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"Selbstzufriedene Toleranz"
LGBTI-Akzeptanz: Carolin Emcke beklagt politischen Backlash
Die Mehrheitsgesellschaft behandele queere Menschen "oft nur mit einem herablassenden Gestus, der stille Dankbarkeit einfordert", erklärte die queere Autorin und Publizistin in einem Zeitungsinterview.
- 1. Mai 2021, 14:37h 2 Min.
Die Berliner Autorin und Publizistin Carolin Emcke beklagt als Folge der Corona-Pandemie einen gesellschaftlichen Rückschritt für Minderheiten in Deutschland. "Ja, ich fürchte um die Clubkultur und die Bars und Kneipen, die sichere Orte für Schwule, Lesben und Transpersonen sind", sagte die 53-Jährige im Interview mit dem Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlag (Bezahlartikel). "Diese sind geschlossen und wir wissen nicht, wie viele durch die Krise kommen. Für Menschen, die so lieben und begehren wie ich, sind diese Orte schon existenziell."
Darüber hinaus empfinde sie "politisch einen Backlash", so Emcke. "Das hat nicht nur mit Corona zu tun. Es gibt zunehmend diese Attitüde der selbstzufriedenen Toleranz. Immer mehr Stimmen, die suggerieren: 'Jetzt habt ihr doch schon so viele Rechte, dürft schon heiraten. Was wollt ihr denn noch?'"
Das empfinde sie "als sehr fragil und bedrohlich", meinte die queere Publizistin. "Es gibt zwar eine gewisse Akzeptanz von Minderheiten – aber oft nur mit einem herablassenden Gestus, der stille Dankbarkeit einfordert. Schwarze Deutsche, Menschen mit Migrationshintergrund, LGBTIQ+, die Erfahrungen der Diskriminierung beschreiben, werden mitunter abgewimmelt mit so einer 'Ab-ins-Körbchen'-Geste."
Emcke erhält am 11. Mai den Rosa-Courage-Preis
Für ihren Einsatz für sexuelle und geschlechtliche Minderheiten wird Carolin Emcke am 11. Mai vom Osnabrücker Verein Gay in May mit dem Rosa-Courage-Preis 2021 ausgezeichnet (queer.de berichtete). Ihre Offenheit, ihre Klarheit und ihre Beständigkeit hätten dem Rosa-Courage-Kuratorium imponiert, teilte der Verein Ende März mit. "Sie macht Diskriminierungen deutlich, stellt Gewohnheiten in Frage und klärt Missstände auf!", so der Gay-in-May-Vorsitzende Frank Mayer. Darüber hinaus gelänge es der 53-Jährigen, Verbindungen zu anderen Diskriminierungsmechanismen wie Rassismus und Antisemitismus heraus- und den Bezug zu anderen Minderheiten herzustellen.
Emcke studierte in Frankfurt, London und an der renommierten Harvard-Universität. Sie war unter anderem von 1998 bis 2006 in der Auslandsredaktion des Magazins "Spiegel" tätig und berichtete aus Krisengebieten. Später arbeitete sie als freie Publizistin. In dem autobiografischen Buch "Wie wir begehren" aus dem Jahr 2013 beschreibt Emcke die Entdeckung ihrer Homosexualität, wobei sie ihre Wünsche formuliert, aber auch die soziale Ausgrenzung als Ergebnis ihres Coming-outs diskutiert. 2017 beklagte sie, dass Antisemitismus und Homopobie in Deutschland wieder um sich griffen (queer.de berichtete).
Erst vergangenes Jahr wurde Emcke mit dem Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen ausgezeichnet (queer.de berichtete). Im Jahr 2016 hatte sie bereits den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten (queer.de berichtete). (cw)
