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Missbrauchsprozess

Aussage: Komplett nackt Prostata massiert und Penis "gemolken"

Ein in der schwulen Berliner Szene bekannter #ArztOhneNamen soll fünf Patienten sexuell missbraucht haben. Am zweiten Prozesstag kam mit dem Nebenkläger u.a. ein mutmaßliches Opfer zu Wort.


Symbolbild: Dem angeklagten Mediziner wird "sexueller Missbrauch unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses in fünf Fällen zwischen 2011 und 2013" vorgeworfen (Bild: rethaferguson / pexels)
  • Von Peter Fuchs
    27. April 2021, 06:27h - 8 Min.

Der Strafprozess gegen einen Berliner Mediziner mit HIV-Schwerpunkt wurde am Montag mit dem zweiten Verhandlungstag fortgesetzt. Die Staatsanwaltschaft am Amtsgericht Tiergarten wirft dem 62-Jährigen sexuellen Missbrauch an fünf Patienten vor (queer.de berichtete). Der Arzt bestreitet alle Vorwürfe und ließ Medienberichte darüber teils erfolgreich verbieten (queer.de berichtete). Auch ein früherer queer.de-Artikel, der eine Kombination aus Vornamen und dem ersten Buchstaben des Nachnamens des Angeklagten nutzte, wurde gerichtlich untersagt. Wir nutzen daher den Hashtag #ArztOhneNamen.

Streit zwischen des Anwälten

Am zweiten Prozesstag war u.a. ein Streit zwischen den Verteidigern des Arztes zu beobachten. "Jetzt halt doch mal den Mund!", herrschte Professor Stefan König deutlich vernehmbar seinen Kollegen Johannes Eisenberg in Saal 135 an. Eisenberg war dann auch still.

Die mögliche Verteidigungsstrategie, dass einer ruhig argumentiert (König), während der andere immer wieder das Wort ergreift, obwohl es ihm nicht erteilt worden war oder lautstark dazwischenruft, wenn andere Verfahrensbeteiligte sich äußern (Eisenberg), scheint doch nicht in Stein gemeißelt sein. Am ersten Verhandlungstag konnte man diesen Eindruck noch gewinnen (queer.de berichtete).

Es gilt in den kommenden Verhandlungstagen zu beobachten, ob sich Teile des Verteidigungsteams weiterhin einer "Konflikt- oder Konfrontationsverteidigung" annähern oder ob der Vorsitzende Richter Rüdiger Kleingünther das Gerichtsverfahren geordnet bis zu einem Urteilsspruch führen kann. Kleingünther schien jedenfalls nicht unerfreut, dass König seinem Kollegen Eisenberg eine Grenze aufgezeigt hat.

Der "nachgeholte" STI-Check

Zu Beginn des Verhandlungstages bekam der angeklagte Arzt das Wort, um die Krankenakte des Patienten und Nebenklägers aus dem Jahr 2012 zu erklären. Damals soll der Übergriff während einer Behandlung stattgefunden haben. Der Nebenkläger und mutmaßlich Geschädigte wartete als erster Zeuge bereits vor der Tür.

Der 62-jährige Arzt erklärte, dass er an den Mann keinerlei Erinnerung habe. Er könne aber indirekt durch die Einträge in der Patientenakte nachvollziehen, was untersucht worden sei. Nach der Diagnose einer Geschlechtskrankheit im Analbereich sei der Patient mehrfach zur Behandlung in die Praxis gekommen. Beim letzten Kontrolltermin im September 2012 habe er außerdem beim Patienten den routinemäßigen Check auf weitere Geschlechtskrankheiten "nachgeholt", weil dieser noch nicht vorgenommen worden sei.

Das alles müsse gemacht werden, da sei er "pingelig und präzise". Der Angeklagte verwies mehrfach auf seine Expertise in der Fachwelt, seine Tätigkeit als Vortragender an der Charité und seinen Arbeitsethos als Inhaber einer "schwulen Kiez-Praxis". Bei solchen Checks sei es medizinisch angezeigt, die Lymphknotenstationen am ganzen Körper abzutasten, die Prostata auf Vergrößerungen zu untersuchen und einen Harnröhrenabstrich anzufertigen. Damit letzteres nicht allzu unangenehm sei, sollte ausreichend Exprimat in der Harnröhre vorhanden sein. Das könne durch sogenanntes "Melken" des Penis erreicht werden. Der Fachbegriff beschreibt das Drücken des Penis bei gleichzeitigem Vor- und Zurückschieben der Vorhaut.

Ein bisschen oder ganz nackt?

