Eine Illustration zum "Sodomiterey"-Kapitel (in einer deutschen Ausgabe von 1628)
Der französische Schriftsteller François de Rosset war mit seiner Sammlung von 32 Geschichten, die zuerst 1614 und in erweiterter Fassung 1619 publiziert wurde, bei seinen Zeitgenoss*innen sehr beliebt. Sie erschien zuerst unter dem Titel "Les Histoires mémorables et tragiques de nostre temps" ("Denkwürdige und tragische Geschichten unserer Zeit") und wurde schon bald ins Deutsche und in andere Sprachen übersetzt.
Dieser Geschichtensammlung, einem Werk von mehr als 1.000 Seiten, liegt ein modern erscheinendes Konzept zugrunde. Rosset erzählt zunächst eine kurzweilige bzw. spannende Geschichte, die scheinbar nur der Unterhaltung dient. Darauf folgt eine längere Erörterung darüber, was wir aus dieser Geschichte "zu lernen haben". Das in Rossets Augen richtige und moralisch vorbildhafte Verhalten untermauert er mit Quellen wie der Bibel, Gesetzen oder den Schriften anderer Autoren. Auf diese Weise bietet er einen Genre-Mix aus Belletristik und Sachbuch, der für die Menschen im 17. Jahrhundert christliche Erbauungsliteratur, moralische Lebensweisheiten und rechtliche Ratschläge bot. Mit dem Sach- und Personenregister am Ende der Sammlung – mit Begriffen wie "Kleider", "Krieg" und "Kunst" – ist das Buch schon fast so etwas wie ein Nachschlagewerk in verschiedenen Lebenslagen.
Eine dieser Geschichten behandelt ausführlich einen homosexuellen Ritter, der mit Gewalt einen Mann sexuell gefügig macht und später – gemeinsam mit einem Komplizen – mit dem Tod bestraft wird (7. Geschichte). Auch einzelne Sätze über das gleichgeschlechtliche Begehren in der Antike (12. Geschichte) und über Hermaphroditen (17. Geschichte) sind erwähnenswert.
Die Online-Ausgaben in deutscher Übersetzung
Deutsche Fassungen dieser Erzählung kann man heute digital nachlesen. Online verfügbar sind heute u.a. die deutschen Ausgaben von 1628 (S. 192-201, 226-227), 1634 (S. 197-205, 233-233), 1647 (S. 178-187, 207), 1648 (S. 202-209, 236-237) und 1655 (S. 202-209, 236-237). Die Ausgabe von 1628 beinhaltet sogar eine Illustration. Es gibt unbedeutende sprachliche Anpassungen, in den Ausgaben von 1628 und 1647 fehlt jedoch die Angabe einiger Quellen. Nur zwei weitere Werke von Rosset sind ebenfalls in deutscher Sprache erschienen. Es gibt keine deutschsprachigen Nachdrucke seit dem 18. Jahrhundert.
Rossets Geschichte vom schwulen Ritter Flaminio
Die siebte Geschichte der Sammlung trägt den Titel "Von der abschew[u]lichen Sodomiterey / so ein Ritter zu Neapolis [Neapel] in Italia begangen". Seine Italienreise führt den jungen, vornehmen und gutaussehenden Eranthe über Florenz nach Rom. Aufgrund einer Erkrankung unterbricht er seine Reise und lernt dabei den Ritter Flaminio kennen. Flaminio hat Eranthe schon in Florenz wahrgenommen und sich sofort in ihn verliebt. Flaminio fragt Eranthes Diener nach dessen weiteren Unterkünften aus und arrangiert es so, dass er ihn in Neapel wiedertrifft. Dort spricht er Eranthe an und schlägt ihm vor, bei ihm zu übernachten.
