
https://queer.de/?38680
#Allesdichtmachen
Ulrike Folkerts wird zur Querdenkerin
Die lesbische "Tatort"-Schauspielerin ist Teil der Aktion #Allesdichtmachen, die derzeit vor allem Applaus aus der rechtsextremen Szene erhält. Viele in der Kulturbranche zeigen sich entsetzt.
23. April 2021, 10:35h 4 Min. Von
Zu Update springen: Folkerts spricht von "Fehler" (21:40h)
"Ich unterstütze die Corona-Maßnahmen, weil ich das Meer liebe. Und weil ich das Meer liebe, will ich mehr. Mehr Maßnahmen. Nur mit mehr Maßnahmen, komm ich wieder ans Meer." Diese albernen Wortspielchen nutzt Ulrike Folkerts in einem knapp einminütigen Video, mit dem sie sich an der am Donnerstag gestarteten Internetaktion #Allesdichtmachen beteiligt, die die deutsche Corona-Politik pauschal lächerlich machen soll.
Die 59-Jährige ist eine von 53 Film- und Fernsehschauspieler*innen, die Videos mit dem Hashtag veröffentlichten. Darunter sind viele bekannte Stars wie Meret Becker, Richy Müller, Heike Makatsch, Kostja Ullmann und Jan Josef Liefers, die in ihren Videos sarkastisch die Corona-Politik kommentieren.
Die Videos wurden am Donnerstag in sozialen Netzwerken hochgeladen und auf die Seite Allesdichtmachen.de gestellt, die binnen weniger Stunden zusammenbrach. In den stets kurzen Statements werden keine Lösungsansätze für bessere Corona-Maßnahmen debattiert, sondern lediglich die augenblickliche Politik verhöhnt, indem ein "Lockdown für immer" gefordert wird.
Twitter / 50trends_de | Die Aktion dominierte das deutsche Internet[ TTs DE 04:21 ]
50trends Germany (@50trends_de) April 23, 2021
* #allesdichtmachen has been the No. 1 trending topic for the last 5 hours pic.twitter.com/teJ3hsxC3L
|
Folkerts, die 1999 ihre Homosexualität publik gemacht hatte, war in den letzten Wochen vermehrt wegen der Veröffentlichung ihrer Autobiografie "Ich muss raus" in den Schlagzeilen. Thema war dabei besonders ihr Coming-out (queer.de berichtete).
"Der größte Erfolg der Querdenkerszene bisher"
Die Aktion #Allesdichtmachen stieß sofort auf viel Kritik. So kritisierten viele Twitter-Nutzer*innen, es sei pietätslos, sich angesichts voller Intensivstationen und mehr als 81.000 Corona-Toten allein in Deutschland derartig über die Pandemie lustig zu machen. Außerdem werde der von der Corona-Krise gebeutelten Kulturbranche nicht geholfen, wenn man die sarkastischen Äußerungen von Rechtsextremen eins zu eins übernehme. Medienjournalist Stefan Niggemeier von uebermedien.de auf Twitter die "eklige Ironie". "Es fühlt sich wie ein Dammbruch an. Der größte Erfolg der Querdenkerszene bisher", so Niggemeier.
Twitter / niggiVielleicht ist es nur der Tatsache geschuldet, dass es gerade so frisch ist und alle so aufgeregt sind, aber
Stefan Niggemeier (@niggi) April 22, 2021
Es fühlt sich wie ein Dammbruch an. Der größte Erfolg der Querdenkerszene bisher. #allesdichtmachenhttps://t.co/wvKnBf3Z6T
Kritik kommt auch von vielen Film- und TV-Kolleg*innen. Der österreichische Schauspieler Elyas M'Barek ("Türkisch für Anfänger", "Fack ju Göhte") erklärte etwa: "Mit Zynismus ist doch keinem geholfen." Satiriker Jan Böhmermann ("ZDF Magazin Royale") zeigte sich ungewohnt ernst und verlinkte angesichts der Aktion eine rbb-Doku über den Kampf um das Leben von Corona-Infizierten auf einer Berliner Intensivstation: "Das ist das einzige Video, das man sich ansehen sollte, wenn man Probleme mit Corona-Eindämmungsmaßnahmen hat: Charité Intensiv: Station 43 – Sterben."
