Grüne und CDU haben am Mittwoch in Stuttgart ihren neuen Koalitionsvertrag für die baden-württembergische Regierungsarbeit bis 2026 vorgestellt (PDF). In dem 162-seitigen Papier, das unter dem Slogan "Jetzt für morgen" steht und in dem das Gendersternchen auf Wunsch der Christdemokrat*innen tabu ist, sind auch LGBTI-Rechte berücksichtigt. So will die Koalition den Aktionsplan "Für Akzeptanz & gleiche Rechte" weiterentwickeln, ein Landesantidiskriminierungsgesetz einführen und queere Geflüchtete besser schützen.
Wörtlich heißt es in dem Vertrag: "Die freie Entfaltung der Persönlichkeit und die volle gesellschaftliche Teilhabe setzen voraus, dass jeder Mensch – ungeachtet seiner sexuellen und geschlechtlichen Identität – gesellschaftlich geachtet wird und sein Leben ohne Benachteiligung und Diskriminierung leben kann." Daher setze sich die Landesregierung in den nächsten fünf Jahren "aktiv für die Akzeptanz und Gleichstellung von lesbischen, schwulen, bisexuellen, transsexuellen, transgender, intersexuellen und queeren Menschen (LSBTTIQ) ein". Der Aktionsplan war Anfang des letzten Jahrzehnts in der ersten Legislaturperiode von Ministerpräsident Winfried Kretschmann in der grün-roten Koalition durchgesetzt worden – damals noch gegen den Widerstand der CDU.
"Wir halten es für notwendig, diesen Aktionsplan weiterzuentwickeln"
Laut dem neuen Koalitionsvertrag sensibilisiere der Aktionsplan "die Öffentlichkeit für das Recht auf Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung und wirkt Ausgrenzung und Benachteiligung entgegen". Weiter heißt es: "Wir halten es für notwendig, diesen Aktionsplan weiterzuentwickeln. Es gilt, die geschlechtliche und sexuelle Vielfalt in allen Lebensbereichen sichtbarer zu machen und zu stärken. Egal ob in der Stadt oder auf dem Land, in der Bildung oder in der Jugendarbeit, im Familienleben oder in der Arbeitswelt: Wir setzen uns für gleiche Chancen und gleiche Rechte in allen gesellschaftlichen Bereichen ein."
Die Landesregierung werde auch weiter mit dem "Netzwerk LSBTTIQ Baden-Württemberg und den darin zusammengeschlossenen Gruppen, Vereinen und Initiativen" zusammenarbeiten, um den Plan fortzuschreiben.
Zudem verspricht die Landesregierung, "auch im Bundesrat eine starke Stimme für Vielfalt, Akzeptanz und gleiche Rechte sein". Allerdings bleibt der Vertrag vage, welche Projekte Baden-Württemberg unterstützen werde. Wörtlich heißt es, man denke beispielsweise an "Initiativen zur Stärkung von Regenbogenfamilien, für einen effektiven Diskriminierungsschutz oder den Einsatz für die Menschenrechte von LSBTTIQ-Menschen auch im europäischen und internationalen Kontext". Konkrete Projekte – wie die Reform von Artikel 3 des Grundgesetzes – wurden nicht benannt.
Auch im Bereich des Asylrechts erwähnt der Koalitionsvertrag queere Menschen: "Grundsätzlich tragen wir dafür Sorge, den Bedarfen besonders schutzbedürftiger Geflüchteter gerecht zu werden. Gerade Kinder, Jugendliche, Frauen, LSBTTIQ-Menschen und Menschen mancher Glaubensrichtungen sind besonders gefährdet, Opfer von Diskriminierung und Gewalt zu werden. Sie zu schützen, muss Aufgabe von Gewaltschutzkonzepten in Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften sein." Um dies zu erreichen, werde man unter anderem Kooperationen im Bereich "LSBTTIQ-Beratung" fördern und ausbauen.
CDU schluckt Landesantidiskriminierungsgesetz
Außerdem verspricht die Koalitionsregierung ein Landesantidiskriminierungsgesetz. "Ziel ist es, Diskriminierungen wirkungsvoll zu verhindern und das Vertrauen zwischen der Bürgerschaft und allen öffentlichen Stellen des Landes weiter zu stärken", heißt es im Vertrag.
Vor der Wahl hatte die CDU noch ein entsprechendes Gesetz abgelehnt (queer.de berichtete). Bislang existiert ein derartiges Gesetz nur in einem der 16 Bundesländer: Als dies vergangenes Jahr von der rot-rot-grünen Koalition in Berlin beschlossen wurde, wehrte sich die CDU gemeinsam mit AfD und FDP verbissen gegen die Einführung (queer.de berichtete).