Eranthe lässt sich darauf ein, und Flaminio zeigt ihm die Sehenswürdigkeiten der Stadt. Erst als er Eranthe ein abgelegenes Kloster zeigt, wird seine wahre Absicht deutlich. Gemeinsam mit einem Mönch droht er ihm mit seiner Ermordung, wenn er ihm nicht zu Willen sei. Nach der Tat wollen beide Täter Eranthe umbringen. Eranthe erkennt die bedrohliche Situation. Er behauptet nun, durch die Tat seine Liebe zu Flaminio erkannt zu haben, er umarmt und küsst diesen. Flaminio glaubt ihm und lässt ihn, in der Hoffnung auf ein Liebesverhältnis, am Leben.
Die Vergewaltigung eines Mannes in der Sprache des Barock: "der verbrachten That" (1655)
Weil sich Eranthe auf diese Weise Flaminios Vertrauen erwerben kann, gelingt ihm die Flucht. Er reitet nach Rom, wo Papst Clemens VIII. (regierte 1592-1605) eine öffentliche Audienz gibt. Er kommt mit dem Papst ins Gespräch und erzählt ihm von seiner Leidensgeschichte. Dieser ist so gerührt, dass er zu weinen beginnt und anschließend den königlich-spanischen Statthalter (Vizekönig) in Neapel veranlasst, den Mönch und den Ritter gefangen zu nehmen und nach Rom bringen zu lassen. Später werden beide Männer zum Tode verurteilt. Der Ritter wird geköpft, der Mönch gehängt und beide werden danach verbrannt. Eranthe bereut, sich dem Willen der beiden Männer ergeben zu haben, wird depressiv und taucht unter. Seine Freundin, die Jungfrau Virginia, begibt sich in ein Kloster und stirbt kurz darauf.
Rossets Moral von der Geschichte
Im Anschluss teilt Rosset den Leser*innen mit, was sie aus dieser Geschichte lernen sollen. Es sei zwar grundsätzlich gut, wenn junge Menschen viel reisten, weil sie dabei fürs Leben lernen könnten. Er warnt die Jugend jedoch auch vor verdorbenen Sitten, bösen Krankheiten und Verführer*innen. Erst am Ende warnt er auch sehr konkret vor den alten und neuen Sodomitern und "Knabenschändern", worunter in der Frühen Neuzeit oft auch Sex zwischen erwachsenen Männern oder Sex zwischen einem älteren und einem jüngeren erwachsenen Mann bezeichnet wurde.
Die "abscheuliche Sünde" sei bei den Deutschen weitgehend unbekannt und es sei besser, über sie zu schweigen. Der Erzähler will zu Gott beten, dass das deutsche Vaterland weiterhin vor der Homosexualität geschützt werde, und verweist zur Legitimierung seiner Position auf die Bibel, die Zehn Gebote und das geltende Strafrecht. (Es ist sehr wahrscheinlich, dass diese Bezüge auf die Deutschen und das "deutsche Vaterland" nicht von Rosset stammen, sondern Zusätze vom deutschen Übersetzer sind. Es hätte den Rahmen dieses Artikels gesprengt, auch den französische Originaltext zu untersuchen).
Einzelne Hintergründe zur Geschichte des schwulen Ritters
Es ist kein Zufall, dass diese Geschichte in Italien bzw. Florenz spielt. Auch wenn erst mit dem Code Napoléon 1804 die Strafverfolgung homosexueller Handlungen in Italien abgeschafft wurde, stand Italien seit dem späten Mittelalter in dem Ruf, dass Sex zwischen Männern dort besonders verbreitet sei. "Florenzen" war im 15. und 16. Jahrhundert im Deutschen eine Bezeichnung für schwulen Sex. Das "Laster" der "Sodomie" wurde generell gern anderen zugeschrieben, insbesondere anderen Ländern oder Andersgläubigen.
Die Geschichte spielt in der Zeit zwischen 1592 und 1605, was sich aus dem Hinweis auf Papst Clemens VIII. ableiten lässt. Es ist bemerkenswert, wie Rosset die Authentizität der Geschehnisse betont und versichert, dass sich die Begebenheiten erst neulich zugetragen hätten und dass er sie selbst gesehen und erfahren habe. Dabei ist es durchaus möglich, dass die Geschichte auf einem realen Fall basiert.
