Transparent bei der LGBTI-feindlichen "Demo für alle" in Stuttgart (2016)
Zu Update springen: Chef*innen von QueerGrün aus Protest zurückgetreten (16.39 Uhr)
Die Stadt Stuttgart hat in den letzten Tage eine Umfrage an 9.000 repräsentativ ausgewählte Bürgerinnen und Bürger verschickt, in der gefragt wird, ob Menschen zu tolerant gegenüber sexuellen und geschlechtlichen Minderheiten sind. Dies hat zu Kritik von queeren Politiker*innen und Aktivist*innen geführt.
Wörtlich heißt es in der Bürgerumfrage 2021: "Übertreiben es in Stuttgart ihrer Meinung nach viele mit ihrer Toleranz gegenüber lesbischen, schwulen, bisexuellen, transsexuellen, transgender, intersexuellen und queeren Menschen?" Als Antwortmöglichkeiten werden "Ja", "Eher ja", "Teils / teils", "Eher nein", "Nein" und "Weiß nicht" angeboten. Die Frage war auf Anregung der Grünen – der seit zwölf Jahren größten Fraktion im Stuttgarter Stadtparlament – in die Umfrage integriert worden.
"Diese Fragestellung schockiert mich", erklärte Christoph Ozasek, der für Die Linke im Stuttgarter Gemeinderat sitzt. "Natürlich muss man gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ermitteln. Dann aber methodisch richtig und politisch korrekt!", so der offen schwule Politiker auf Facebook. "Allein den Begriff der 'Toleranz' in der Fragestellung zu verwenden, der nichts anderes als 'Duldung' bedeutet und damit LSBTTIQ-Menschen implizit beleidigt, ist ein NoGo und zeugt von mangelnder Sensibilität in der Verwendung von Sprache." Unklar sei, welchen Erkenntnisgewinn bestimmte Antworten böten. "Diese Fragestellung ist so interpretationsbedürftig, dass überhaupt kein sinnvoller Schluss gezogen werden kann. Womöglich gut gemeint, aber richtig schlecht gemacht, werte Kolleg*innen aus der Grünen Ratsfraktion. Damit habt ihr der Community echt einen Bärendienst erwiesen."
Auch Alfonso Pantisano, LSVD-Bundesvorstand und Chef von SPDqueer Berlin, zeigte sich über die Umfrage schockiert: "Wir wollen [...] nicht toleriert werden, sondern akzeptiert werden! Und respektiert werden!", schrieb er auf Facebook.
Grüner Fraktionschef: Intention war eine andere
Andreas G. Winter, der Chef der grünen Gemeinderatsfraktion, erklärte gegenüber Radio Dreyeckland, dass die Frage eigentlich eine ganz andere Intention gehabt habe. Damit solle festgestellt werden, ob die Stadt genug für queere Menschen tue. Verwaltungsmitarbeiter*innen hätten die Frage so formuliert, dass sie sich an alle Menschen richte, nicht nur an die Community. Auch ein Verwaltungsausschuss habe sie diskutiert. Inzwischen sei ihm klar, dass die Frage "missverständlich" sein könne.
Die Ergebnisse der Bürgerumfrage werden durch das Statistische Amt ausgewertet und ab Herbst vorgestellt. Für 2022 ist die Veröffentlichung eines entsprechenden Themenhefts mit Analysen und allen Ergebnissen der Befragung geplant. (dk)
Update 16.39 Uhr: Chef*innen von QueerGrün aus Protest zurückgetreten
Die Affäre um die homophobe Frage hat bereits personelle Konsequenzen: Wie die "Stuttgarter Zeitung" am Montag berichtet, sind bereits am Vortag die beiden Sprecher*innen des Arbeitskreises QueerGrün im Kreisverband Stuttgart zurückgetreten. Philipp Lang und Bettina Schreck wollten damit gegen die Befragung protestieren.
"Diese Fragen sind aus meiner Sicht populistisch, suggestiv und gehen komplett konträr gegen das wofür wir mit unserer Partei seit Jahren kämpfen", so Lang. Die Fragestellung bezeichnete er als tendenziös. Außerdem sei sie gegenüber queeren Menschen beleidigend. "Zu fragen, ob man mit der Toleranz, also der Duldung, gegenüber queeren Menschen übertreibt, ist aus meiner Sicht nicht akzeptabel", erklärte er. Es wäre ein Leichtes gewesen, diesen Skandal zu verhindern – etwa wenn man die Expertise von AK QueerGrün, der städtischen Gleichstellungsstelle oder anderer Organisationen zu Hilfe gezogen hätte.