Danach erhielt die Staatsanwältin das Fragerecht. Sie wollte wissen, ob der Mediziner den Patienten allein untersucht habe. Er gehe "dringend davon aus, dass der Assistenzarzt dabei war", antwortete der Arzt, obwohl er es nur indirekt aus der Akte schließen könne. Auf Nachfrage meinte er, dass er nicht ausschließen könne, dass der Assistenzarzt an diesem Tag woanders in der Praxis unabkömmlich gewesen sei.

Nach ausführlicher Befragung durch die Staatsanwältin nach Gegebenheiten des Untersuchungsraums (Größe, Ausstattung, Lichtverhältnisse) sprach sie den Angeklagten auf die einzelnen Untersuchungsschritte an. Der Mediziner erwiderte, er könne das nur allgemein beantworten, weil er ja keine Erinnerung an den Zeugen habe.

Zum Thema Kleidung ablegen und ganz nackt sein, erklärte der Arzt, dass er es den Patienten immer freistelle, wie angezogen sie bleiben wollen. Im Allgemeinen seien schwule Männer aber offener, sich vor medizinischem Personal auszuziehen. Sie seien in der Mehrzahl "selbstbewusste Männer, keine Marionetten, denen man etwas befehlen kann", weil sie in der Regel "gebildet" seien. Er erwähnte auch, dass die Männer ihm "körperlich überlegen" gewesen seien. Kurz darauf führte der angeklagte Arzt auf, dass es auch "ängstliche" Patienten geben könne, die so eine Untersuchung als Eindringen in ihre Intimsphäre empfinden könnten.

Auch sei es möglich, dass Patienten bei solchen Untersuchungen Erektionen bekommen. Er versuche damit locker umzugehen. So sage er diesen Männern, dass sie sich "freuen sollen, dass es so gut funktioniert". Es gäbe aber auch Patienten, die "mit ihrem Steifen vor meiner Nase herumwedeln" und fragten, wie er die Erektion fände. Das führe er darauf zurück, dass eine solche Untersuchung "sexualisiert" sein könne, ohne dass es der Arzt bemerke und es eine eigene Kategorie innerhalb der schwulen Pornografie dazu gäbe. Er antworte in diesem Fall manchmal: "Wunderbar, lass uns aber weitermachen."

Das Duzen zwischen Arzt und Patient

Angesprochen auf die Umgangsformen in seiner Praxis, antwortete der Arzt, dass er Patienten immer das Du-Wort anböte, es aber nicht als "house policy" für alle Mitarbeitenden festgelegt sei. Es könne außerdem vorkommen, dass er bereits bekannte Patienten mit Wangenküssen begrüße. Das sei aber nicht "sexualisiert" und müsse "von beiden Seiten ausgehen". Die Abgrenzungen dabei seien außerdem kulturkreisabhängig. So habe er die Erfahrung, dass Südamerikaner "meistens küssen wollen".

Wo denn seine Grenze dafür liege, wollte die Staatsanwältin wissen. Nach einigem Überlegen antwortete der angeklagte Arzt, dass er nach sympathisch oder nicht sympathisch entscheide. Könne er jetzt, wo er den Zeugen vor Gericht wiedergesehen habe, sagen, ob er diesen in der Kategorie Küssen oder nicht Küssen sehe? Nicht küssen, antwortete der Angeklagte ziemlich rasch.

Nach dem Fragerecht der Staatsanwältin machte der Mediziner mehrfach von seinem Recht Gebrauch, nicht auf die Fragen der Nebenklage zu antworten. Anwältin Undine Weyers will wissen, ob er den erwähnten Vornamen seiner Mitarbeitenden in der Patientenakte Berufsbezeichnungen zuordnen könne (Assistenzarzt, Arzt im Praktikum, MTA etc.) oder welche Abstrich-Ergebnisse das Labor von der Untersuchung des Nebenklägers zurückgemeldet habe. Auch darauf erhielt sie keine Antwort.

Die Aussage des Nebenklägers

Im Anschluss befragten der Vorsitzende Richter und danach die Staatsanwältin den mutmaßlich Geschädigten. Der 45-Jährige erklärte, dass ihn der angeklagte Arzt an diesem Tag im September 2012 allein untersucht habe. Er habe gleich gespürt, dass etwas anders sei, weil der Arzt zur Begrüßung mit der Frage "Was kann ich für dich tun?" seine Wange mit der Hand berührt habe.