Als weitere Bezüge verweist Rosset auf die Bibelstellen 1. Korinther 6-9 und Römer 1, 26-27. Beim Strafrecht verweist er auf die "Constitutio Criminalis Carolina" – das erste Strafgesetzbuch für das gesamte Heilige Römische Reich deutscher Nation, das seit 1532 galt und im Artikel 116 die Todesstrafe für homosexuelle Handlungen vorsah. Erst 150 Jahre nach Rossets Tod erschien in Österreich die "Constitutio Criminalis Theresiana" (CCT), in der die Todesstrafe für gleichgeschlechtlichen Sex zwar immer noch angedroht wurde, vermutlich wurde sie aber danach in Österreich nicht mehr vollstreckt (zu beiden Gesetzen siehe auch meinen Beitrag auf queer.de).
In den unterschiedlichen Hinrichtungsarten für die beiden Männer schlägt sich übrigens das Adelsprivileg des Ritters nieder, denn Köpfen galt als ehrenhaftere Todesart als Hängen. Die anschließende Verbrennung kennzeichnet beide als "Sodomiter".
Demetrius begehrt Democles
In seiner 12. Geschichte behandelt Rosset die Bedeutung von Keuschheit und Tugend. Um die Wichtigkeit des Kampfes für die Tugend zu betonen, greift er auf ein Beispiel aus der Antike zurück: Demetrios von Phaleron (360-280 v. Chr.) habe den schönen Jüngling Democles begehrt, sei in seiner Vorgehensweise jedoch sehr aufdringlich geworden. Um diesen Nachstellungen zu entgehen, habe Democles keine andere Möglichkeit gesehen, als sich durch einen Sprung in siedend heißes Wasser selbst das Leben zu nehmen. Diesen Freitod stellt Rosset als vorbildlich dar (Ausgabe 1655, S. 407-408). Als Quelle zu dieser Geschichte bezieht sich Rosset auf die "Lebensbeschreibungen" des griechischen Schriftstellers Plutarch (deutsche Übersetzung von 1754, S. 43-44).
Hermaphroditen
Ein Hermaphrodit in der Vorstellung des 17. Jahrhunderts
In seiner 17. Geschichte (S. 599-634) kommt Rosset auf die Rolle von Frauen zu sprechen und betont, dass etliche Frauen im Krieg zu Männern geworden seien, was offensichtlich nur hinsichtlich ihrer sozialen Rolle zu verstehen ist. Danach führt er jedoch auch Beispiele von schwangeren Männern an. So sei eine Person für eine Frau gehalten worden, die Kinder bekommen, später jedoch eine Magd geschwängert habe. Ein Mönch habe mit Männern und Frauen verkehrt und 1478 ein Kind zur Welt gebracht. Ein Daniel Burghammer, der sich mit einem Mann eingelassen habe, habe später eine Tochter bekommen. Bei einer posthum durchgeführten Obduktion habe sich herausgestellt, dass er Mann und Frau gewesen sei. Der Bremer Erzbischof Albertus (d. i. Albrecht II., Herzog von Braunschweig, regierte 1360-1395) sei angeklagt worden, ein Hermaphrodit zu sein, aber durch eine "öffentliche Besichtigung" sei der Gegenbeweis erbracht worden (Ausgabe 1655, S. 631-633).
Die Geschichte des Bremer Erzbischofs ist bekannt und in verschiedenen Chroniken überliefert. Der Hintergrund waren Machtkämpfe, bei der ein Teil des Bremer Domkapitels den Erzbischof loswerden wollte. Der öffentliche Vorwurf, der Erzbischof Albert sei ein Hermaphrodit, gilt heute als größter Skandal in dessen Regierungszeit und als politisch motiviert (Wikipedia). Auch die Biografie Daniel Burghammers ist bekannt und wird seit 1603 bis heute erörtert (s. a. "Invertito", Bd. 1, 1999, S. 110-113 und Bd. 20, 2018, S. 122-137).
