Julia Tsvetkova (auf deutsch auch Zwetkowa) mit einem Corpus Delicti (Bild: privat)
Die russische Künstlerin Julia Tsvetkova ist zum 1. Mai aus Protest gegen das Gerichtsverfahren gegen sie in einen Hungerstreik getreten. "Ich verlange, meinen Prozess öffentlich zu machen", schrieb sie am Samstag bei Facebook. Die Gründe für den Ausschluss der Öffentlichkeit in dem Verfahren seien weit hergeholt.
Der Prozess, dessen erster Verhandlungstermin bereits Ende März war, findet in Russland und auf der ganzen Welt große Beachtung. Während der fast zweijährigen Vorbereitungszeit saß Tsvetkova für einige Monate gar in Hausarrest. Der 27 Jahre alten Feministin wird die Herstellung und Verbreitung von pornografischem Material vorgeworfen, weil sie künstlerische Darstellungen des weiblichen Körpers in den sozialen Medien teilte. Ihr Anwalt hatte zum Prozessauftakt im April die Unschuld seiner Mandantin beteuert. Auch Menschenrechtler, LGBTI-Aktivisten, Feministinnen und Kunstexpert*innen betonten, ihre Bilderreihe "Eine Frau ist keine Puppe" sei Kunst, Protest und Aufklärung. Nach der Anklage drohen ihr bis zu sechs Jahren Straflager.
Beispielbilder aus der beanstandeten Serie mit Beschriftungen wie "Lebendige Frauen menstruieren", "haben Körperhaare", "haben graue Haare" oder "haben unperfekte Brüste" – immer mit dem Zusatz "und das ist normal". Alle Bilder und weitere Informationen bietet die Webseite freetsvet.net
Tsvetkova verlange zudem, sich "mit allen rechtlichen Mitteln" verteidigen zu können und das Verfahren nicht länger hinauszuzögern. "Wie Sie sehen, bitte ich nicht darum, mich freizusprechen." Die Staatsanwaltschaft und die Richter sollten ehrlich zu sich selbst sein und endlich eine Entscheidung treffen. Für sie sei es schwer, isoliert zu sein und nicht arbeiten zu können.
Politische Verfolgung beklagt
Die Menschenrechtsorganisationen Memorial und Amnesty International hatten Tsvetkova offiziell auf die Liste der politisch Verfolgten gesetzt. Amnesty hatte zuletzt die russischen Behörden aufgefordert, alle Vorwürfe gegen sie fallenzulassen. Sie habe lediglich von ihrer Kunstfreiheit Gebrauch gemacht, so die Organisationen.
Die Aktivistin ist auch für ihren Einsatz für die Rechte von LGBTI landesweit bekannt. Bereits mehrfach strengte der Staat gegen sie Verfahren nach dem Gesetz gegen "Homo-Propaganda" an, das die "Bewerbung nicht-traditioneller sexueller Beziehungen unter Minderjährigen" mit Geldbußen belegt und in der Praxis vor allem zum Verbot von Demonstrationen und zur Zensur und Selbstzensur genutzt wird, aber bislang eher selten zu Anklagen.
Hierfür wurde Tsvetkova zu einem Bußgeld verurteilt: "Familie ist, wo Liebe ist. Unterstütze LGBT+-Familien". Das Bild war eine Reaktion auf panische Medienberichte und Ermittlungen gegen ein schwules Paar, denen Behörden ein Adoptivkind wegnehmen wollten (queer.de berichtete)
Bereits zweimal wurde Tsvetkova nach dem Gesetz zu Geldstrafen verurteilt: Einmal, weil sie in sozialen Netzwerken eine Zeichnung von Regenbogenfamilien geteilt hatte mit der Aufschrift "Familie ist, wo Liebe ist. Unterstütze LGBT+-Familien" (queer.de berichtete). In der vorherigen Verurteilung ging es etwa um geteilte Zeichnungen von Kätzchen in Regenbogenfarben, in einem weiteren Verfahren um weitere Zeichnungen von Regenbogenfamilien. (dpa/nb)