Twitter / janboehmDas ist das einzige Video, das man sich ansehen sollte, wenn man Probleme mit Corona-Eindämmungsmaßnahmen hat:
Jan Böhmermann (@janboehm) April 22, 2021
Charité Intensiv: Station 43 Sterbenhttps://t.co/EQaMNJzJuh #allenichtganzdicht
Applaus erhalten die #Allesdichtmachen-Schauspieler*innen dagegen von Rechtsaußen. "Chapeau! 53 Schauspieler ätzen gegen die Corona-Politik", heißt es etwa im rechtsextremen Portal "PI News" – und weiter: "Seit Beginn des Corona-Wahnsinns hat noch keine Aktion so gesessen." Die frühere Pegida-Organisatorin Tatjana Festerling schrieb auf Twitter: "Ich find's lustig." Auch AfD-Politikerin Beatrix von Storch zeigte sich hochzufrieden – und attestierte den Schauspieler*innen, "normal" zu sein: "Die halbe deutsche Schauspieler-Riege – alles Nazis? Oder reden die einfach nur für #deutschlandabernormal?"
Der "Tagesspiegel" sagt bereits voraus, wie die Debatte in den nächsten Tagen weitergehen wird: "Einige der Schauspieler:innen werden sich in den kommenden Tagen sicher über den massiven Gegenwind beschweren. Sie werden argumentieren: Das wird man doch wohl noch sagen dürfen. Ja, das darf man. Aber man muss auch damit leben, dass solcher Unsinn nicht unwidersprochen bleibt."
Update 21.40h: Folkerts spricht von "Fehler"
Wie mehrere weitere Beteiligte der Videoaktion hat sich Ulrike Folkerts am Freitag von ihr distanziert und sich entschuldigt. Auf Instagram schrieb sie:
"Dichtmachen" ist eine Aktion von 50 Schauspieler*innen, die mich neugierig gemacht hat und von der ich mir gewünscht hätte, dass sie die Menschen auf neue Ideen bringt in der Pandemie mit Corona-Maßnahmen gut zu leben Deshalb habe ich mit gemacht. Die Videos, die entstanden sind, wurden falsch verstanden, sind vielleicht falsch zu verstehen.
Ich habe einen Fehler gemacht, ich war naiv genug zu glauben, mit meinen Kollegen*innen ein gewinnbringendes Gespräch in Gang zu bringen. Das Gegenteil ist passiert. Und das tut mir Leid. Es tut mir Leid, Menschen verletzt und vor den Kopf gestoßen zu haben.
All die Nachrichten, die mich bezüglich dichtmachen erreicht haben, zeigen mir, dass ich viele meiner treuesten Fans enttäuscht habe. Das nehme ich sehr ernst und macht mich traurig
Ich nehme die Pandemie sehr ernst, sehe und weiß, wieviel von jedem einzelnen im Moment abverlangt wird. Die Maßnahmen sind absolut richtig und der einzige Weg, die Zahlen der Neuinfizierten und Todesfälle den Griff zu bekommen.
Und seien Sie sicher, ich bin weit davon entfernt, Querdenkern und Rechten Argumente in die Hände zu spielen. Es ist furchtbar, dass man mir das unterstellt.
Meine persönliche Haltung ist ganz klar für die Einhaltung der Coronamaßnahmen und natürlich schaffen wir das nur gemeinsam.
Glauben Sie mir, dass sich meine Persönlichkeit und wie Sie mich kennen durch diese Aktion, die schief gegangen und unverzeihlich ist, nicht verändert hat.