Martin Zeiller und ein Blitzstrahl, der hinten wieder rauskommt
Martin Zeiller (1589-1661) in einem Porträt des 17. Jahrhunderts
Der einzige deutsche Übersetzer von François de Rossets Geschichten ist der Schriftsteller Martin Zeiller (1589-1661). Es sollte hier nicht unerwähnt bleiben, dass sich Zeiller auch in seinen eigenen Schriften mehrfach über Homosexualität äußerte und dass er mit seinen Hinweisen auf eine als gerecht empfundene Todesstrafe für homosexuelle Handlungen mit Rossets Positionen inhaltlich übereinstimmt. So weist Zeiller in seinem "Chronicon Parvum Sueviae" ("Kleine schwäbische Chronik", 1653, S. 53) darauf hin, dass in Augsburg im Jahr 1409 fünf Männer wegen "Sodomiterey" zum Tode verurteilt wurden. Die Quellen sind abgedruckt in Hergemöllers Buch "Fontes sodomitarum. Ausgewählte Quellen zur Homosexuellenverfolgung im christlichen Mittelalter" [2013], S. 4-9.)
Unfreiwillig komisch finde ich den Hinweis auf eine göttliche Strafe in seinem Buch "Das dritte Hundert Episteln" (1643, S. 245-246): In einem Kloster bei Paris seien 1590 zwei Männer in einem Bett von einem tödlichen Blitzstrahl "ins Gemächt getroffen" worden – der anschließend "hinden" wieder herausgekommen sei. Zeiller sieht darin ein göttliches Zeichen und eine Warnung vor dem "Laster der Sodomiterey".
Am bekanntesten wurde Zeiller durch sein gemeinsam mit dem Kupferstecher Matthäus Merian verfasstes Werk "Topographia Germaniae" (1632-1640), eine topographische Beschreibung Deutschlands. In dem Nachfolgeband "Topographia Galliae", einer Beschreibung Frankreichs, findet sich erneut der Hinweis (S. 68) auf die beiden sexuell miteinander verkehrenden Männer von 1590 – allerdings ohne den Hinweis auf einen genital-analen Blitzstrahl. Zu Martin Zeiller gibt es übrigens Sekundärliteratur, die sich auch mit dem Aspekt der Homosexualität auseinandersetzt, nämlich den Aufsatz von Italo Michele Battafarano "Von Sodomiten und Sirenen in Neapel. Barocke Erzählkunst bei Martin Zeiller und Georg Philipp Harsdörffer" (in: "Simpliciana", Bd. 21, 1999, S. 125-139).
Vergleiche mit anderen Werken des Barock
In der Anthologie "Andere Lieben. Homosexualität in der deutschen Literatur" (1988) von Joachim Campe ist "Barock" das dünnste Kapitel des ganzen Buches, es besteht nur aus einem Beitrag über die Briefe der Prinzessin Liselotte von der Pfalz mit ihren vielen schwulen Anekdoten. Sie wird in der Einleitung des Barock-Kapitels mit einer Äußerung zitiert, dass sie dankbar sei, weil die "guten ehrlichen Deutschen" nicht in das "abscheuliche Laster fallen" würden.
Campe erwähnt auch Grimmelshausens Roman "Der abenteuerliche Simplicissimus" (1668/1669) – das wichtigste Prosawerk des Barock in deutscher Sprache, das ich wegen seiner Episoden, in denen Homo- bzw. Intersexualität thematisiert wird, 2018 hier auf queer.de besprochen habe. Auch der "Simplicissimus" hat mehr als 1.000 Seiten, womit die Gemeinsamkeiten mit Rossets Werk aber auch schon erschöpft sind. Da, wo Grimmelshausen frech und frei von Homosexuellen und Hermaphroditen schreibt, wünscht sich Rosset vor allem eines: die Todesstrafe.
Weil sich viele deutsche Autoren – so Campe – ein sinnliches Begehren unter Männern kaum vorstellen konnten, bedienten sie sich der "Sprache der Liebe" und sehnten sich literarisch zum Beispiel nach den Küssen von Männern. Mit Homosexualität hatte dies jedoch nichts zu tun, sondern es ging eher um die "barocke Lust an der rhetorischen Übertreibung" (Campe).
