Queere Figuren fristen in deutschen Serien meist ein karges Dasein als Nebenfiguren. In der fünfteiligen Dramedy, "All you need" (ab 7. Mai in der ARD-Mediathek) ist das anders. Da tragen der schwule Vince und seine ebenso schwule Clique die gesamte Serie. Die Großstadt Berlin liefert dazu den hippen Vibe und Drehorte, die so mancher wiedererkennen wird.
Wir sprachen mit Regisseur Benjamin Gutsche über die Pros and Cons von Grindr, was in einer schwulen Sauna Dreharbeiten behindern kann und wie er zum Manifest #ActOut steht.
Benjamin Gutsche (Bild: NDR)
Um gleich mit der Tür ins Haus zu fallen: War es schwierig, die schwulen Sex-Szenen bei der ARD durchzubringen?
Allen war von Anfang an klar, dass ich nicht zwei Männer knutschen lasse und sobald es intensiver wird, schwenkt die Kamera auf die eingestaubte Zimmerpflanze um. Wenn Sex dramaturgisch dienlich ist, sollten wir es auch auskosten (lacht). Heterosexueller Sex ist gang und gäbe im deutschen Fernsehen, aber schwuler Sex einfach nicht. Mehr Sichtbarkeit ist auch in diesem Fall wichtigm und diesen Weg konnte ich glücklicherweise mit der ARD Degeto und der UFA Fiction als Produktionsfirma gehen.
Apropos Sichtbarkeit. Wie schmerzhaft war es für Sie, im Berliner Boiler ohne Dampf im Dampflabyrinth drehen zu müssen?
Leider sehr schmerzhaft (lacht). Wir haben aber nicht auf den Dampf verzichtet, damit die Schauspieler beim Cruisen besser gesehen werden konnten. Es war viel eher so, dass wir in Corona-Zeiten wegen der Aerosole nicht mit Dampf drehen durften. So konnte man aber auch die Spiegeldecke besser sehen. Das hat mich über den fehlenden Dampf hinweggetröstet.
Auch das SchwuZ kommt als Drehort vor …
Ich wollte nicht nur in einer schwulen Sauna, sondern auch in einem authentischen Club drehen, deshalb war für mich das SchwuZ als Berliner Institution die erste Adresse. Wir hatten auch eine komplett queere Komparserie mit dabei. Die Serie sollte außerdem in einer Zeit verortet sein, in der Corona keine Rolle spielt. Im SchwuZ erlebten wir daher den schönsten Drehtag. Es war ein Fest mit Musik, Tanzen und guter Laune. Also wie in der guten, alten Zeit (lacht).
Die Hauptfiguren bei "All you need": Arash Marandi (in der Rolle des Levo), Mads Hjulmand (Tom), Christin Nichols (Sarina), Frédéric Brossier (Robbie), Benito Bause (Vince) sowie Regisseur und Drehbuchautor Benjamin Gutsche (Bild: ARD Degeto / Andrea Hansen)
Der Pressetext beschreibt die Serie als Suche nach Liebe und Geborgenheit in Zeiten von Grindr. Ist Grindr für Sie positiv oder negativ besetzt?
Durchaus positiv, wenn man damit umgehen kann. Man darf nur nicht denken, dass sich das ganze Leben digital und auf einer Dating-App abspielt. Ich bin ja auch einer, der die App mal löscht und dann wieder installiert, je nachdem, wie ich gerade drauf bin. Und so sind meine persönlichen Erfahrungen auch ins Drehbuch mit eingeflossen.
Was wäre das Positive an Grindr?
Es bietet eine gute Möglichkeit, Leute kennenzulernen, wenn man nicht die ganze Zeit durch Bars und Clubs ziehen möchte. Ob nun für Sex, Freundschaft oder einfach nur ein romantisches Date, was es mitunter ja auch geben soll. Ich bin froh, dass wir in einer Zeit leben, in der wir digital Kontakte mit Gleichgesinnten knüpfen können. Aber wie gesagt, alles in Maßen.
Poster zur Serie; "All you need" gibt es ab 7. Mai 2021 in der ARD-Mediathek sowie am 16. und 17. Mai auf ONE
Kürzlich haben sich queere Schauspieler*innen im Rahmen von #ActOut für mehr Akzeptanz geoutet. Vermissten Sie jemanden dabei?
Ja (seufzt). Das kann ich sagen, ohne jetzt ins Detail gehen zu wollen. Die Kampagne war hoffentlich auch erst der Anfang und wird noch viele weitere Schauspieler*innen ermutigen, sich zu outen.
Woran könnte das liegen, dass sich jemand nicht outet?
Jeder und jede darf das selbst entscheiden. Wir können nicht von außen beurteilen, wieso, weshalb oder warum sich jemand gegen ein Outing entschieden hat. Ich kenne ganz unterschiedliche Geschichten. Da gibt es familiäre Gründe, aber teilweise auch die Sorge um den eigenen "Marktwert". Von daher liegt also noch ein Stück Weg vor uns.
An manchen Reaktionen hat man auch gesehen, wie bitter nötig diese Aktion war. Was diese 185+ schauspielerisch Tätigen damit bewirkt haben, ist großartig.
Warum spielen in Ihrer Serie eigentlich nur heterosexuelle Schauspieler mit?
Das ist so nicht ganz richtig. Unter anderem konnten wir mit Matthias Freihof, Martin Bruchmann oder Julius Feldmeier queere, geoutete Schauspieler für unsere Serie gewinnen. Und trotzdem betrachten wir in Castings das Spiel, nicht die Personen und ihre sexuelle Orientierung. Wir haben für "All you need" tolle Hauptdarsteller gefunden. Uns haben im Castingprozess auch einige queere Schauspieler abgesagt. Das lag teilweise an Terminproblemen, aber vielleicht auch am inhaltlichen Zugang zum Thema oder an der Festlegung auf bestimmte Rollen. Es ist schon paradox, dass heterosexuelle Schauspieler diese Befürchtungen nicht haben müssen. Aus genau diesem Grund bin ich sehr froh über das starke Zeichen von #ActOut.
Infos zur Serie
All you need. Dramedy-Miniserie. Deutschland 2020. Buch und Regie: Benjamin Gutsche. Darsteller*innen: Benito Bause, Arash Marandi, Frédéric Brossier, Mads Hjulmand, Christin Nichols, Julius Feldmeier, Karsten Speck, Dennis Hofmeister, Mona Pirzad, Matthias Freihof, Jale Arikan, Martin Bruchmann. Laufzeit: 5 Folgen à 28 bis 34 Minuten. Ab 7. Mai 2021 in der ARD-Mediathek und am 16. und 17. Mai auch auf ONE