Nach scharfer parteiinterner Kritik an ihrem neuen Buch hat sich die frühere Fraktionsvorsitzende der Linken, Sahra Wagenknecht, gegen Vereinnahmungsversuche der AfD verwahrt. "Mein Buch zielt darauf, dass die Linke wieder mehr Rückhalt gewinnt. Das wäre ein echter Beitrag zur Schwächung der rechten Parteien, während abgehobene Identitätsdebatten sie eher stärker machen", sagte Wagenknecht dem "Spiegel" (Bezahlartikel). "Dass die jetzt kalte Füße kriegen und versuchen, mich durch Vereinnahmung zu diskreditieren, zeigt nur, dass sie verstehen, worum es geht."
Wagenknecht hatte laut veröffentlichten Auszügen im Buch unter anderem beklagt, dass die politische Aufmerksamkeit auf "immer skurrilere Minderheiten" gelenkt werde, "die ihre Identität jeweils in irgendeiner Marotte finden, durch die sie sich von der Mehrheitsgesellschaft unterscheiden und aus der sie den Anspruch ableiten, ein Opfer zu sein." Als Beispiel für solche "Marotten" nennt sie sexuelle Orientierung, Hautfarbe und Ethnie (queer.de berichtete).
Einige AfD-Politiker, unter anderem der Landtagsabgeordnete Daniel Roi aus Sachsen-Anhalt, nutzen Zitate aus Wagenknechts Buch, um für die AfD zu werben. In Sachsen-Anhalt ist am 6. Juni Landtagswahl. Auch der AfD-Landesverband in Nordrhein-Westfalen twitterte Wagenknecht-Zitate und bekam daraufhin Zustimmung.

Sachsen-Anhalts Linken-Spitzenkandidatin Eva von Angern, die sich anders als Wagenknecht für LGBTI-Rechte stark macht, sagte dem "Spiegel": "Es ist eine Unverschämtheit, dass Sahra Wagenknecht, die von Rassisten beleidigt und verbal angegriffen wurde und wird, hier von der AfD instrumentalisiert wird." Wagenknecht unterstütze die Linke in Sachsen-Anhalt "vorbehaltlos" und wolle die AfD "möglichst klein halten", so von Angern. "Wer keine fähigen Politikerinnen und Politiker in seinen eigenen Reihen hat, muss sich eben auf andere berufen."
In den vergangenen Tagen hatte das Buch für Kritik von mehreren Linken-Politiker*innen gesorgt, auch aus dem Bundesvorstand. Der ehemalige Linken-Vorsitzende Bernd Riexinger erklärte: "Wenn man für eine Partei kandidiert, dann muss es selbstverständlich sein, dass man die Grundpositionen dieser Partei vertritt und sie stärkt", so Riexinger gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Das sei in dem Buch nicht gegeben. Frank Laubenburg, der Bundessprecher der parteiinternen Vereinigung Die Linke.queer, warf seiner Parteifreundin sogar "Menschenverachtung" vor.
Weitere Provokationen
Wagenknecht gießt unterdessen erneut Öl ins Feuer, indem sie öffentlich Bürgerrechtspolitik gegen Corona-Politik ausspielt: So kritisierte sie am Mittwoch auf Twitter "Debatten über korrekte Sprache und Lebensweise", die von "wichtigeren Problemen" ablenkten.
In einem Interview mit dem Deutschlandfunk äußerte sich Wagenknecht ebenfalls am Mittwoch abschätzig über queere Menschen. "Ich weiß zum Beispiel gar nicht, wie viele Geschlechter es jetzt angeblich geben soll, und mir ist das auch egal", meinte die 51-Jährige. "Jeder kann sich sein Geschlecht irgendwie definieren. Dafür darf er nicht diskriminiert werden." Das sei alles richtig, aber müsse "doch trotzdem noch auf dem Boden der Realität bleiben", so Wagenknecht. "Die übergroße Mehrheit der Menschen sieht sich als Mann oder Frau und möchte sich dafür auch nicht entschuldigen und hat auch andere Probleme als solche Diskussionen."
Am Samstag wurde Wagenknecht trotz aller Kritik zur Spitzenkandidatin der NRW-Linken für den Bundestag nominiert. Bei einer Kampfabstimmung um Platz eins der Aufstellungsversammlung in Essen erhielt sie 127 Stimmen, wie die Versammlungsleitung mitteilte. Das entspreche 61 Prozent (queer.de berichtete). (dpa/dk)