on Thursday, April 8, 2021
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Unterstützung erhält Wagenknecht von ungewohnter Seite. So schrieb der umstrittene Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) am Freitagmorgen auf Facebook: "@Wagenknecht hat wieder Recht." Dazu verlinkte der 48-Jährige den entsprechenden queer.de-Artikel vom Vortag und fügte schnippisch hinzu: "Und wenn queer.de auf dem Baum ist, kann man sicher sein, dass man genau den richtigen Punkt getroffen hat."
@Wagenknecht hat wieder Recht Und wenn queer.de auf dem Baum ist, kann man sicher sein, dass man genau den richtigen Punkt getroffen hat.
Posted by Boris Palmer on Thursday, April 8, 2021
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Auch Kommentator*innen, die sonst der Linken wenig zugeneigt sind, zeigen sich über den innerparteilichen Streit der Oppositionspartei erfreut und loben Wagenknecht. "Welt"-Chefredakteur frohlockte etwa in einem Kommentar: "Sahra Wagenknecht entlarvt die Identitätspolitik als das, was sie ist: das Distinktionsbedürfnis kleinbürgerlicher Intellektuellendarsteller."
/ ulfposhWagenknechts Buch erregt bereits vor dem Erstverkauf ihre Partei, weil die Zeitgeistsurfer und Opfermilieurepräsentanten wissen, wie recht sie hat. Vegane Besserverdiener und Rotwein trinkende Kuba-Nostalgiker wählen die Linke als Distinktion.https://t.co/SK5STskxq4 via @welt
Ulf Poschardt (@ulfposh) April 8, 2021
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