LGBTI-Gegner Manuel Hagel wird CDU-Fraktionschef
Freilich gibt es in der grün-schwarzen Koalition weiterhin Dissens um die Akzeptanz von LGBTI. Eine Personalentscheidung könnte zudem aufhorchen lassen: So beschloss die CDU, mit dem 33-jährigen Abgeordneten Manuel Hagel einen Gegner von LGBTI-Rechten zu ihrem Fraktionschef zu machen. Hagel gehört zum Dunstkreis der "Werteunion", die einer Annäherung an die AfD offen gegenübersteht und die Akzeptanz von queeren Menschen ablehnt. 2018 nahm Hagel als Gastredner an der "Werteunion"-Veranstaltung zur Verabschiedung des "Konservativen Manifests" teil, mit dem Unionspolitiker unter anderem Fortschritte bei der Gleichbehandlung von sexuellen Minderheiten zurückdrehen wollen (queer.de berichtete).
Dass Hagel Detailwissen über Queerpolitik fehlt, zeigte er vor der von ihm abgelehnten Öffnung der Ehe 2017: Damals sorgte er für Schlagzeilen, weil er eingetragenen Lebenspartnerinnen und Lebenspartnern die steuerliche Gleichstellung in Aussicht stellte, obwohl diese Gleichstellung bereits 2013 vom Bundesverfassungsgericht angeordnet worden war (queer.de berichtete).
Den Lesben und Schwulen in der Union ist die Nähe Hagels zu Homo-Hasser*innen hingegen egal: "Wir haben Manuel immer als Unterstützer der LSU erlebt und freuen uns auf den frischen Wind an der Fraktionsspitze im Land und die weiter so gute Zusammenarbeit!", erklärte der parteiinterne LGBTI-Verband auf Facebook.
Im Koalitionsvertrag gibt es insgesamt eine deutliche grüne Handschrift. So solle Baden-Württemberg zum "Klimaschutzland Nummer eins in Deutschland und Europa" gemacht werden, wird großspurig verkündet. Auch andere umstrittene grüne Forderungen – etwa die Erhöhung der Menge des straffreien Cannabis-Besitzes – fanden Einzug in das Papier. Allerdings stehen alle Forderungen unter Finanzierungsvorbehalt.
Auf Parteitagen müssen Grüne und CDU am Samstag noch dem Koalitionsvertrag zustimmen. In einer Woche kann sich dann der 72-jährige Winfried Kretschmann zum dritten Mal zum Ministerpräsidenten wählen lassen. Sollte er die gesamte Legislaturperiode im Amt bleiben, wäre der Grünenpolitiker der Regierungschef mit der längsten Amtszeit in der Geschichte Baden-Württembergs – noch vor dem CDU-Granden Hans Filbinger (1966-1978), Lothar Späth (1978-1991) und Erwin Teufel (1991-2005).
Die Grünen hatten bei der Landtagswahl am 14. März rund 33 Prozent erzielt und damit ihren Vorsprung vor der CDU, die auf 24 Prozent kam, ausgebaut. Die SPD konnte mit 11,0 Prozent knapp die Oppositionsführerschaft vor FDP (10,5 Prozent) und AfD (9,7 Prozent) erobern.
Update 07.05.: Scharfe Kritik von der FDP
Die Liberalen Schwulen und Lesben Baden-Württemberg (LiSL BaWü) werfen Grünen und CDU "Ambitionslosigkeit" vor. "Der neue Koalitionsvertrag enttäuscht, aber er überrascht nicht. Schon in der bisherigen Koalition hat sich gezeigt, wie wenig der Landesregierung an der LGBTIQ-Politik liegt"", erklärte der Landesvorsitzende Benjamin Brandstetter. So seien die Gelder für den Aktionsplan "massiv gekürzt" worden. "Zudem fiel der grüne Ministerpräsident nie mit einer besonderen Sensibilität für das Thema auf", heißt es in einer Pressemitteilung.
"Der jetzige Koalitionsvertrag nennt so gut wie keine konkreten Vorhaben", kritisierte Brandstetter. "Es ist offensichtlich, dass die Grünen ihre Wahlversprechen fallen gelassen haben – und das obwohl sie mit einem Rekordergebnis gewählt wurden. Wie in vielen anderen Bereichen gilt auch für die LGBTIQ-Politik: In Baden-Württemberg regiert Dunkelgrün-Schwarz."
Und noch so einiges mehr...
Die SPD behauptet ja immer gerne, man könne mit der CDU keine LGBTI-Fortschritte erzielen. Aber offenbar versucht die SPD es gar nicht richtig.
Denn überall wo die Grünen mit der CDU regieren, gibt es auch LGBTI-Fortschritte. Sogar bei extrem konservativen CDU-Landesverbänden wie in Hessen oder eben in Baden-Württemberg.
Dass man in Koalitionen Kompromisse eingehen muss und nicht alles umsetzen kann, was man gerne möchte, ist klar. Aber die Grünen schaffen genau diese Kompromisse, während die SPD gar nichts schafft.
Und wer mehr umgesetzt haben will, sollte offensichtlich die Grünen stärker machen.