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Polen
"Annektierung des Staates durch die Regierungspartei"
Über 100 Initiativen protestieren in Polen gegen die Absetzung des queerfreundlichen Menschenrechtsbeauftragten Adam Bodnar durch das Verfassungsgericht.

Adrian Grycuk / wikipedia) Der polnische Menschenrechtsbeauftragte Adam Bodnar ist einer der schärfsten Kritiker der nationalkonservativen Regierung (Bild:
- 17. April 2021, 05:48h 2 Min.
Mehr als hundert Nichtregierungsorganisationen in Polen haben gegen einen Gerichtsentscheid protestiert, wonach der Menschenrechtsbeauftragte Adam Bodnar sein Amt abgeben muss. Man wehre sich gegen die "feindliche Übernahme" des Amtes durch die nationalkonservative Regierungspartei PiS, heißt es in dem am Freitag veröffentlichten Schreiben, das unter anderem von der Helsinki-Stiftung für Menschenrechte und Amnesty International unterzeichnet wurde. Das Gerichtsurteil sei "ein weiteres Beispiel für die Annektierung des Staates durch die Regierungspartei, die Untergrabung der Fundamente der Demokratie und die Umgehung der Verfassung."
Am Donnerstag hatte das Verfassungsgericht entschieden, dass der Menschenrechtsbeauftragte Adam Bodnar innerhalb von drei Monaten gehen muss (queer.de berichtete). Eine Regelung, wonach er die Funktion auch nach dem Ende seiner regulären Amtszeit bis zur Ernennung eines Nachfolgers behalte, sei nicht verfassungskonform, hieß es in der Begründung des Gerichts. EU-Kommission und Europarat reagierten besorgt.
Bodnar seit September kommissarisch im Amt
Der 44-jährige Verfassungsrechtler Bodnar hat das Amt seit 2015 inne; der Sozialdemokrat war noch vor der Machtübernahme der rechtspopulistischen PiS-Partei ernannt worden. Er ist einer der schärfsten Kritiker der nationalkonservativen Regierung, besonders machte er sich zuletzt für LGBTI-Rechte stark. So kritisierte er letztes Jahr homofeindliche Äußerungen im Präsidentschaftswahlkampf (queer.de berichtete). Außerdem verklagte er Kommunen, die queerfeindliche Resolutionen beschlossen hatten, erfolgreich vor Gericht (queer.de berichtete).
Bodnars fünfjährige Amtszeit lief im September ab. Ein neuer Menschenrechtsbeauftragter muss jedoch von beiden Kammern des polnischen Parlaments bestätigt werden – und das Regierungslager ist im Senat knapp in der Minderheit. PiS und Opposition konnten sich auf keinen gemeinsamen Kandidaten einigen. Also blieb Bodnar im Amt – bis sich die PiS nun entschloss, das von ihr mit nahestehenden Richter*innen besetzte Verfassungsgericht anzurufen.
PiS nominiert queerfeindlichen Nachfolger
In einem vierten Anlauf möchte die PiS nun ihren Abgeordneten Bartlomiej Wroblewski zum neuen Menschenrechtsbeauftragten machen – im Sejm wurde er am Donnerstag mit den Stimmen der Regierungsfraktionen gewählt. Wroblewski gehört zu einer Gruppe von Parlamentarier*innen, die mit einem Antrag beim Verfassungsgericht erfolgreich eine Verschärfung des Abtreibungsrechts erwirkt hatten. Er gilt als LGBTI-feindlich – auf Vorwürfe der Europäischen Union, sein Land benachteilige Homo- und Transsexuelle, reagierte er mit einem "Fakenews"-Vorwurf gegen Brüssel. (cw/dpa).