Es dauerte noch eine gefühlte Ewigkeit, bis homosexuelle Belletristik auch lustbetont geschrieben werden konnte. In Frankreich wurde 1796 posthum der Roman "Die Nonne" des Enzyklopädisten Denis Diderot (1713-1784) publiziert, der ein Jahr später auch in deutscher Sprache erschien. Statt einen lustbetonten Roman kann man hier auch eine antiklerikale Polemik erkennen – die sich geschickt der Mittel des erotischen Romans bedient.
Rosset bleibt wichtig, auch wenn er falsch liegt
Bei mir zu Hause habe ich viele Bücher über schwule Geschichte. In keinem dieser Bücher wird der Name François de Rosset auch nur erwähnt. Das liegt vor allem daran, dass seine Geschichte von einer als gerecht empfundenen Todesstrafe für einen schwulen Ritter als Beitrag für eine homosexuelle Emanzipation nicht taugt. Rossets Vorstellung über die ach so schlimmen Italiener wirkt zunächst wie tiefstes Mittelalter, wobei er in seiner Unfähigkeit, sich Homosexuelle überhaupt nur vorzustellen, auch typisch für die Zeit des Barock ist. Weil es aus der Epoche des Barock nur wenige Beispiele von erzählten homosexuellen Geschichten gibt, gewinnt Rossets Geschichte als wichtiges Zeitdokument an Bedeutung. Diese Geschichte ist mehr ein moralisierendes Exempel zur Verdammung von "Sodomie" als ein unterhaltsamer Roman, aber er thematisierte Homosexualität in einer Zeit, wo dies eher totgeschwiegen wurde.
Statt Homosexualität zu tabuisieren, hat er in seiner Geschichte über den Ritter in aller Deutlichkeit Ross und Reiter benannt. Sie ist sein wichtigster Text über gleichgeschlechtliches Begehren, und das nicht nur aufgrund des Umfangs. Nur hier bietet er einen eigenen belletristischen Text, während er sich in seinen wenigen Sätzen über die Antike oder die Hermaphroditen fast nur auf fremde Quellen stützt. Nur bei seiner Rittergeschichte stellt sich die Frage, auf welche Quellen er wohl zurückgriff. Weil sich die Geschichte zeitnah zugetragen haben soll und Rosset die Authentizität betont, könnten dies mündliche oder schriftliche Mitteilungen gewesen sein.
Strafrecht und Moral
Aus der Position des Jahres 2021 heraus ist es einfach – zu einfach -, Rosset ein anderes Bild von Homosexuellen und Hermaphroditen entgegenzustellen. Vielleicht sollte man ihm einen Strafrechtsreformer des 18. Jahrhunderts entgegenstellen. Nach dem Barock kam die Epoche der Aufklärung, die dafür sorgte, dass in Deutschland über Homosexualität wieder neu nachgedacht und geschrieben wurde.
Zu dieser Epoche gehörte der Jurist und Strafrechtsreformer Karl Ferdinand Hommel (1722-1781), der zwar die Homosexualität moralisch diffamierte, aber trotzdem für eine Entkriminalisierung der "Sodomie" eintrat. Eine solche Haltung war durchaus typisch für viele aufklärerische Strafrechtsreformer, denn was moralisch verwerflich sei, müsse nicht automatisch strafbar sein.
Diese Einstellung, dass sich ein Strafrichter nicht um Moral, sondern um verletzte Rechtsgüter zu kümmern habe, ist bis heute als vorbildlich anzusehen. Schon im 18. Jahrhundert setzte sich Hummel so für eine Legalisierung homosexueller Handlungen ein und begründete dies in einer Anmerkung zu seiner Übersetzung des Werkes von Cesare Beccaria "Von Verbrechen und Strafen" (1778, S. 165-166) so: "Sodomiterey ist Sünde, auser dem auch Unflath, Schmuz, Unanständigkeit, die Schande bringet, aber kein Verbrechen, weil es niemanden das Seinige entziehet, und nicht aus betrügerischen boshaften Herzen entspringet, noch die bürgerliche Gesellschaft zerrüttet."
Danke für die tolle Aufbereitung von so vielen Themen.