Nachdem klar war, dass es um eine abschließende Kontrolluntersuchung ging, soll ihn der Arzt allein ins Untersuchungszimmer vorgeschickt haben. Er habe sich dort Hose und Unterhose ausgezogen, weil er das Prozedere bereits kannte. Deshalb habe es ihn überrascht, dass der Arzt auch verlangte, dass er sich ganz entkleide. Beim ersten Mal habe er so getan, als hätte er es überhört. Als ihn der Arzt ein zweites Mal dazu anwies, habe er auch sein T-Shirt ausgezogen und war damit ganz nackt. Er habe außerdem nicht damit gerechnet, dass der Arzt seine Prostata massiere, weil das nichts mit seiner Diagnose zu tun gehabt hätte. Über den Grund der einzelnen Untersuchungsschritte sei er nicht aufgeklärt worden.

Danach habe der Arzt den Harnröhrenabstrich vorgenommen, dafür seine Vorhaut vor- und zurückgeschoben. Bis dahin habe das mit sich "machen lassen", weil er dachte, der Arzt würde schon wissen, warum er was durchführe. Als der Arzt den Abstrich versorgt hatte, habe er den Penis wieder in die Hand genommen und die Vorhaut weiter bewegt, was beim Nebenkläger zu einer Erektion geführt habe. Zweimal habe der angeklagte Arzt daraufhin gesagt, dass es "sehr verboten sei, was wir jetzt machen".

Die abgeschlossene Tür

In der Erinnerung des Nebenklägers habe ungefähr in diesem Moment jemand vergeblich versucht das Untersuchungszimmer zu betreten. Die einzige Tür sei aber abgeschlossen gewesen. Das erklärte der angeklagte Arzt zu Beginn des Verhandlungstages damit, dass im Jahr 2012 ein Teil der Praxis an eine Zahnärztin untervermietet gewesen sei. Durch die versperrte Tür sei verhindert worden, dass deren Patient*innen das Untersuchungszimmer hätten betreten können. Das sei zum Schutz der Intimsphäre seiner Patienten erfolgt. Von innen sei die Tür aber durch eine simple Drehung des Knaufes zu öffnen gewesen.

Der Nebenkläger führte weiter aus, dass der Angeklagte auf dieses Ereignis nicht reagiert habe, sondern weiter seinen Penis in der Hand gehalten habe. Auch habe der Arzt sich in seinem eigenen Schritt massiert. Da habe der Nebenkläger gedacht, dass er "das nicht zum ersten Mal macht". Als der Mediziner dann versucht habe, ihn zu küssen, habe er die Kraft gefunden, ihn wegzuschieben und zu sagen, dass er das nicht wolle. Er habe sofort die Erklärung angeboten, dass er noch als Patient weiter in die Praxis kommen wolle. Darüber habe er sich im Nachhinein geärgert.

Der angeklagte Arzt habe für die Erklärung Verständnis gezeigt, von ihm abgelassen und sich dem Computer zugewandt, um einen Folgetermin zu vereinbaren. Der Nebenkläger habe dem zugestimmt, den Termin aber nicht wahrgenommen. Im Anschluss habe er die Praxis verlassen, sich verwirrt gefühlt, beinahe einen Unfall im Straßenverkehr verursacht und deshalb ein Café aufgesucht, um auf seinem Laptop ein Gedächtnisprotokoll des mutmaßlichen Übergriffs zu schreiben.

Das Gedächtnisprotokoll

Auf Nachfrage der beisitzenden Richterin des erweiterten Schöffengerichts bestätigte der Nebenkläger, dass ihm klar war, dass es sich um eine sexuelle Situation gehandelt habe. Er gehe auch davon aus, dass das dem angeklagten Arzt klar gewesen sei.

So hörte es sich dann auch im Gedächtnisprotokoll an, das verlesen wurde, als der Nebenkläger den Saal verlassen hatte. Darin wurde der Widerspruch der Gefühle zwischen Verwunderung, Erregtheit und Abwehr mit dem Wunsch, "nichts bewerten" zu wollen, zum Ausdruck gebracht. Der Nebenkläger stellte sich die Frage, ob er eben erlebt habe, wie "zwei Männer aushandeln, was geht und was nicht geht".

Als er sich zwei Tage später einem Therapeuten anvertraut habe, habe es sich ihm erschlossen, dass es sich bei dem Vorfall um einen Übergriff gehandelt habe. Nachdem der Nebenkläger dem Vorsitzenden Richter bejahte, den Therapeuten von der ärztlichen Schweigepflicht zu befreien, wird zu Protokoll gegeben, dass der Therapeut als Zeuge vorgeladen werden soll.

Am Donnerstag wird der Prozess mit der Befragung des Nebenklägers durch die Verteidigung fortgesetzt.